The Name Of This Band Is Wilco
„Wilco sind die bedeutendste Band dieser Zeit, weil sie das Spiel aushalten, ohne sich seinen Regeln zu unterwerfen“, schrieb Arne Willander unlängst im Rolling Stone über die Chicagoer Band. Anlass war die Veröffentlichung ihrer Live-DVD, Ashes Of American Flags.
Nun erscheint ihre neue LP mit dem schönen wie simplen Titel: Wilco (the Album). Als müsste die Band ihren Bandstatus noch einmal betonen, als müsste sie die Songsammlung namens Album in Zeiten des massenhaften Downloads von Einzelsongs noch einmal als kohärente, ganzheitliche Vision erretten. Als müsste sie aber auch darauf hinweisen, dass dies das definitive, dass dies DAS Wilco-Album schlechthin ist. Das ist vielleicht nicht nur Koketterie, sondern unterliegt einem strengen, nun auch für ironische Querverweise (man betrachte das Coverartwork des Neuwerks) offenen, künstlerischen System, das sich ganz und gar bestimmten Diskursen der Pop- und Rockmusik entgegenstellt. Wilco, das ist von Beginn an – seit ihrem Debütalbum A.M. – eine Band, die sucht. Nach sich selbst, nach ihrer Heimat, nach ihren musikalischen Wurzeln. Ihr Weg führt sie immer via Chicago nachhause; einem im Grunde unbestimmbaren Ort, einem Americana, das sie ganz in der Tradition großer Songwriter wie Woody Guthrie, Bob Dylan oder Bruce Springsteen besingen.
Erregte Wilcos erstes Meisterwerk und Doppelalbum Being There 1996 nur die Gemüter eines kleinen, vom Alternative Country infizierten Kreises, so erarbeitete sich die Band mit Summerteeth, einer funkelnd-verschmitzten, dabei aber zutiefst melancholischen Pop-Platte, ein neues Publikum. Mit ihrem vierten Album (wenn man die in Kollaboration mit Billy Bragg entstandenen Platten Mermaid Avenue 1 und 2 – Vertonungen von Woody Guthrie Musikskizzen – nicht mitzählt), Yankee Hotel Foxtrot, schafften sie den Durchbruch bzw. erschufen den spezifischen Wilco-Mythos, der ihnen noch heute Begeisterung im launigen Independent-Publikum einbringt. Als man der Plattenfirma das fertige Werk vorspielte, war diese überhaupt nicht begeistert. „Kommerzieller Selbstmord“ lautete das Urteil und die Platte lag erst einmal auf Eis. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Mannschaft um den Kopf, den Sänger und Songwriter Jeff Tweedy bereits mehrmals gewechselt.
Es sind die beeindruckenden Zufälle der Rockgeschichte, die aus tragischen Ereignissen eine große Geschichte machen: Der Fotograf und Filmemacher Sam Jones begleite die Band bei ihren Aufnahmen zu Yankee Hotel Foxtrot und hielt damit nicht nur die Aufnahme des sensationellen Drummers Glenn Koche in die Band fest, sondern auch den Bruch mit Multiinstrumentalist Jay Bennett. Der hatte sich spätestens mit Summerteeth zu einer ernsthaften Konkurrenz für Tweedy entwickelt, denn mit seinen brillanten Songideen prägte er den Sound von Wilco durchaus entscheidend mit. Ein wehmütiger Schnappschuss, wie Bennett zum letzten Mal winkend die Bühne verlässt, dokumentierte in Jones Film die weitere Entwicklung der Band. Hinzu kam, dass sich Wilco mit dem merkwürdigen Urteil der eigenen Plattenfirma nicht zufrieden geben wollten. Man kaufte kurzerhand die Platte auf und wagte einen revolutionären Schritt: die fertigen Songs wurden auf der bandeigenen Seite ins Internet gestellt und für jeden zugänglich gemacht. Noch lange vor Radioheads Marketinggag bewies hier eine kleine, verschworene Gemeinschaft den Mut, mit der eigens als relevant betrachteten Musik neue Wege zu gehen. Es sollte sich auszahlen. Und so belohnten die Fans und Musikliebhaber den Filmemacher Jones mit einem grandiosen Happy End für seine Dokumentation I’Am Trying To Break Your Heart und Wilco, nach einem Wechsel der Plattenfirma, mit einem nicht für möglich gehaltenen kommerziellen Erfolg. Selbst in Deutschland stieg das Album in die Charts ein. Mit Yankee Hotel Foxtrot verfestigten Wilco ihren Ruf einer verkünstelten und hoch ambitionierten Band. Nicht zuletzt die im Internet noch heute umherspukenden Demos der Plattenaufnahme legen Zeugnis vom musikalischen Spektrum Wilcos ab.
