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Wilde Erdbeeren
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Heute vor 60 Jahren kam „Wilde Erdbeeren“ ins Kino. Als ich diesen schonungslosen Film zum ersten Mal gesehen habe, hat er mich tief beeindruckt und wohl auch verändert. So sehr wie nur wenige Filme davor und danach. Er ist, wie ich finde, Ingmar Bergmans bedeutendster Beitrag zum europäischen Kino. Was dieses psychologische Drama mit surrealistischen Zügen aber vor allem auszeichnet, sind gar nicht so sehr ästhetische Kriterien. Dieses Traumspiel um Leben, Tod, Liebe, Gott, Familie, Kindheit, Reifung, Verfall, Freundschaft, Vertrauen, Verbitterung, Gemeinschaft, Einsamkeit und ein paar Erdbeeren, die mehr sind als nur eine banale Metapher, legt es darauf an, Menschen zu verändern, ihnen den Spiegel vorzuhalten, sie gar radikal in Frage zu stellen. Und deshalb bin ich mit meiner Vorstellung des Films auch ganz gewiss nicht alleine. Die Ernsthaftigkeit der hier vorgeführten existenziellen Fragen wird nie zum Selbstzweck. Stellvertretend dafür stehen eindrucksvoll inszenier
Und ab geht die Postdemokratie
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Es ist ein altes Spiel: Weil die Ökonomie das Schicksal jeder freiheitlichen Gesellschaft ist, verführt die kriselnde Wirtschaft jene liberalen Gesellschaften dazu, ihre Probleme mit Mitteln zu lösen, die der Freiheit widersprechen. Um die geliebte Freiheit zu retten werden ihre Grundfeste nach und nach abgetragen. Denn Freiheit und Sicherheit gibt es nie im Doppelpack .
Der beschönigende Nachsatz
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Nein, ungeheuerlich ist es nicht, wenn sie ihm an den Kopf wirft, dass er in den letzten Monaten einige Pfunde zu viel zugelegt hat. Zur Grausamkeit wird die lapidar hingestreute, von einem Lächeln umrissene Bemerkung erst dadurch, dass ihr ein Nachsatz folgt. „Aber du hast Glück, eine Frau an deiner Seite zu haben, die sich daran nicht stört.“ Der beschönigende Nachsatz ist der Versuch, sich vor den wütenden Blicken derer zu schützen, die ganz offensichtlich angegriffen werden sollten. Er ist eine feige Unverfrorenheit, denn er wird zum Gift gereicht wie lindernder Honig. Dabei ist seine Aufgabe nicht, die beschworenen Worte zu relativieren oder gar aus der Welt zu schaffen. Vielmehr soll der harten Kritik ein Schmierstoff folgen, der es dem Angegriffenen erlaubt, die Gemeinheit nur umso schneller zu verdauen. Wenn der Chef die mangelnde Kommunikation mit einem Angestellten beanstandet und gleichzeitig hinterherschickt, dass er doch viel von seinem Untergebenen halte,
Der Apokalyptiker (3): Schuld und Sühne
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Längst hat sich Haneke auch zum Schauspielerregisseur gemausert, dem die großen Vertreter(innen) der Zunft nur zu gerne in den erzählerischen Abgrund folgen. Das ist das Verdienst von Juliette Binoche, die den Regisseur zur Jahrtausendwende nach Frankreich lockte und mit ihm die poetische Film-Rhapsodie „Code: unbekannt“ drehte. Der weithin unterschätzte Film sollte längst als eines der Schlüsselwerke Hanekes betrachtet werden, vereint der Regisseur doch hier – mit eindrucksvollen Plansequenzen – alle seine bedeutsamen Themen der frühen Werke mit einer wesentlich zugänglicheren, pointierteren Inszenierung. Schaut man auf die von Terror, Fremdenhass und Demokratieerosion geprägten Gegenwartsdiskurse, dann findet man alle wesentlichen Triebfedern für das, was zur Zeit bewegt, in diesem ergreifenden, aber auch stillen Mosaik von einem Film. Mit der „Klavierspielerin“ zeigte Haneke 2001, dass es ohne Probleme möglich ist, etwas von Elfriede Jelinek zu verfilmen, ohne die Ideale der r
Der Apokalyptiker (2): Frontalangriff auf die Zerstreuung
