Die Falte

Football ist ein so anschaulicher wie unberechenbarer Sport. Athletisch, taktisch anspruchsvoll, rasant. Für all diejenigen, die nur einmal im Jahr den Super Bowl sehen, ist es eine perfekte Show von Gladiatoren, die testosteronbetäubt aufeinander zustürmen. Doch die Schönheit und Dynamik dieses virilen Kampfspiels resultiert aus absoluter Imperfektion. Es kann alles passieren. Ein Quaterback wie Tom Brady, der nun mit den New England Patriots fünfmal die Endspielschlacht siegreich überstanden hat, liest die Fehler seiner Gegner und findet erst so die Räume, um die Partie mit Geschick an sich zu reißen. Dass ihm das in einem einzigen Quarter gelang, bei einem geradezu irrealen Rückstand, bleibt eine Sensation, die aus der Stärke des Gewinners resultiert und nicht aus der Schwäche des Kontrahenten, der unterlegenen Atlanta Falcons.

Ganz anders verhält es sich mit der Halbzeitshow, in der seit Jahrzehnten die bekanntesten Stars der Musikwelt für gerade einmal 13 Minuten unter Einsatz von Licht und Feuer ihre größten Hits zelebrieren. Ein Festival der Makellosigkeit, des technischen Brimboriums. Perfektion in Vollendung. Am vergangenen Sonntag war Lady Gaga an der Reihe. Sie sprang vom Bühnendach (okay, das war nur eine Illusion - aber das gehört ja zum Spiel dazu), sie hetzte über die Bühne, tanzte, verbog sich, schmetterte „Poker Face“ und all die anderen Hits, die in den vergangenen Jahren stets belangloser geworden waren. Ein gelungener Auftritt, ganz ohne Nippel, auch ohne angekündigte politische Botschaft in Richtung Donald Trump.
Aber dann sah man sie, die sich selbst in ihren Choreographien und Videos zur beliebig beschreibbaren Menschmaschine verwandelt, ihr Kostüm wechseln - und unter ihrem hautengen Top zeichnete sich so etwas wie eine Bauchfalte ab. Kein Bauchfett, eher ein Fetzchen Haut, das sich leicht um ihre sichtbar definierten Bauchmuskeln schmiegte. Ein Überbleibsel. Etwas, das die Sängerin nicht verschwinden lassen konnte. 

Und ich denke mir in diesem Moment, dass nun vor dem Bildschirm Millionen von Menschen sitzen werden, die den Blick längst von der aufreizenden Performance auf dieses sich immer noch formvollendet wölbende Körperteil richten würden, um dann nur Sekunden später in den sozialen Netzwerken davon zu berichten, als hätten sie auf einem Gemälde einen Fleck Tinte entdeckt. Beschämendes Body Shaming. Ich frage mich, ob es einen längst konditionierten Blick für solche Schönheitsfehler gibt, ein Bildrauschen, das in unserer Hochauflösungswelt zum Störfaktor wird.

Dabei gibt es kein Leben ohne Falte. 

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