Was sich aber mit den schwarz-weißen Bildern von I’Am Trying To Break Your Heart auch andeutete, war die schwere Medikamentensucht des Sängers. Wohl nicht zuletzt verschleierten die Tabletten, die Tweedy zuhauf gegen seine Migräne einnahm, eine schwere Depression, die ihn nun zu einem Aufenthalt in einer Klinik führte. Gerade weil dieser Kampf mit den eigenen Dämonen auch auf ihrer nächsten Platte A Ghost Is Born zu spüren ist, wurden Wilco endgültig zu Heroen des Independent-Rock, die sich neben süßliche Balladen genauso an schmerzverzerrte Krautrockvariationen und Feedback-Gitarren-Ströme wagten. Yankee Hotel Foxtrot bot noch versponnene, aber von Klangschauspielen dekonstruierte Popsongs wie Kamera, I’Am The Man Who Loves You oder Jesus etc. Aber es waren eben Popsongs. Die Geisterplatte war dann wirklich die Geburt eines neuen Bandsounds: At Least That’s What You Said fängt eine von sanften Worten eingeführte Liebestragödie mit mäandernden Gitarren ab und zwar genau dann, wenn man über die schmerzlich ins Leere gesprochenen Worte Tweedys mit Tränen zu kämpfen beginnt. Handshake Drugs franzt in lärmenden Noiserock aus und Less Than You Think ist 1,5 Minuten ein Song, um dann nur noch minutenlang in fremdartigen Geräuschen zu ertrinken. Auch nach dieser Platte musste sich ein Wilco-Mitglied verabschieden, doch es wurde gleich von zwei neuen ersetzt. Nels Cline und Pat Sansone stießen hinzu und das veränderte Wilco mindestens genauso sehr wie die Genesung Tweedys. Während Sansone souverän jedes Instrument bedienen konnte, verzauberte Cline jedes Konzert mit seinen elektrisierenden Gitarrenklängen. Von Beginn an ihrer Karriere galten Wilco als formidable Live-Band, nun schienen sie live unschlagbar. Die Live-LP Kicking Television, in ihrer perfektionierten Form ein Wilco-Konzert par excellence, bewies diese Meisterschaft nur noch offensichtlicher. So konnte es auch nicht verwundern, dass die vor zwei Jahren erschienene Wilco-Platte Sky Blue Sky vor allem die wohl ausgezeichnete Harmonie ihrer musizierenden Mitglieder dokumentierte. Die aufwändigen Klangexperimente wichen romantischen, frühlingshaften Folksongs, die nur zu gerne große Vorbilder zitierten. Der warme Einstieg um Either Way wird von Impossible Germany, einem der grandiosesten Songs der letzten Jahre, gerahmt, um dann vom nachdenklichen On and On and On zu einem melancholischen Ende geführt zu werden. Nicht erst auf dieser Platte bewiesen die Lyrics von Tweedy eine intensive Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Schwermut. Es scheint oftmals fast so, als würden die gedankenschweren Texte von den Instrumenten der anderen Bandmitglieder nochmals zersetzt, um dann in einen ganz körperlichen, einheitlichen Klang überzugehen.
