Die heilende Kraft des Zähneputzens


Wenn das Leben außer Takt gerät, dann wird oftmals zuerst auf das tägliche Zähneputzen verzichtet. Einmal nicht mit der Bürste hantieren, kann ja nicht so schlimm sein. Ein paar Minuten am Tag. Gespart. Aber warum wird ausgerechnet an der Dentalhygiene geschraubt? Neben den täglichen Dringlichkeitsverrichtungen ist diese Waschung doch von eigentümlicher Geometrie. 

In der Dusche oder Wanne gibt es ja stets einen neuen Rhythmus. Der Waschlappen verträgt sich gut mit der Improvisation. Aber das Gebiss wird ab einem bestimmten Alter ganz mechanisch fast immer gleich bearbeitet. Selbst die Menge an Zahnpasta, die auf das analoge oder digitale Borstengestell aufgetragen wird, bleibt fast immer ähnlich, je nach Schaumbedürfnis und Vorliebe für die richtige Zahncreme. Die Minznote ist entscheidend. Manche mögen es scharf, andere akzeptieren es salzig, wenn nur die Inhaltsstoffe stimmen. 

Dann rotiert die Bürste. Rechts, links, im Uhrzeigersinn, im 4/4-Takt, mal mit federnder Leichtigkeit, mal mit ungetrübter Härte (man beobachte die Bürstchen in den Bechern beim Besuch von Freunden und Verwandten – bei einigen sehen sie aus wie neu, bei anderen wie zerschrubbt), hin und wieder über die Zunge gestrichen, mit unbewusster Vorliebe eher für die Schneidezähne oder für die Backenzacken, zwischendurch mit Pause oder in einem Guss, nach dem Ausspucken (seltener: Runterschlucken) der Pflegemittelgischt mit Wasserspülung gibt es hier und da eine trockene Fortsetzung mit der Bürste. 

Das Zähneputzen, es ist ein eingeübter Kreislauf, man könnte es womöglich sogar im Schlaf verrichten. Aber es ist eben auch eine Gewöhnung, und alles, was gedankenlose Disziplin verlangt, scheint dem Grübelnden ein Graus zu sein. Deswegen schenkt er Karies ein Freispiel, versäuert er seinen Atem. 

Esoteriker sprechen gerne von Seelenzähnen. Der Druck des Lebens ebnet sich auf einem oder mehreren Beißern ab. Jeder Biss in den Apfel wird dann zum Abenteuer (wehe, in einer Olive versteckt sich ein Kern). Wenn man die Mundhöhle als Startpunkt des Verdauungsapparats versteht, dann ist an der Vorstellung von den Seelenzähnen schon deshalb etwas dran, weil sich in Magen und Darm nun einmal alle Bewegungen des Geistes, zumal wenn das Gemüt in Seenot gerät, abzeichnen. Und das lässt sich eben bis zur beginnende Quelle zurückverfolgen. 

Wer sich auf die Vorstellung einlässt, dass Körperpflege immer auch Seelenhygiene ist, der erkennt im morgendlichen und abendlichen Putzritual auch eine spielend einfache Prozedur, dem klammen Herzen mit etwas handwerklicher Routine und damit eingespielter Selbstsorge etwas Gutes zu tun.

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