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Spätestens mit der metanarrativen Zumutung „Funny Games“, der von vielen Zuschauern zumindest skeptisch betrachteten Mediensatire, die der Regisseur mit großen Stars in Hollywood noch einmal inszenierte, hatte sich Haneke als unerbittlicher Gesellschaftskritiker etabliert. Sein subversiver Angriff galt aber immer schon weniger den sozialen Zuständen, als viel mehr den Bildern, die sich die westliche Welt zu Selbstvergewisserung auf die Kinoleinwände und inzwischen auf die Smartphones holt. Darin erkannte er die Lust am Skandal, an der Gewalt, an der Verdummung – am grenzenlosen Konsum von Narrativen, die jede moralischen Reflexion über Sinn und Unsinn des Daseins obsolet macht. Für Haneke ist diese Form der Unterhaltung lediglich Zerstreuung, die er mit seinen ernsthaften Meditationen über die obskuren Begierden und gewissenlosen Fehlurteile des Bürgertums in Frage stellt. Und in seinen Filmen geht es vor allem um die gut Betuchten, die ihre Schuldgefühle mit teurem Rotwein heru
Der Apokalyptiker (1): Fragmentarische Versuchsanordnungen
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Michael Haneke ist einer der letzten Vertreter eines aussterbenden europäischen Kinos, das seinen Zuschauern emotional und intellektuell alles abverlangt. Notizen zum Lebenswerk eines radikalen Denkers. In einem Interview sagte Michael Haneke einmal, dass er sich nicht als glücklichen Menschen bezeichnen würde. Das dürfte die Zuschauer seiner Filme kaum überraschen. Sie haben keine Happy Ends (und trotzdem drehte der in München geborene Österreicher einen Film mit genau diesem Titel). Sie vermitteln vor allem im Frühwerk den Eindruck, kühl inszenierte Versuchsanordnungen zu sein und in der Regel kommen Menschen und Tiere auf grausame Art und Weise zu Schaden. „Ich tendiere dazu, melancholisch zu sein“, fügte Haneke seiner Feststellung in dem Gespräch an. „Als Melancholiker kann man sich schon recht glücklich fühlen.“ Jene Dialektik, die der Filmemacher für seine eigene Lebensweise behauptet, prägt auch seine durchaus auf mehrere Arten persönlichen Werke, die stark am minim
Apropos AfD
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10 Thesen zur Bundestagswahl 2017 Die Bundesbürger demonstrieren mit ihrem Kreuz erneut, dass sie nach wie vor ein intaktes demokratisches Gespür haben und die Ausnahme-Regierungsform „Große Koalition“ ganz bewusst abwählen wollten. Ein Bundestag ohne erkennbare Opposition ist immer ein Problem und Gift für die politische Debatte. Auch wenn die nackten Zahlen zunächst etwas anderes vermuten lassen, wurden die Regierungsparteien nahezu gleichsam mit Stimmentzug abgestraft. Die deutschen Verhältnisse nach der Wahl liefern bei der erwartbaren Zusammensetzung einer Jamaika-Koalition die gemäßigte Beamtenversion jener Partikularisierung der Wählerinteressen mitsamt Stärkung der extremen Ränder wie sie in anderen Ländern Europas in den letzten Jahren ebenfalls aufgetreten ist. Im Grunde würde eine Zusammenführung wertkonservativer, liberaler und linker Politik doch genau jenen eklektischen diskursiven Mainstream auf Regierungsebene verankern, der in Deutschland in den letzten Jah
David Lynch von A-Z: Zauberer von Oz
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An diesem uramerikanischen Stoff von Frank L. Baum, 1939 von Victor Fleming mit großem Aufwand verfilmt, arbeitet sich Lynch seit Jahrzehnten ab. Die roten Schuhe, sie kehren nicht nur in „Wild At Heart“ wieder (ebenso wie die gute Fee und die böse Hexe). Natürlich heißt Isabella Rossellini in „Blue Velvet“ Dorothy. Lynch: „Der Zauberer von Oz hat etwas von einem Traum und übt eine enorme emotionale Kraft aus.“ >>> Alle Artikel zu David Lynch von A-Z
David Lynch von A-Z: Wahnsinn
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Henry Spencer wird in „Eraserhead“, alleingelassen mit einem Monster von einem Säugling, verrückt. John Merrick, der „Elefantenmensch“, leidet weniger an seinem grotesken Äußeren als vielmehr an seiner Schwermut. Frank Booth erstickt in “Blue Velvet” fast an seinen sexuellen Aggressionen („Ich ficke alles, was sich bewegt“), Laura Palmers Mörder in „Twin Peaks“ ist vielleicht (auch) Produkt einer gefährlichen Schizophrenie, an der wohl auch Fred Madison in „Lost Highway“ leiden könnte. In „Wild At Heart“ ist nicht nur Finsterling Bobby Peru, sondern sogar die Liebe, die letzte Gewissheit, auf die sich die aus den Fugen geratene Welt noch einigen kann, irrsinnig. In Lynchs Filmen, Malereien, Fotos, Musikstücken, ja selbst in seinen Installationen und Kunstobjekten herrscht der Wahnsinn, der an Logik und Sinn wie ein schädliches Insekt nagt. Auch hier folgt der Regisseur konsequent dem Programm der Surrealisten, die sich am Kranken und Wirren labten wie der Barock am Tod.
