Apropos AfD

10 Thesen zur Bundestagswahl 2017


  1. Die Bundesbürger demonstrieren mit ihrem Kreuz erneut, dass sie nach wie vor ein intaktes demokratisches Gespür haben und die Ausnahme-Regierungsform „Große Koalition“  ganz bewusst abwählen wollten. Ein Bundestag ohne erkennbare Opposition ist immer ein Problem und Gift für die politische Debatte. 
  2. Auch wenn die nackten Zahlen zunächst etwas anderes vermuten lassen, wurden die Regierungsparteien nahezu gleichsam mit Stimmentzug abgestraft. 
  3. Die deutschen Verhältnisse nach der Wahl liefern bei der erwartbaren Zusammensetzung einer Jamaika-Koalition die gemäßigte Beamtenversion jener Partikularisierung der Wählerinteressen mitsamt Stärkung der extremen Ränder wie sie in anderen Ländern Europas in den letzten Jahren ebenfalls aufgetreten ist.
  4. Im Grunde würde eine Zusammenführung wertkonservativer, liberaler und linker Politik doch genau jenen eklektischen diskursiven Mainstream auf Regierungsebene verankern, der in Deutschland in den letzten Jahren in fast allen gesellschaftspolitischen Entscheidungsfragen zur Gewohnheit geworden ist.
  5. Wer sich nun fragt, wo da die Wertschätzung der Sozialdemokratie bleibt, obwohl es in der letzten Legislaturperiode des Bundestags vor allem sozialdemokratische Themen auf die Agenda geschafft haben, der verkennt vielleicht, dass es jenen symbolischen Rückhalt für die Bedeutung der Marke 'Sozialdemokratie' längst nicht mehr gibt. Nur Sozialdemokraten reden noch bedeutungsbesoffen von dieser erodierten Machtchiffre. Den meisten Menschen ist sie schlicht egal geworden, was wohl auch lakonische und pragmatische Weltbetrachtung ist (siehe Agenda 2010). Längst haben alle anderen Parteien die DNA sozialdemokratischen Handelns geknackt und in ihr Parteiprogramm implementiert.
  6. Das sollte noch einmal das Bewusstsein schärfen, dass bei einem Bundestag mit künftig sechs verschiedenen Fraktionen inzwischen die Hälfte Protestparteien sind, die SPD im Wahlkampf mit einer künstlichen und nun bald virulent werdenden Oppositions-Haltung kokettierte und sich die FDP mit der bewussten Kleinhaltung tendenziöser Wahlthemen selbst als eine Art Protestpartei gerierte.
  7. Die Frage, wer nun aus welchem Grund Schuld trägt an dem Wahlergebnis (und dem auch von den Demoskopen in der Höhe nicht ganz erwarteten Wahlerfolg der AfD), ist müßig. Schon deshalb, weil es allen Parteien zur Gesichtswahrung in immer wieder mit voller Absicht herbeigeredeten „schwierigen Zeiten“ darum ging, einen möglichst defensiven, provokations- und inhaltsarmen Wahlkampf zu führen. Dem aufmerksamen Bobachter bot sich der Eindruck, dass es lediglich darum ging, Schaden zu begrenzen. Das Ergebnis kann deshalb für niemanden eine Überraschung gewesen sein, der sich wenigstens etwas mit deutscher Politik beschäftigt. Für alle Entscheidungsträger galt das Motto: Keine Experimente wagen. Die FDP hatte in der Vergangenheit Erfolg mit der nahezu narzisstischen Fokussierung auf ihren Parteivorsitzenden (NRW-Wahl!). Also beließ sie es auch im Bundestagswahlkampf dabei. Die SPD setzte auf romantische Schlagwörter (soziale Gerechtigkeit), die CDU/CSU bemühte sich um die Verzierung der Standpunkte „Uns geht es allen doch besser als anderswo“ und „Mutti wird's schon richten“, die Linke und die Grünen hielten sich mit dubiosen Steuerkonzepten und euroskeptischen Perspektiven zurück, da zuletzt sogar Menschen für Europa auf die Straßen gingen, und die AfD reproduzierte jene auch schon in anderen europäischen Ländern gezielt eingesetzten rechtspopulistischen Wortspielereien und medienwirksamen Abwesenheits-Performances (Weidels TV-Abgang!), die sie vor allem für Nichtwähler als Außenseiter dastehen ließ und daher als Protestpartei nur umso wählbarer machte. 
