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Es werden Posts vom März, 2012 angezeigt.

Lob der Sensibilität (4)

Verteidigung der Sensibilität vor den Tücken der Sentimentalität Der Sensible unterscheidet sich vom Sentimentalen schon dadurch, dass er eher die Einsamkeit sucht, oder zumindest mit Einsamkeit besser zu Recht kommt. Der Sentimentale kann nicht allein sein. Er fürchtet sich davor, denn er braucht ein Ventil für seine Gefühle. In Wahrheit fühlt der sentimentale Mensch erst durch den Spiegel eines Anderen. Spricht er nicht über seine Gefühle, dann fühlt er nicht. Ganz anders der sensible Mensch: Er muss sich von Zeit zu Zeit in Einsamkeit flüchten, weil ihn die vielen Reize, die ihn umgeben – Signale, die seine Seele berühren und seinen Körper aufwühlen –, überfordern. Deshalb hat der Sensible auch eine völlig andere Beziehung zur Natur als zum Beispiel der Sentimentale. Der empfindsame Mensch, hier irrten die Romantiker, flüchtet nicht in Waldeinsamkeit, um sein Gemüt anzuregen. Vielmehr ist der Sensible gegenüber der Natur und ihren komplexen Prozessen mit Ehrfurcht erfüllt. Di

Lob der Sensibilität (3)

Verteidigung der Sensibilität vor den Tücken der Sentimentalität  Vielleicht wird das übersteigerte Körpergefühl des Sensiblen am meisten vernachlässigt, wenn es um seinesgleichen geht. Tatsächlich hat ein sensitiver Mensch eine ganz andere Beziehung zu allem, was sich mit ihm – also mit seinem Körper – ereignet. Schmerzen nimmt er anders war, nicht selten sogar mit einem undurchsichtigen Vergnügen am Leiden. Viele sensible Menschen sind Hypochonder. Aber auch zärtliche Berührungen, die zur Lust anregen sollen, können für ihn zum schmerzerregenden Sturm der Sinnesüberreizung werden. Der empfindsame Mensch kennt seine erogenen Zonen ganz genau. Manchmal fürchtet er sich vor ihnen. Übrigens treten sentimentale Menschen mit weitaus größerer Körperbeherrschung auf als sensible. Empfindsamkeit führt oft zu einer verrenkten Ungeschicklichkeit in der Bewegung.

Lob der Sensibilität (2)

Verteidigung der Sensibilität vor den Tücken der Sentimentalität  Es ist leider so, dass die meisten Menschen, die sich als sensibel bezeichnen und mit ihrer angeblichen Empathie sogar zu prahlen bereit sind, äußerst sentimentale Menschen sind. Sentimentalität ist aber das Gegenteil von Sensibilität. Es ist das Bewegt-Sein am eigenen Bewegtsein. Vergleichbar mit dem Liebesbriefeschreiber, der von seinen eigenen Worten an die Liebste zu Tränen gerührt ist. Der sentimentale Mensch spricht oft von Gefühlen, und er zeigt sie. Er zeigt sie präzise und zuverlässig in solchen Situationen, in denen sie ihm und anderen angemessen erscheinen. Oft zeigt er sie auch, wenn sie nicht mehr angemessen sind. Ein sensibler Mensch verhält sich im Grunde völlig anders. Er versteht und ergreift die eigenen Gefühle und die Gefühle anderer – erst einmal ganz ohne Worte und Taten. Sensibilität führt zu Dezenz. Sentimentalität verführt zu Theater.  Es ist ein weiterer Irrglaube, dass sich Sensibi

Lob der Sensibilität

Verteidigung der Sensibilität vor den Tücken der Sentimentalität Ich möchte in keiner Welt leben, in der Emotionen alles zählen, Gefühle aber nichts. Gefühle bleiben im Verborgenen. Sie dringen nicht ans Tageslicht. Emotionen drücken hingegen Gefühle aus. Sie sind sichtbar. Sie können Gefühle ehrlich widergeben. Sie können aber auch gespielt und unecht sein. Gefühle selbst können nicht unwahr sein. Und wenn sie es sind, dann leidet die Seele Qualen. Sensibel zu sein, bedeutet, die Gefühle anderer erahnen zu können (denn mehr ist nicht möglich) und die eigenen Gefühle verstehen zu lernen (denn was prägt, muss verstanden werden wollen).  In Wahrheit gibt es nur sehr wenige sensible Menschen.  Die zu Sensibelchen erkorenen Exemplare sind es in der Regel nicht. Was Sensibilität wirklich ist, steht in den Sternen. Es gibt keine Kriterien dafür, wann ein Mensch besonders einfühlsam ist und wann nicht. Anhaltspunkte für sensible Reaktionen gibt es hingegen schon. Nicht zuletzt