David Lynch von A-Z: Voyeurismus
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Auch hier wieder: „Blue Velvet“. Jeffrey Beaumont, auf der Suche nach einem echten Abenteuer und eingestiegen in das Apartment von Dorothy Vallens, kann gerade noch in den Kleiderschrank flüchten, als die Dame seines Begehrens unerwartet früh nachhause zurückkehrt. Und nun muss der Jüngling etwas beobachten, das ihn wie auch den Zuschauer wohl gleichsam abstößt wie eigenartig erregt. Auf jeden Fall sorgt diese Variation der Ur-Szene (Kind beobachtet Mutter und Vater beim Sex) dafür, dass Jeffrey der geheimnisvollen Brünetten vollkommen verfällt. Er hat Paradies und Hölle gleichzeitig gesehen. Die Filme von Lynch sind geprägt von einem Voyeurismus, der für die Zuschauer oft zur Tortur wird. Zu sehen ist, wovor man sonst die Augen verschließen würde. Ein allgegenwärtiges Prinzip, das sich längst nicht nur auf die spätestens seit Freund unter dem Begriff versammelten Leidenschaften bezieht. Natürlich trauern die Figuren in „Twin Peaks“ um Laura Palmer, sogar eine ganze Kleinstadt. Al
David Lynch von A-Z: Unheimlich
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Ein blauer Samtvorhang, die dramatischen Klänge von Angelo Badalamenti. Dann plötzlich ein blauer Himmel, rote Rosen, „Blue Velvet“ von Bobby Vinton, ein Feuerwehrwagen, winkende Feuerwehrmänner, sich im Wind wiegende gelbe Blumen, Kinder überqueren eine Hauptverkehrsstraße, von einem Lotsen sicher geleitet. Dann eines dieser typischen amerikanischen Vorstadthäuser, ein Mann sprengt den Rasen, eine Frau sitzt auf dem Sofa, sieht fern, trinkt einen Kaffee dazu, auf dem Bildschirm sieht man eine Pistole, vielleicht sieht die Frau einen Krimi. Im Garten: Plötzlich verfängt sich der Wasserschlauch in einem Gewächs, gleich könnte die Wasserzufuhr durchbrochen werden. Doch stattdessen fasst sich der Mann an den Hals, gestikuliert wild vor sich hin. Er hat wohl einen Schlaganfall. Er fällt auf den Boden. Das Wasser spritzt unkontrolliert aus dem Schlauch, ein Hund labt sich daran, ein Kleinkind tappst herbei. Noch immer „Blue Velvet“ von Bobby Vinton, aber das Geräusch des zähneflets
David Lynch von A-Z: Träume
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Das Kino ist eine Projektion unserer Träume. Das Kino ist (scheinbar) in der Lage, die Logik unserer Träume sichtbar zu machen. Doch den wenigsten Filmemachern gelingt es, sich ohne Klischees an die ästhetische Mimesis tatsächlicher Traumerfahrungen heranzuwagen. David Lynch hat in vielen Gesprächen darauf hingewiesen, dass er mit seinen Filmen, in denen konkrete Träume der Figuren immer wieder thematisiert und auch dargestellt werden – am magischsten wohl in „Twin Peaks“ –, den Techniken des Tagtraums vertraut, die seiner Meinung nach viel eher das Potential hätten, zu Wahrheiten über die eigene Biographie vorzudringen. Aber letztlich geht es in den Werken von Lynch nicht nur darum, Traumsymbole zu entschlüsseln, sondern sich auf dieses Spiel mit Verschiebungen, Verdopplungen und Motiven einzulassen. Die Traumsprache des Regisseurs wird nämlich erst dann ergiebig, wenn man ihre konzentrierte Form über alle Kabinettstücke hinweg betrachtet. Dann sieht man die sich wie
