It's A Mad, Mad, Mad World
Es mag wie eine Kapitulation vor den immer mieser werdenden (ökonomischen) Umständen anmuten. Doch in Wahrheit hat sich „Mad“ nur den größten aller Jokes für den Schluss aufgehoben. In dem Moment, in dem die Welt exakt zu jener Parallelgalaxie des Schwachsinns geworden ist, die „Mad“ mit Spott und subversiver Verve gegen die unerträglichen politischen und kulturellen Zwänge des vergangenen Jahrhunderts herbei fantasiert hat, streckt es die Waffen.
In diesem Jahr wird in den USA wohl die letzte Ausgabe des legendären Satire-Magazins erscheinen. Ein langjähriger Mitarbeiter verriet es in einer privaten Facebook-Gruppe, ein Blogger las mit - und nun ist die Katze aus dem Sack.
Das lange Zeit auf billigem Papier und ausschließlich in Schwarz-Weiß gedruckte Blättchen zelebrierte mehr als ein halbes Jahrhundert Zoten, delektierte sich an der Lust der Leser, nichts und niemanden zu Ernst zu nehmen. Das kam an. Mehrere Generationen wuchsen mit den skurrilen Onomatopoesien von Don Martin auf („Zappadoing!“), sie verstanden „Star Wars“ und „Der Pate“ erst, als sie Mort Druckers ätzende Filmparodien entzifferten.
Alfred E. Neumann hat ausgegrinst
Und Alfred E. Neumann, diese heute fast etwas possierlich anmutende Mutation eines debilen Pennälers mit selbstbewusst vorgetragener Zahnlücke, erschien ihnen wie ein Held des Alltags, der jeder Benimmregel den blanken Hintern entgegenstreckte. Auf Hunderten Ausgaben grinste er auf dem Cover vor sich hin. Viele davon, gerade in den 60er- und 70er-Jahren, sind brillante Karikaturen des American Way Of Life und ziehen einen Kinofilm nach dem nächsten treffsicher durch den Kakao. Die aktuelle Nummer zeigt ihn als diabolisches Gaumenzäpfchen in einer vom Zahnarzt furchtlos geöffnetem Mundhöhle.
Natürlich gibt es gute Gründe für das „Mad“-Aus. Seit Jahren nahm die Auflage kontinuierlich ab. Ein Schicksal, das die Zeitschrift gewiss mit vielen anderen Titeln teilt. Aber was noch schlimmer wiegt, ist der Verlust an Relevanz. Die große Stärke von „Mad“ war es stets, Marken und Menschen den Spiegel vorzuhalten, sie wegen ihrer Berühmtheit lächerlich zu machen, gar zu denunzieren. Zuletzt labte man sich aber immer häufiger an den immer gleichen Ikonen des Blödsinns, weil sie sich eben besser am Kiosk verkaufen. Und weil das Internet vollgestopft ist mit vermeintlicher Satire.
Vor einigen Monaten wagten die US-Verleger von DC Comics, zu dem „Mad“ gehört, deshalb einen Neustart. „Simpsons Comics“-Zeichner Bill Morrison sollte den schlingernden Unterhaltungstanker wieder in ruhige Gewässer manövrieren. „Mad“ versuchte es mit Nostalgie. Layout und Ansprache erinnerten an die anarchistischen Anfänge in den 50ern und 60ern, als das Heft zunächst noch „Tales Calculated To Drive You Mad“ hieß und wild mit Sujets und Stilen experimentierte. Die Erscheinungsweise wurde auf vierteljährlich umgestellt.
Aber „Mad“ war eben nie ein Coffeetable Book für den richtigen Augenblick. Es feierte nicht ironisch den Nonsens, sondern wollte mit aller Kraft Ramsch sein. Auch deshalb wuchsen viele Leser schnell aus dem „Mad“-Alter heraus. Früher gaben die zu Vätern gewordenen Ex-Leser die Begeisterung für Cartoons und flapsige Witze an ihre Söhne weiter. Das hat sich geändert.
Künftig sollen nur noch alte Geschichten nachgedruckt werden. „Mad“ lebt als nostalgische Reproduktion der eigenen Vergangenheit fort. Was für eine Pointe! Ein Magazin, das lange davon lebte, den Zeitgeist mit Kalauern und Karikaturen auseinander zu nehmen, verweigert sich künftig der Gegenwart.
Aber es war nun einmal eine andere Zeit, in der das „intelligenteste Magazin der Welt“ massiv auf die amerikanische Populärkultur einwirkte.