  8. Die AfD wird nach der Zusammensetzung des neuen Bundestags zunächst eine unbekannte Größe bleiben - nicht nur weil der Öffentlichkeit ein Großteil ihres Personals noch völlig unbekannt ist, sondern auch weil es den meisten Menschen, die diese Partei gewählt haben, wohl auch nicht so wichtig ist, wen sie dort in den Kampf um die Gestaltungspolitik der Zukunft schicken. Dort, wo die AfD bereits im Landtag vertreten ist, sorgen ihre Vertreter mit voller Absicht für Störfeuer, liefern sie abstruse Argumente und werden von ihren politischen Gegnern zurecht dafür heftig kritisiert und abgemahnt. Geholfen hat es nichts. Die Machtperspektive der AfD ist die Fundamentalopposition, ob sie nun rechtspopulistischen oder gar rechtsradikalen Tendenzen folgt oder nicht. Ihre Stärke bezieht diese Partei, die schon in den vergangenen Jahren dadurch auffiel, ein heterogener Haufen ohne klare Führung und ohne sinnstiftende Idee zu sein, daraus, dass sie als politische Kraft entweder nicht ernst genommen oder gleich in ihrer Existenz von den anderen Parteien negiert wird. Was einst gegen rechtspopulistischen Parteien wie die Republikaner half, als diese noch in den dunklen Ecken standen, quasi ohne Teilhabe am politischen Prozess, ist nun unmöglich geworden. Der Auseinandersetzung kann nicht ausgewichen werden - und sollte es auch nicht.
  9. Tatsache ist allerdings, dass Demoskopen bereits vor vielen Jahren darauf hingewiesen haben, dass es in Deutschland ein latentes Potenzial von etwa 15 Prozent Wählern gibt, die - ob sie nun in der Vergangenheit zur Wahlurne gestiefelt sind oder nicht - eine harte rechtskonservative Politik mit ausländerfeindlichen Akzenten und regressiven Tendenzen für eine so nie existente Heimatrepublik wünschen. Es ist kein Geheimnis, dass ein Großteil dieser potentiellen Wähler in Ostdeutschland zu finden ist, wo sich jene absurde Ideologie von einer konfliktfreien, von den Unwägbarkeiten der Globalisierung verschonten Abschottungsgesellschaft verbindet mit der Erkenntnis, dass die Unterschiede zwischen der einst konstant prosperierenden BRD und der zerbrochenen DDR mit einer lediglich auf Angleichung ausgerichteten Finanzpolitik alleine nicht aufzuheben waren. Hier scheint die AfD eben nicht nur Protestpartei, sondern auch Sehnsuchtsorganisation für eine alternative Realität zu sein, die nicht nur auf (leere?) Prognosen für blühende Landschaften beruht, sondern eine von der depressiven Gegenwart abweichende neue Identität verspricht. Eine rückwärtsgewandte, paradoxerweise zukunftsfeindliche Utopie. Und deshalb so gefährlich, weil Utopien in diesen malancholischen Zeiten Mangelware geworden sind.
  10. Überhaupt ist in den letzten Monaten, vielleicht sogar Jahren das brach liegende Potential der identitätsstiftenden Wunschmaschinen zu wenig beachtet worden, so dass der rasche Aufstieg einer rechtspopulistischen Bewegung, die nun wirklich viel Zeit hat, sich entweder im Streit über Themen zu zersetzen, oder für lange Zeit wie ein Staubsauger für links wie rechts liegen gelassene Sujets und Debatten fungieren könnte, nicht mehr zu verhindern war. Es wird nicht genügen und wohl auch gar nicht gelingen, rechte Imaginationen von „Volk“ und „Heimat“ zurück zu besetzen. Mal abgesehen von der Frage, ob dies überhaupt notwendig ist, da es sich möglicherweise längst um leere Begriffe handelt. Die CSU wurde bei der Bundestagswahl vom Wähler nicht deswegen abgestraft, weil sie dies zu wenig nachhaltig versucht hat, sondern weil sie sich überhaupt in der (durchschaubaren) Form damit brüstete. Wenn der Erfolg der AfD auch mit dem längst etwas schal gewordenen Argument von der Wählerverdrossenheit erklärt werden soll, so bliebe vor allem auch festzuhalten, dass die Zustimmung sich zu einem nicht unerheblichen Teil auf die Verweigerung der öffentlichen politischen Debatte zurückführen lässt. Da wirkt es dann fast tragisch, wenn darauf hingewiesen wird, dass die Medien den Popularitätsschwung der Partei mit zu verantworten hätten, weil sie den öffentlichkeitsgierigen Politikern der AfD zu viel Aufmerksamkeit geschenkt oder gar ihre offensiven Themen in den wenigen, angeblich wahlentscheidenden Fernsehsendungen bei den öffentlich-rechtlichen Kanälen zu auffällig bedient hätten. Solche Argumente bringt die AfD als Angriff auf die etablierten, als elitär und meinungsverzerrend verspotteten Medien nur eben anders angemalt ganz genauso hervor. Da sich alle sichtbaren Parteien dafür entschieden haben, vor allem auch im Fernsehen, in den Zeitungen, im Radio und im Internet auf einen konfrontativen Wahlkampf zu verzichten, können 'die Medien' auch keine Schuld daran tragen, dass zum Schluss etwas anderes herauskam als ein simpel zu handhabendes „Weiter so!“. 

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