David Lynch von A-Z: Sex
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Fernab von voyeuristischen Kategorien, die eine Betrachtung dieses Gegenstandes ganz von selbst mit sich bringen, kann man ohne Scham behaupten, dass Lynch einige der schönsten, aber auch bizarrsten Sex-Szenen der Filmgeschichte inszeniert hat. Angefangen von der Unzahl an Sex- und Geburtsakt-Metaphern in „Eraserhead“ (die in einen Traum gipfeln, in dem die Angst vor der Sexualität auf ganz und gar erschreckende Weise visualisiert wird) über die Vergewaltigung in „Blue Velvet“, in der der von Dennis Hopper gespielte Frank Booth wie ein Tier über Dorothy Vallens (Isabella Rossellini) herfällt, bis hin zu „Mulholland Drive“, in dem nicht nur lesbischer Sex für einen vermeintlichen Mainstream-Film auffällig dezent inszeniert erscheint, sondern der auch (selten genug im Kino, aber längst nicht mehr so Aufsehen erregend wie in „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman) eine Szene weiblicher Masturbation zeigt, gibt es unzählige Varianten der Sex-Darstellung und -Reflexion in Lynchs Filmen
David Lynch von A-Z: Rita
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Es ist eine der Schlüsselszenen in „Mulholland Drive“, die den Film als Hommage und tragikomische Parodie auf die großen Zeiten der Traumfabrik (und vor allem auch „Sunset Boulevard von Billy Wilder) positioniert: Weil eine Frau nach einem Autounfall ihr Gedächtnis verloren hat und nicht mehr weiß, wie sie heißt, erblickt sie ein Poster des Films „Gilda“ mit Rita Hayworth und nennt sich von dem Zeitpunkt an „Rita“; Man hat es Lynch oft vorgeworfen, dass seine Frauenfiguren mit einer gewissen Holzschnittartigkeit bestimmte Rollen einnehmen, oft im Kontrast zueinander die naive, asexuelle Blonde und die geheimnisvolle, sexuell vielseitige Brünette. Natürlich geht dieser Vorwurf niemals vollständig auf (man denke nur an die ambivalente weibliche Besetzung in „Twin Peaks“), doch Tatsache ist, dass Lynch die Frauen in seinen Filmen mit großer Zärtlichkeit und auch einer gewissen Neugierde betrachtet. Geheimnisumwitterte Frauenfiguren Wie und warum sie handeln, ist stets das
David Lynch von A-Z: Qual
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Lynch-Filme sind nicht ohne einen gewissen Hang zum Masochismus zu ertragen. Das liegt auch daran, dass seine Figuren selbst im Teufelskreis der Schmerzerfahrungen (seien sie nun selbst erlebt, beobachtet oder anderen zugefügt) eingezwängt sind. Außerdem enthalten alle Stoffe des Filmemachers unter ihrer abstrakten, audiovisuellen, ausgefeilten Oberfläche stets einen tragischen Kern. „Twin Peaks – Der Film (Fire Walk With Me)“, unter Fans einer der umstrittensten Filme Lynchs, in der Retrospektive aber wohl einer seiner interessantesten, enthüllt mit wesentlich düsteren Bildern als die Serie, dass sich hinter der Geschichte um die ermordete Stadtschönheit auch das Drama um eine in den verschiedensten Formen missbrauchte junge Frau verbirgt und der erschreckende Kreislauf von Geld, Drogen und Prostitution in jedem idyllischen Ort (oder, so will es uns Lynch weismachen, gerade dort!) Einzug erhalten kann. Diktatur des Blicks Die größte Qual mag für den Zuschauer aber sein,
