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Es gibt sie seit dem Beginn des Streaming-Zeitalters viel häufiger als früher: Diese Typen, die behaupten, sie würden sich alles, was sie sehen, nur im Original-Ton anhören. Sie meinen damit oft, dass sie, weil sie dieser Sprache mächtig sind, alles in Englisch verfolgen, weil es sich ohne Synchronisation völlig anders anhörte. 

Damit haben sie natürlich recht, denn der Übertragungsprozess in eine andere Sprache bringt Kürzungen und emotionale Verschiebungen mit sich. Man hört es am schönsten, wenn etwa deutsche Schauspieler, die in Hollywood reüssieren, ihre eigenen Filme synchronisieren. Manche kokettieren möglicherweise sogar mit diesem Fremdheitseffekt, jedenfalls sollte man das für die launigen Übersetzungssprachleistungen von Christoph Waltz als Ironievariante nicht ausschließen. 

Trotz dieses natürlich auch als Distinktionsgewinn zu verstehenden Rezeptionsverhaltens - man hört es immerhin manchmal noch bei französischen, italienischen oder spanischen Filmen und Serien, aber fast so gut wie nie bei japanischen, polnischen, schwedischen und anderen Produktionen, da wird die Luft für die Unverfälschbarkeitsfetischisten dünner - ist das natürlich unfair gegenüber der viele Jahrzehnte mit einiger Akribie und in manchen Fällen auch theaterhaften Präzision eingespielten akustischen Translation. 

Gerade Deutschland ist hier im Vergleich zu anderen Nationen mit sehr viel Qualitätsbewusstsein aufgefallen. Manchmal wird gar die Vorlage übertrumpft („König der Löwen“), es wird mit Witz und Verve verbessert („Die Zwei“) oder mittels anspruchsvoller Dialogregie werden Leerstellen der Inszenierung ausfüllt („Eyes Wide Shut“, mit dem von Stanley Kubrick persönlich beauftragten „Heimat“-Regisseur Edgar Reitz als Choreograph der Synchronisation). 

Andererseits spricht dieser Prozess vielleicht auch Bände darüber, dass dieses Land eben kein Volk von Filmliebhabern ist. Weil seine Bürger alles übersetzt bekommen möchten und weil sie sich neben der Verweigerung der fremden Sprache auch nicht auf andere kulturelle Gepflogenheiten einlassen wollen, es sei denn sie werden als exotische Klischees konsumerabel gemacht. 

Wer nur englische Produktionen im Original hört, hat natürlich aufgrund der Hollywood-Dominanz immer noch leichtes Spiel. Doch wem bewegte Bilder am Herzen liegen und wer sich als Cineast versteht, der muss zwangsläufig über den Tellerrand blicken und auf Untertitel setzen. (Das ist natürlich auch eine Haltungsfrage, die manche mit religiösem Eifer erfüllen; eine Gretchenfrage erübrigt sich hier meist schon, wenn der Blick aufs gut gefüllte und selbstverständlich mit Import-Varianten ausgestattete DVD-Regal fällt.) 

Nun gibt es ebenso viele Menschen, die sich schaudernd vor der Anstrengung abwenden, mit den Augen 90 Minuten oder länger immerzu auf und ab zu blicken, also zwischen Bild und Text hin und her zu springen, wie solche, die angeblich alles nur in der Ursprungsfassung schauen. 

Ob ihnen das beim schottischen Drogenrausch von „Trainspotting“ oder dem Baltimore-Slang in „The Wire“ auch so leicht fällt, mag dahingestellt bleiben. Aber für Cineasten ist die Sache ziemlich einfach: Es geht nicht ohne, es ist keine Frage der Wahl. Denn wer Filme nicht nur liebt, sondern sie für den eigenen Erfahrungshorizont benötigt wie Kosmopoliten die Reisen in weit entfernte Länder und Gourmets die Mehrgangmenüs, schaut eben auch einen philippinischen oder ungarischen Film mit englischen Untertiteln, weil es sie nur in einer britischen Importfassung auf DVD gibt und das Interesse für den Stoff die Befürchtung selbstverständlich überwiegt, beim fließenden Lesen überfordert zu werden. 

Immerhin macht es einem der ungarische Regisseur Bela Tarr mit seinen überlangen und trist-anspruchsvollen Leinwandmalereien da etwas leichter, viel gesprochen wird in seinen Filmen nicht. Dafür regnet es darin umso mehr. Trotzdem schade, dass ein Monument wie „Satanstango“, immerhin auch mit deutscher Förderung gedreht, weder in deutscher Übersetzung noch überhaupt irgendein Film des schwermütigen Bilddenkers auf dem deutschen Heimvideomarkt verfügbar ist. 

Um es einmal klar zu sagen: Wer Untertitel ablehnt, ist höchstwahrscheinlich kein Cineast. Dabei gibt es mit Untertiteln viel zu entdecken. Sie befähigen auch, andere Sprachen zu lernen (das Netz ist voll von Listen mit Netflix-Serien, die dazu beitragen sollen, den nächsten London-Besuch entspannter zu gestalten) und stimulieren Hirnzonen, die wohl vorher brach gelegen haben, wenn etwa ein französischer Film mit viel Text mit englischen Untertiteln neuronal ins Deutsche übersetzt wird. 

Aber einen überraschenden Mehrwert haben sie bei Audiokommentaren, wenn der Film in der synchronisierten Fassung gesehen wird und dazu die Gedanken der Filmleute hinzugeschaltet werden. Nun, da sich das analoge Zeitalter dem Ende zuneigt und Silberlinge gewiss keine Halbwertszeit von einem halben Jahrhundert haben werden, erweckt der Audiokommentar den Eindruck, eine ausstrebende Kunstform zu sein. Das chambrierte Schwafeln mancher Schauspieler mag verzichtbar sein, das Entziffern jeder Leinwandmagie von einigen technophilen Regisseuren gar lästig, aber manches eignet sich vielleicht auch als Schule des Sehens. 

Vor nicht allzu langer Zeit verwies der deutsche Autor Daniel Kehlmann darauf, dass er das Schreiben auch lernte oder zumindest verbesserte, in dem er sich die frühen „Simpsons“-Staffeln auf DVD anschaute und dazu die Audiokommentare der Drehbuchschreiber, der Produzenten und Synchronsprecher mit Untertiteln nebenher verfolgte. Jede Folge ein kleines Lehrstück der ansprechenden Erzähltechnik. Und in der Tat ist es ein Geschenk, die wunderbaren ersten Seasons dieses „einzigen postmodernen Kunstwerks“ (Diedrich Diedrichsen) so erklärt zu bekommen, während man noch einmal ihre witzigsten und weisesten Stellen abtastet. Es gibt kein ansteckendereres Lachen auf Disk zu erleben als das von Matt Groening und seinen Kollegen, die beim Schauen ihres eigenen Werkes die schönsten Einfälle anzählen, bevor sie zu sehen sind, um dann gemeinsam schallend darüber zu lachen. 

Vielleicht muss man allerdings Cineast sein, um darin Schönheit für sich zu entdecken. Und in diesem Fall dann doch die Untertitel ausschalten, um der Gaudi auf der separaten Tonspur zu lauschen.

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