Diese Methode wird umso deutlicher mit jedem Konzert, das Wilco geben. Ashes Of American Flags von der Yankee-LP wird in den Konzerthallen von einem eigentümlichen Klangexperiment zum präzise von Gitarren geleiteten Ausflug in die amerikanische Volksseele. Spiders (Kidsmoke), der Krautrocker von A Ghost Is Born, wird live zum Höhepunkt jeden Auftritts, weil es so roh und explizit vorgetragen wird und die Countryrocker der frühen Wilco-Scheiben verzieren nicht zuletzt Nels Cline und Glenn Koche mit einer im heutigen Rock-Kosmos singulären Subtilität. Dabei verdeckt die grandiose Leistung der beiden Instrumentengenies nur das Können des stoischen Bassisten John Stirrat, nach Tweedys Aussage der einzige, ohne den Wilco keinen Sinn mehr machen würden und dasjenige des variantenreichen Keyboarders Mikael Jorgensen. Im Zentrum aber bleibt Tweedy, der mit der Solo-Live-DVD Sunken Treasure beweisen konnte, dass es grundeinfache Folksongs sind, die er sensibel schreibt und die von seiner Band erst dann in die Höhe geschraubt werden.
Wilcos Größe lässt sich vor allem durch ihre unbestechliche und von keiner coolen Meta-Pose zerstörten Suche nach Dynamik erklären. Keiner vermeintlichen Independent-Band der heutigen Zeit gelingt es so unfassbar souverän, große Pionierleistungen der vergangenen Musikgeschichte zu zitieren und sie zugleich in eine neue, ganz individuelle Form zu betten. Im Schaffen der Chicagoer stehen die Möglichkeiten des Albums im Mittelpunkt. Auch deshalb heißt die neue Scheibe selbstbewusst Wilco (the Album). Dabei gewann noch jedes Album mit dem schwierigen Auseinanderfallen und mit jeder neuen Zusammensetzung der Band eine spezifische Spannung. Diese ist vielleicht mit Sky Blue Sky und nun mit Wilco (the Album) einer traumwandlerischen Sicherheit gewichen. Doch wer Wilco nun den Hang zur Gediegenheit vorwirft, verfehlt vollständig ihre Vision. Der Produktionsprozess steht nämlich im Werk dieser langsam heimkehrenden Band im Vordergrund. Alles lässt sich im Kontext der Entstehung begreifen, jede Platte, jedes Konzert, jedes Buch (The Wilco Book - angereichert mit Demos zu A Ghost Is Born -, Learning How To Die, eine düstere Bandbiographie), die ganz auf den Musikentstehungsprozess abzielende Homepage, selbst das Merchandising verweist auf Konstruktion und Dekonstruktion. Weil eben nicht jedes Konzert gleich ist, sondern jedes ganz eigen, werden Live-Streams von Auftritten nicht zur Besonderheit, sondern zur Regel gemacht. Tweedy ermutigt seine Fans, Bootlegs anzufertigen und empfindet die Musiktauschbörsen als neuartiges, dem Radio früherer Zeiten ähnelndes Medium zur Erweiterung der Musikinteressen. Zugleich wird dem Aufnahmestudio der Band, einfach The Loft benannt, schon auf der Website ein Denkmal gesetzt, wenn ein stufenlos zoombares Bild Einblicke in die kleine Wilcowelt gibt. Dazu gibt es gratis zu jedem Album eine EP zum Herunterladen, es existiert eine eigene Applikation für das I-Phone und jedes neue Album wird lange vor dem Release als Stream angeboten. Nachdem das neue Album in die Filesharingbörsen gesickert war, appellierten Wilco an den Großmut ihrer Fans und empfahlen eine kleine Spende für Chicagos Ärmste. Es kam einiges Geld zusammen.
Wilco lieben dich, mehrmals zu hören im Opener der der neuen Platte, mag ironisch klingen, ist aber ehrlich gemeint. Im Gegensatz zur inszenierten Attitüde anderer Bands, die durch Myspace und anderes virales Marketing eine Fannähe nur behaupten, ist das Kapital von Wilco gerade ihre bedingungslose Öffnung des musikalischen Universums für die Öffentlichkeit. So gewinnen die Live-Darbietungen als Kontraste zur Momentaufnahme Album entscheidende Relevanz. So wächst die Musik mit ihrer Auseinandersetzung der eigenen, amerikanischen Wurzeln. So steht vor allem eine erhabene, melancholische Sinnsuche im Mittelpunkt des Musikprozesses.