Wer Angst vor Spoilern hat, ist nie wirklich erwachsen geworden
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Seit Jahren tobt im Internet die kollektiv geteilte Wut über die so genannten Spoiler, bei denen dreist verraten wird, was in einer Serienepisode oder in einem Blockbuster-Kinofilm passiert. Journalisten überlegen sich inzwischen zweimal, was sie über einen neuen Film erzählen, um ja niemanden zu verschrecken. Andere Medien spielen gerade mit der Neugier vieler Fans und lancieren geschickt – vor allem in den sozialen Netzwerken – Artikel, die so viel wie möglich verraten, oder wenigstens so tun. Es ist aber lächerlich, wenn sich erwachsene Menschen beleidigt fühlen wie ein Kind, dem man den Lutscher wegnimmt, nur weil sie schon vorzeitig ein Handlungsdetail erfahren. Der Wert eines Kunstwerks oder Unterhaltungsstücks bemisst sich nun einmal nicht nur an den Plotpoints. Natürlich ist es ärgerlich, wenn das Filmvergnügen – das ja zu einem großen Teil seinen Reiz aus überraschenden Wendungen oder erschreckenden Enden zieht – durch Spoiler geschmälert wird. Doch führt der Hype um
David Lynch von A-Z: Publikum
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David Lynch: „Ich weiß nicht, was ich dem Publikum sagen will. Ich zeige auf der Leinwand Gedanken und Vorstellungen, die mich beschäftigen. Ich kann einfach nicht verstehen, weshalb die Leute um jeden Preis einen Sinn in der Kunst finden wollen, während sie sich längst damit abgefunden haben, dass es ihn im Leben nicht gibt.“ Trotz aller Sperrig- und Rätselhaftigkeit, trotz all der versponnen Bildideen und der Lust an der Provokation: David Lynchs Filme sind Publikumsfilme wie sie im Buche stehen, denn sie leben von der Reaktion der Zuschauer, ziehen sie mit in den Erzählfluss hinein, so wie die Kamera in Ohren oder Kästchen zoomt. Bei Vorstellungen von „Mulholland Drive“ sollen Zuschauer lauthals angefangen haben zu lachen, als die obskure letzte Szene lief und der Bildschirm plötzlich schwarz war, alle Fragen aber offen blieben. Natürlich spielt Lynch, wie es ja auch Hitchcock tat, mit den Erwartungen der Zuschauer – wenn es nach dem Regisseur gegangen wäre, hätte man
David Lynch von A-Z: Ohr
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Natürlich, das Ohr, das Jeffrey Beaumont in „Blue Velvet“ findet (Lynch zeigt in vielen seiner Filme KörperTEILE; es gab sogar einmal das Gerücht, dass er eine ganze Sammlung solcher vormals lebendiger Gegenstände in seinem Heimkühlschrank lagert). Aber wer die Filme von David Lynch schaut, der sollte vor allem auch die Ohren spitzen: Auf den Sound kommt es an. Der kam schon in den frühen Filmen von Studienkollege Alan Splet, der mit großem Feingefühl eine elektronische Atomsphäre des Grauens schuf. Unvergesslich das überlaute Brummen der Heizung in „Eraserhead“, erschreckend selbst das explosionsartige Anzünden einer Zigarette in „Wild At Heart“. Aber auch die Musik von Angelo Badalamenti, der seit „Blue Velvet“ die Filme des Regisseurs mit atmosphärischen Synthie-Flächen unterlegt, gehören zum organischen Klanguniversum Lynchs einfach dazu.