Dieser Einfluss kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Die Autoren und Zeichner (darunter Sergio Aragones, Al Jaffee, Jack Davis, Norman Mingo und Antonio Prohias, um nur einige der bekanntesten zu nennen) wühlten sich mit unerschöpflichen absurden Ideen tief in die Köpfe des Publikums. Kein anderes Comicheft inspirierte so viele Menschen dazu, sich ebenfalls der humoristischen Zeichenkunst zu widmen. Kein Komiker, der sich nicht auf „Mad“ als wichtigste Referenz für sein Schaffen berief. „Saturday Night Live“ gäbe es ohne „Mad“ nicht. Matt Groening und die Macher der „Simpsons“ schöpften viele Staffeln lang aus dem Humorreservoir des Magazins und verneigten sich mehrfach deutlich vor dem großen Vorbild. Inzwischen hat auch diese Bastion der amerikanischen Gesellschaftskritik an Schärfe verloren.
Das Konzept von „Mad“ ließ sich viele Jahre lang glänzend auf andere Länder und Sitten übertragen. Die deutsche Lizenzausgabe, 1967 von Verleger Klaus Recht auf den Markt gebracht und später von Chefredakteur Herbert Feuerstein erfolgreich und eigensinnig weiterentwickelt, feierte erst vor zwei Jahren 50. Jubiläum. Seit diesem Jahr gibt es das in Farbe immer fader gewordene Blatt hierzulande aber auch nicht mehr.
„Mad“ wird nicht mehr gebraucht. „What, Me Worry“ (Was, ich besorgt? - oder noch passender in der deutschen Blattübersetzung: Na und?), das Motto von Alfred E. Neumann, passt aber auch für den Abgang wie die Faust aufs Auge.
Zuerst erschienen im Tagesspiegel, 05. Juli 2019
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Ich erinnere mich noch sehr genau daran, als ich mein erstes „Mad“ in den Händen hielt. Besuch in der Bibliothek, aber ein ganzes Regal voll mit „Mad“-Heften lenkte mich davon ab, auch nur ein Buch anzurühren. Ich blätterte durch die billig gedruckten Seiten, die einen furchtbaren Geruch verströmten. Das Layout war ebenso furchtbar, die Wortspiele und „redaktionellen Beiträge“ schundig. Das deutsche „Mad“ kurz vor seinem Schwarz-Weiß-Ende.
Mich interessierten zunächst vor allem die Filmparodien im Heft. „Jurassic Park“. Gleich zu Beginn die entlarvende Figurenvorstellung. Man musste erst den Film gesehen haben, sonst verdarb man ihn sich mit „Mad“. Was in manchen Fällen gar nicht das Schlechteste war. „Ich bin Dr. Allin' Grunt, weltbekannter Dinosaurierexperte. Ich bin so sehr in meine Arbeit vertifet, dass die meisten Menschen annehmen, ich wäre eine gefühlskalte Person.“ Zack! Die Zeichnungen von Mort Drucker, der sich die prägenden Gesten der Schauspieler zueigen machte und sie auf Übergröße aufpumpten, gehören noch heute zu den besten in dieser längst sogar vom Kino übernommenen Disziplin („Scary Movie“ und „Sharknado“ hätte es ohne „Mad“ nie gegeben).
Man kann den Machern von „Mad“ ganz gewiss nicht unterstellen, dass ihr Humor hintersinnig war. Nichts an „Mad“ war je ironisch. Der Blödsinn war so heilig und ernst, weil er eben als Waffe eingesetzt wurde gegen den tatsächlichen Wahnsinn. Und dieser Wahnsinn war der unaufhaltsame Aufstieg der Populärkultur, die Verkleinerung des politischen Diskurses auf Kitsch und gespielter Kontroverse, ja - auch die Welterklärung in Bildchen- statt in Textform. „Mad“ begleitete diese neue Bewegung dieses korrosiven Antiintellektualismus genüsslich und feierte den Untergang des Abendlandes. Weil er immer weit entfernt lag.
Man kommt sehr schnell aus dem „Mad“-Alter heraus. Bei mir war es schon mit 17 Jahren soweit. Mein Interesse für das Kino, einst der Grund für die Lesebegeisterung gewesen (vielleicht auch Sergio Aragones, der damals präsenter war als der bereits zum Klassiker gewordene Don Martin, und etwas die einzige deutsche „Mad“-Legende Ivica Astalos), weitete sich zur Leidenschaft. Aber „Mad“ interessierte sich nicht (mehr) für Kubrick und noch nie für Bergman, Pasolini, Tarkowskij und Rivette. Vielleicht blicke ich deshalb inzwischen auf nichts humorbefreiter als aufs Kino.