Moderner, dringlicher und vielleicht auch besser kann man Musik heute nicht produzieren. Deshalb sind Wilco die bedeutendste Band dieser Zeit.
Nun erscheint ihre neue LP mit dem schönen wie simplen Titel: Wilco (the Album). Als müsste die Band ihren Bandstatus noch einmal betonen, als müsste sie die Songsammlung namens Album in Zeiten des massenhaften Downloads von Einzelsongs noch einmal als kohärente, ganzheitliche Vision erretten. Als müsste sie aber auch darauf hinweisen, dass dies das definitive, dass dies DAS Wilco-Album schlechthin ist. Das ist vielleicht nicht nur Koketterie, sondern unterliegt einem strengen, nun auch für ironische Querverweise (man betrachte das Coverartwork des Neuwerks) offenen, künstlerischen System, das sich ganz und gar bestimmten Diskursen der Pop- und Rockmusik entgegenstellt. Wilco, das ist von Beginn an – seit ihrem Debütalbum A.M. – eine Band, die sucht. Nach sich selbst, nach ihrer Heimat, nach ihren musikalischen Wurzeln. Ihr Weg führt sie immer via Chicago nachhause; einem im Grunde unbestimmbaren Ort, einem Americana, das sie ganz in der Tradition großer Songwriter wie Woody Guthrie, Bob Dylan oder Bruce Springsteen besingen.
Erregte Wilcos erstes Meisterwerk und Doppelalbum Being There 1996 nur die Gemüter eines kleinen, vom Alternative Country infizierten Kreises, so erarbeitete sich die Band mit Summerteeth, einer funkelnd-verschmitzten, dabei aber zutiefst melancholischen Pop-Platte, ein neues Publikum. Mit ihrem vierten Album (wenn man die in Kollaboration mit Billy Bragg entstandenen Platten Mermaid Avenue 1 und 2 – Vertonungen von Woody Guthrie Musikskizzen – nicht mitzählt), Yankee Hotel Foxtrot, schafften sie den Durchbruch bzw. erschufen den spezifischen Wilco-Mythos, der ihnen noch heute Begeisterung im launigen Independent-Publikum einbringt. Als man der Plattenfirma das fertige Werk vorspielte, war diese überhaupt nicht begeistert. „Kommerzieller Selbstmord“ lautete das Urteil und die Platte lag erst einmal auf Eis. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Mannschaft um den Kopf, den Sänger und Songwriter Jeff Tweedy bereits mehrmals gewechselt.
Es sind die beeindruckenden Zufälle der Rockgeschichte, die aus tragischen Ereignissen eine große Geschichte machen: Der Fotograf und Filmemacher Sam Jones begleite die Band bei ihren Aufnahmen zu Yankee Hotel Foxtrot und hielt damit nicht nur die Aufnahme des sensationellen Drummers Glenn Koche in die Band fest, sondern auch den Bruch mit Multiinstrumentalist Jay Bennett. Der hatte sich spätestens mit Summerteeth zu einer ernsthaften Konkurrenz für Tweedy entwickelt, denn mit seinen brillanten Songideen prägte er den Sound von Wilco durchaus entscheidend mit. Ein wehmütiger Schnappschuss, wie Bennett zum letzten Mal winkend die Bühne verlässt, dokumentierte in Jones Film die weitere Entwicklung der Band. Hinzu kam, dass sich Wilco mit dem merkwürdigen Urteil der eigenen Plattenfirma nicht zufrieden geben wollten. Man kaufte kurzerhand die Platte auf und wagte einen revolutionären Schritt: die fertigen Songs wurden auf der bandeigenen Seite ins Internet gestellt und für jeden zugänglich gemacht. Noch lange vor Radioheads Marketinggag bewies hier eine kleine, verschworene Gemeinschaft den Mut, mit der eigens als relevant betrachteten Musik neue Wege zu gehen. Es sollte sich auszahlen. Und so belohnten die Fans und Musikliebhaber den Filmemacher Jones mit einem grandiosen Happy End für seine Dokumentation I’Am Trying To Break Your Heart und Wilco, nach einem Wechsel der Plattenfirma, mit einem nicht für möglich gehaltenen kommerziellen Erfolg. Selbst in Deutschland stieg das Album in die Charts ein. Mit Yankee Hotel Foxtrot verfestigten Wilco ihren Ruf einer verkünstelten und hoch ambitionierten Band. Nicht zuletzt die im Internet noch heute umherspukenden Demos der Plattenaufnahme legen Zeugnis vom musikalischen Spektrum Wilcos ab.