David Lynch von A-Z: Nicht zu Ende geboren
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Eine der vielen (vielleicht hilflosen, auf jeden Fall aber kreativen) Interpretationskrücken, mit der man Lynch beizukommen versuchte, ist die des „nicht zu Ende geborenen Mannes“, den der Regisseur laut dem Filmkritiker Georg Seeßlen in fast all seinen Filmen symbolisch und zugleich überkonkret inszeniert. Angst vor dem Erwachsenwerden Natürlich scheint hier „Eraserhead“ am Hintergrund auf, das symbolische Ur-Ei in „Lynchville“. Hier hat der Protagonist mit einem schockierenden, kreischenden, röchelnden, wurmähnlichen Wesen zu kämpfen, dessen Vater er angeblich sein soll. Aber auch der „Elefantenmensch“, der als menschliche Ungestalt auf die Welt kommt, folgt diesem theoretischen Konzept geradezu unheimlich konsequent. Doch der psychoanalytische Ansatz, der auch schon für Lynchs erste bedrückende Kurzfilme wie „The Grandmother“ fruchtbar gemacht werden kann, reicht noch wesentlich weiter, denn im Grunde geht es bei Lynch fast immer um junge Männer, die nach einer Erklärung
Smartphonezombies
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Wer auf sein Smartphone starrt, enterotisiert sich. Ein angestrengter Blick auf einen flimmernden Bildschirm, dem von außen zunächst kein Sinn zugeordnet werden kann, kennt keinen Charme, macht nicht neugierig, er hat nicht einmal etwas Vergeistigtes. Er bleibt stets ein zweckfreies Starren. Immerhin ist der Blick auf andere Geräte in der Regel mit Arbeit oder einem zielgerichteten Vergnügen verbunden, sei es nun ein Computer, ein Fernseher, ein Laptop oder sogar ein Tablet. Auch wer telefoniert, vermittelt anderen Menschen, dass er etwas tut, das nur ihn und denjenigen angeht, der an der anderen Seite der Strippe hängt. Doch das Smartphone bildet hier eine Ausnahme, mobilisiert es doch Sehnsüchte, Kommunikation, Informationsbedürfnis und was auch immer die Apps hergeben auf den schnellen, akkuzerrenden Hingucker zwischendurch. Der Handynutzer ist nur und ausschließlich mit sich selbst beschäftigt - selbst wenn er über SMS, WhatsApp, Facebook oder andere Diensten mit ander
David Lynch von A-Z: Metamorphosen
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David Lynch hat sich schon vor vielen Jahren die Filmrechte für „Die Verwandlung“ von Franz Kafka gesichert. Höchstwahrscheinlich wird es nie zu einer filmischen Realisation dieses einzigartigen literarischen Stoffes kommen – weil der Regisseur Kafka wirklich verehrt („Der eine Künstler, bei dem ich wirklich das Gefühl habe, er könnte mein Bruder sein“) und weil er wohl nicht so naiv wäre, die gewaltigen Assoziationen, die der Autor in seinen Texten weckt, mit seinen eigenen kühnen Bildvisionen zu verrechnen. Aber „Die Verwandlung“ passt auch deshalb, weil Lynch in all seinen Filmen Metamorphosen in den unterschiedlichsten Ausformungen zeigt. Seine Figuren puppen und enthäuten sich, verwandeln sich vom spießigen Familienvater in ein mordendes Monstrum, von der Blondine zur Brünetten (und umgekehrt) oder von einem Saxophonisten in einen Mechaniker. Dabei verfolgt der Regisseur streng das geheime Programm der Surrealisten (ohne sich freilich selbst je öffentlich dazu bekannt
David Lynch von A-Z: Labyrinth
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Worin besteht das Vergnügen, sich in einem künstlich angelegten Garten zu verirren, der möglicherweise viele oder gar keine Ausgänge hat? David Lynch ist der Großmeister der filmischen Labyrinthe. Seine Erzählungen sind verschachtelt („Mulholland Drive“), kennen unendlich viele Plot Points („Twin Peaks“), führen die eigenen Hauptfiguren in die Irre („Lost Highway“) und in einen undurchsichtigen Zitate-Dschungel der Popkultur („Wild At Heart“) oder des eigenen Werks („Inland Empire“). Damit kommt David Lynch die Rolle eines prophetischen Künstlers zu, der mit den Mitteln des postmodernen Kinos die Komplexität einer Welt beschreibt, die ihren eigenen Diskursen nicht mehr entkommen kann („Das ist eine Schlangenlederjacke. Sie ist ein Symbol meiner Individualität und meines Glaubens an die persönliche Freiheit“, Sailor in „Wild At Heart“). Man kann sich in diesen kunstvollen Labyrinthen, die nicht selten einer gewissen Traumlogik folgen, mit wohligem Schauer verlieren. Man kan
