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Prolog

Über dem Nadelöhr

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Dein entsetzter Blick, als du sahst, dass dein Pullover längs deiner Schulter einfach so aufgerissen war. Schlechter Stoff, schlecht verarbeitet, dachte ich.  Doch nachdem du für einen Moment die Beherrschung verlorst (und ich vermutete, dass du das Teil nun in die Ecke pfeffern, es vielleicht sogar direkt in den Mülleimer befördern würdest), schnapptest du dir Nadel und Bindfaden und machtest dich  mit konzentriertem Blick daran zu schaffen.  Ich setzte mich neben dich und schaute dir, still und beinahe ohne zu atmen, dabei zu, wie du die hauchdünne Schnur in den Fetzen deiner Bluse zum Verschwinden brachtest. Hinein, schnell durchgezogen, festgezurrt, zurück. Noch einmal. Und noch einmal. Bis sich kaum noch sagen ließ, dass dort einmal ein Loch, ein Nichts gewesen ist.  Die Minuten vergingen und du sagtest kein Wort. Als du dein Werk vollbracht hattest und weniger mit Stolz als vielmehr mit dem Gefühl, das Notwendige getan zu haben, zurück hinein in dein Kostüm schlüp

Intelligenz und Intellekt

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Es gibt einen Unterschied zwischen Intelligenz und Intellekt. Die Ironie besteht darin, dass die meisten intelligenten Menschen keine Intellektuellen sind und sehr viele Intellektuelle nicht unbedingt einen erhöhten Intelligenzquotienten haben.  Intelligenz bedeutet, etwas verstehen zu können. Intellekt meint eher, etwas verstehen zu wollen. Während also die einen aus etwas schöpfen, das ihnen zur Verfügung steht und von dem sie wissen, dass es einen Wert hat, graben die anderen nach etwas, von dem sie glauben, dass es sie und womöglich andere bereichert.  Das, was Intelligenz hervorbringt, genügt sich selbst, braucht keine Begründung. Das, was Intellekt produziert, bedarf immer einer Bezugnahme auf andere(s).

Zu verschenken

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(I Can't Help) Falling In Love With You

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Die Musikgeschichte schäumt über vor Love Songs mit unvergesslichen Zeilen. Auch nur ein paar zu nennen wäre ungerecht gegenüber all jenen, die man vergisst oder aus trotzigen Gründen ignoriert. Doch die schönsten Zeilen, die jemals in einem Liebeslied zu hören waren, stammen aus dem von George David Weiss, Luigi Creatore und Hugo Peretti geschrieben und von Elvis Presley intonierten „(I Can't Help) Falling In Love With You“: „Take my hand, take my whole life too For I can't help falling in love with you.“ Die sich ineinander schließenden Hände, die zarte Begegnung, die keinesfalls ohne Folgen bleibt. Plaisir d’amour (wie die französische Melodievorlage von Jean-Paul-Égide Martini zu dem Song heißt), reine Freude an der Liebe - nimm mich so, wie ich bin. Mit nur einer Berührung schlagen zwei Herzen in einem Takt und zugleich wird sichtbar: Liebe bedeutet Verantwortung. Der Liebende bekommt die Lebensgeschichte eines anderen Menschen überreicht, auf dass er s

Geflochten

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Spread Your Wings

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Kennenlernen

Man weiß nichts über einen Menschen, bis man ihn in die Enge treibt.

Der Apokalyptiker (3): Schuld und Sühne

Längst hat sich Haneke auch zum Schauspielerregisseur gemausert, dem die großen Vertreter(innen) der Zunft nur zu gerne in den erzählerischen Abgrund folgen. Das ist das Verdienst von Juliette Binoche, die den Regisseur zur Jahrtausendwende nach Frankreich lockte und mit ihm die überraschend poetische und natürlich dennoch spitzfindige Film-Rhapsodie „Code: unbekannt“ drehte. Der weithin unterschätzte Film sollte längst als eines der Schlüsselwerke Hanekes betrachtet werden, vereint der Regisseur doch hier – mit eindrucksvollen Plansequenzen – alle seine bedeutsamen Themen der frühen Werke mit einer wesentlich zugänglicheren, pointierteren Inszenierung. Schaut man auf die von Terror, Fremdenhass und Demokratieerosion geprägten Gegenwartsdiskurse, dann findet man alle wesentlichen Triebfedern für das, was zur Zeit bewegt, in diesem ergreifenden, aber auch stillen Mosaik von einem Film.  Mit der „Klavierspielerin“ zeigte Haneke 2001, dass es ohne Probleme möglich ist, etwas von Elfr