Was sich aber mit den schwarz-weißen Bildern von I’Am Trying To Break Your Heart auch andeutete, war die schwere Medikamentensucht des Sängers. Wohl nicht zuletzt verschleierten die Tabletten, die Tweedy zuhauf gegen seine Migräne einnahm, eine schwere Depression, die ihn nun zu einem Aufenthalt in einer Klinik führte. Gerade weil dieser Kampf mit den eigenen Dämonen auch auf ihrer nächsten Platte A Ghost Is Born zu spüren ist, wurden Wilco endgültig zu Heroen des Independent-Rock, die sich neben süßliche Balladen genauso an schmerzverzerrte Krautrockvariationen und Feedback-Gitarren-Ströme wagten. Yankee Hotel Foxtrot bot noch versponnene, aber von Klangschauspielen dekonstruierte Popsongs wie Kamera, I’Am The Man Who Loves You oder Jesus etc. Aber es waren eben Popsongs. Die Geisterplatte war dann wirklich die Geburt eines neuen Bandsounds: At Least That’s What You Said fängt eine von sanften Worten eingeführte Liebestragödie mit mäandernden Gitarren ab und zwar genau dann, wenn man über die schmerzlich ins Leere gesprochenen Worte Tweedys mit Tränen zu kämpfen beginnt. Handshake Drugs franzt in lärmenden Noiserock aus und Less Than You Think ist 1,5 Minuten ein Song, um dann nur noch minutenlang in fremdartigen Geräuschen zu ertrinken. Auch nach dieser Platte musste sich ein Wilco-Mitglied verabschieden, doch es wurde gleich von zwei neuen ersetzt. Nels Cline und Pat Sansone stießen hinzu und das veränderte Wilco mindestens genauso sehr wie die Genesung Tweedys. Während Sansone souverän jedes Instrument bedienen konnte, verzauberte Cline jedes Konzert mit seinen elektrisierenden Gitarrenklängen. Von Beginn an ihrer Karriere galten Wilco als formidable Live-Band, nun schienen sie live unschlagbar. Die Live-LP Kicking Television, in ihrer perfektionierten Form ein Wilco-Konzert par excellence, bewies diese Meisterschaft nur noch offensichtlicher. So konnte es auch nicht verwundern, dass die vor zwei Jahren erschienene Wilco-Platte Sky Blue Sky vor allem die wohl ausgezeichnete Harmonie ihrer musizierenden Mitglieder dokumentierte. Die aufwändigen Klangexperimente wichen romantischen, frühlingshaften Folksongs, die nur zu gerne große Vorbilder zitierten. Der warme Einstieg um Either Way wird von Impossible Germany, einem der grandiosesten Songs der letzten Jahre, gerahmt, um dann vom nachdenklichen On and On and On zu einem melancholischen Ende geführt zu werden. Nicht erst auf dieser Platte bewiesen die Lyrics von Tweedy eine intensive Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Schwermut. Es scheint oftmals fast so, als würden die gedankenschweren Texte von den Instrumenten der anderen Bandmitglieder nochmals zersetzt, um dann in einen ganz körperlichen, einheitlichen Klang überzugehen.