David Lynch von A-Z: Kult
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„Eraserhead“ begründete mit Filmen wie „El Topo“ von Alejandro Jodorwosky, „Pink Flamingos“ von John Waters und „The Rocky Horror Picture Show“ von Jim Sharman (allesamt Filme, die einer ähnlichen, längst verblühten Geisteshaltung entsprangen) in den 1970ern das Mitternachtskino in den USA mit. Fünf Jahre hatte Lynch an dem verqueren Un-Werk gedreht, sogar auf dem Set geschlafen, um den Film fertig zu bekommen. Seitdem ist Lynch einer der innovativsten Bildkünstler der Gegenwart, konnte sich Millionen-Flops wie „Der Wüstenplanet“ leisten, ohne dass sein Name Schaden nahm. Spätestens mit „Blue Velvet“, vor allem aber auch mit der weltweit von Fans verehrten und diskutierten Serie „Twin Peaks“, die er zusammen mit Mark Frost initiierte (Quality-TV, noch bevor der Begriff durch die „Sopranos“, „The Wire“ und „Mad Men“ zur Standardfloskel verkam, und nun mit „Twin Peaks: The Return“ noch einmal auf dem Weg, die Möglichkeiten des Fernseherzählens für immer zu verändern), wurde Lync
Straßenungetüme
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Eine Welt, in der immer mehr Menschen Autos (möglicherweise sogar für immer weniger Geld) kaufen und trotzdem die Umwelt vor Schadstoffbelastung zunehmend geschont werden kann, wird es nie geben. Es ist erschreckend, wie sich die notorisch von ihrem schlechten Gewissen geplagten Menschen gerade von der Autoindustrie hinters Licht führen lassen. Kein Entwurf für ein konkurrenzfähiges Elektroauto dürfte auch nur ansatzweise den gerne abgenickten und glänzend bedienten SUV-Boom stoppen, der allerdings fast allen größeren Unternehmen die Umweltbilanz verhagelt. Das macht ja nichts, denn BMW, Mercedes, Kia und Co. verdienen prächtig an diesen Straßenmonstern, die ihren Fahrern das Gefühl geben, selbst beim Familienausflug in einem Panzer durch die Landen zu röhren. Wehe, ein Radler stellt sich ihm in den Weg. Selbst ein Kleinwagen dürfte bei einem Unfall mit einem derartigen Sprit fressenden Ungetüm nicht einmal einen Kratzer an dem Gefährt hinterlassen. Im Durchschnitt stoßen
David Lynch von A-Z: Joyride
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David Lynchs Filme sind Trips in eine andere Welt, die von Gesetzen gesteuert werden, die eben nur dort – in „Lynchland“ – gelten. Jünglinge wie Jeffrey Beaumont in „Blue Velvet“ oder Paul Atreides in „Der Wüstenplanet“ (ironischerweise beide von Kyle Maclachlan als eine Art alter ego des Regisseurs angelegt) legen ihre Scheu ab und bahnen sich den Weg zu einem für sie zuvor kaum vorstellbaren Geheimnis, das ihr Leben für immer verändert. Ein Pärchen flüchtet quer durch die halbe USA vor einer wildgewordenen Mutter/Hexe, die eine Handvoll Killer auf sie angesetzt hat. Ein Mann verliert seinen Verstand und erlebt sich plötzlich in einer völlig anderen Realität. Das Bild bleibt die Straße im Dunkeln, die sich ewig dehnt. Lynchs Filme sind Joyrides, für seine Figuren, die wie Henry Spencer permanent im Urlaub oder irgendwie nicht beschäftigt sind, stetig vor neuen Initiationen stehen und mit (ihren) Dämonen zu kämpfen haben. – Aber es sind auch Joyrides für den Z
David Lynch von A-Z: Inspiration