Diese Methode wird umso deutlicher mit jedem Konzert, das Wilco geben. Ashes Of American Flags von der Yankee-LP wird in den Konzerthallen von einem eigentümlichen Klangexperiment zum präzise von Gitarren geleiteten Ausflug in die amerikanische Volksseele. Spiders (Kidsmoke), der Krautrocker von A Ghost Is Born, wird live zum Höhepunkt jeden Auftritts, weil es so roh und explizit vorgetragen wird und die Countryrocker der frühen Wilco-Scheiben verzieren nicht zuletzt Nels Cline und Glenn Koche mit einer im heutigen Rock-Kosmos singulären Subtilität. Dabei verdeckt die grandiose Leistung der beiden Instrumentengenies nur das Können des stoischen Bassisten John Stirrat, nach Tweedys Aussage der einzige, ohne den Wilco keinen Sinn mehr machen würden und dasjenige des variantenreichen Keyboarders Mikael Jorgensen. Im Zentrum aber bleibt Tweedy, der mit der Solo-Live-DVD Sunken Treasure beweisen konnte, dass es grundeinfache Folksongs sind, die er sensibel schreibt und die von seiner Band erst dann in die Höhe geschraubt werden.
Wilcos Größe lässt sich vor allem durch ihre unbestechliche und von keiner coolen Meta-Pose zerstörten Suche nach Dynamik erklären. Keiner vermeintlichen Independent-Band der heutigen Zeit gelingt es so unfassbar souverän, große Pionierleistungen der vergangenen Musikgeschichte zu zitieren und sie zugleich in eine neue, ganz individuelle Form zu betten. Im Schaffen der Chicagoer stehen die Möglichkeiten des Albums im Mittelpunkt. Auch deshalb heißt die neue Scheibe selbstbewusst Wilco (the Album). Dabei gewann noch jedes Album mit dem schwierigen Auseinanderfallen und mit jeder neuen Zusammensetzung der Band eine spezifische Spannung. Diese ist vielleicht mit Sky Blue Sky und nun mit Wilco (the Album) einer traumwandlerischen Sicherheit gewichen. Doch wer Wilco nun den Hang zur Gediegenheit vorwirft, verfehlt vollständig ihre Vision. Der Produktionsprozess steht nämlich im Werk dieser langsam heimkehrenden Band im Vordergrund. Alles lässt sich im Kontext der Entstehung begreifen, jede Platte, jedes Konzert, jedes Buch (The Wilco Book - angereichert mit Demos zu A Ghost Is Born -, Learning How To Die, eine düstere Bandbiographie), die ganz auf den Musikentstehungsprozess abzielende Homepage, selbst das Merchandising verweist auf Konstruktion und Dekonstruktion. Weil eben nicht jedes Konzert gleich ist, sondern jedes ganz eigen, werden Live-Streams von Auftritten nicht zur Besonderheit, sondern zur Regel gemacht. Tweedy ermutigt seine Fans, Bootlegs anzufertigen und empfindet die Musiktauschbörsen als neuartiges, dem Radio früherer Zeiten ähnelndes Medium zur Erweiterung der Musikinteressen. Zugleich wird dem Aufnahmestudio der Band, einfach The Loft benannt, schon auf der Website ein Denkmal gesetzt, wenn ein stufenlos zoombares Bild Einblicke in die kleine Wilcowelt gibt. Dazu gibt es gratis zu jedem Album eine EP zum Herunterladen, es existiert eine eigene Applikation für das I-Phone und jedes neue Album wird lange vor dem Release als Stream angeboten. Nachdem das neue Album in die Filesharingbörsen gesickert war, appellierten Wilco an den Großmut ihrer Fans und empfahlen eine kleine Spende für Chicagos Ärmste. Es kam einiges Geld zusammen.
Wilco lieben dich, mehrmals zu hören im Opener der der neuen Platte, mag ironisch klingen, ist aber ehrlich gemeint. Im Gegensatz zur inszenierten Attitüde anderer Bands, die durch Myspace und anderes virales Marketing eine Fannähe nur behaupten, ist das Kapital von Wilco gerade ihre bedingungslose Öffnung des musikalischen Universums für die Öffentlichkeit. So gewinnen die Live-Darbietungen als Kontraste zur Momentaufnahme Album entscheidende Relevanz. So wächst die Musik mit ihrer Auseinandersetzung der eigenen, amerikanischen Wurzeln. So steht vor allem eine erhabene, melancholische Sinnsuche im Mittelpunkt des Musikprozesses.
Moderner, dringlicher und vielleicht auch besser kann man Musik heute nicht produzieren. Deshalb sind Wilco die bedeutendste Band dieser Zeit.