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Lynchs filmische Methode könnte man noch am ehesten mit der écriture automatique der Surrealisten beschreiben. In unzähligen Interviews hat der Filmemacher beschrieben, dass er kaum eine nachvollziehbare Methode habe, zu seinen Erzählungen vorzudringen. Sie seien einfach da, wie Bilder vor den Augen, wenn man sich in einen Sessel setzt und seinen Tagträumen hinterher schaut. Lynchesk So hinterlassen seine Filme bei den Zuschauern auch den Eindruck, sie seien originell, könnten in der Form nur von Lynch und von sonst niemandem stammen. In diesem Zusammenhang spricht man deshalb auch von 'lynchesk' oder 'lynchig' (die Verwandtschaft mit dem Begriff des Kafkaesken ist durchaus kein Zufall, Lynch fühlt sich nach eigenen Angaben dem Prager Schriftsteller seelenverwandt) – als würde es ein spezielles Gefühl geben, das Lynchs Kinofilme, seine Musik, seine Bilder sofort auslösten. Dabei ist der Universalkünstler ein aufmerksamer Beobachter der Künste. Seine
David Lynch von A-Z: Hölle
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Nimmt man das melancholisch-stille Road-Movie „Straight Story“ einmal aus, so lässt Lynch seine Figuren in eigentlich allen Filmen unaufhaltbar in die Hölle fahren. Wobei die Bewegung, die Fahrt, der Prozess des (vor sich hin) Treibens eine große Rolle spielt. Auch wenn Henry Spencer von einer unheimlich deformierten Tänzerin, die in seiner Heizung wohnt, vorgesungen bekommt, dass im Himmel alles großartig sei, bleibt ihm schließlich, nach einem wahrlich surrealistischen Inferno, nur die Verwandlung in einen Radiergummi. Hölle, das ist bei Lynch auch ein Ort, an dem die Menschen mit ihren verdrängten Schattenseiten konfrontiert werden, ihren sexuellen Gelüste und aggressiven, sinnlosen Trieben. Gewalt und Gegengewalt wird hier mit großer visueller Kraft von ihrer ansonsten infantilen Verkleinerung im Kino befreit. Selbst Hollywood, die Traumfabrik, kann wie in „Mulholland Drive“ zum Moloch werden, in dem finstere Gestalten und mysteriöse Hintermänner heimlich die Strippe
Der Unterschied zwischen Leben und Kunst (2)
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Kunst ist für die Armen da!
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Kunst ist nicht für jene, die alles haben. Warum sollte sie auch? Für die Armen ist sie da. Für die also, die nichts haben. Ihnen spendet sie nicht nur eine Handvoll Trost – wie jenen, die alles bereits haben. Ihnen gibt die Kunst stattdessen Hoffnung und Arbeit. Arm, das sind nicht nur jene ohne Hab und Gut. Arm sind vor allem auch jene, denen es an geistiger und seelischer Kraft fehlt. Arm sind die Ausgestoßenen und Außenseiter, die sich auf die Wärme spendende Gemeinschaft nicht mehr verlassen können. Arm sind die Alleinstehenden, die – manchmal zur Liebe kaum fähig – alle Energie aus dem schöpfen, was ihr Herz beflügelt. Kunst befreit die Armen aber nicht von ihrem Armsein. So können nur jene denken, für die Kunst nicht mehr als Ablenkung vom starr gewordenen Dasein ist. Kunst schenkt den Armen, den Traurigen und Kranken, einen Sinn. In der Kunst erfüllt sich ihr Dasein, ohne dass es sie nötigt, es aus Scham ablegen zu müssen. Sie mögen auf den ersten Blick arm bleiben, aber
Von Poesie und Schönheit umwölkt
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Schon mit dem ersten Disney-Film lernt man im Windelalter: Das Kino lädt zum Lachen ein, rührt zu Tränen, erregt Angst und Schrecken und kennt keinen einzigen Moment der Langeweile. Wenn man nichts falsch macht im Leben, dann macht man diese Erfahrung mit jedem weiteren Film, der einen auf der großen oder kleinen Leinwand für einen Moment aus dem Alltag lockt. Doch sowie man irgendwann versteht, dass sich hinter den Märchen doch andere Botschaften verbergen, als zunächst auf den ersten Blick deutlich ist, so kann es passieren, dass statt der üblichen Unterhaltungsware plötzlich ein Film über die Mattscheibe flimmert, der durch seine Inszenierung von Zeit, Gesten, Bewegungen und Gedanken zutiefst verstört. (Diese Erkenntnis wird ironischerweise vor allem zunächst im Fernsehen gemacht, also dort, wo solche Streifen eigentlich am schlechtesten aufgehoben sind.) Weil er anders ist. Weil er vor allem den Intellekt herausfordert. Kurz gesagt: eine ungeplante Begegnung mit Kunst