It's A Me, Mario!

Ich hasse Videospiele und Gamer. Der Grund dafür ist, dass für mich bei den meisten Spielen auf jeden schönen Moment mindestens zwei Augenblicke der Frustration folgen und es offenbar einer Menge Spielzeit bedarf, um dieses liederliche Gefühl wegzuzocken. Ich habe mir nie genügend Zeit dafür genommen; nach spätestens drei Stunden setzen bei mir aber auch Kopfschmerzen, wundtrockene Augen und eine allgemeine Bräsigkeit ein. Symptome, die mir unangenehm sind. 

Ich habe beim Spielen auch das Gefühl, dass ich anfange zu schwitzen und spüre eine Wut in mir, wenn etwas nicht gelingt, die selbst dann noch nachhallt, wenn der Endgegner oder was auch immer längst besiegt ist. Deswegen verachte ich die Realitätsflüchtlinge mit den flinken Fingern und reaktionsfähigen Gehirnen. Ihnen scheint all das nichts auszumachen. Sie spielen nach ihren Bedingungen. So wirkt es zumindest auf mich. 

Es ist wohl wie bei den meisten Dingen, die man zu hassen glaubt: Der Wunsch zurückgeliebt zu werden ist groß, aber oft hilflos. 

Trotz dieser schlechten Voraussetzungen habe ich dennoch eine Beziehung zum Videospielen aufgebaut. Die ersten rudimentären Spiele daddelte ich auf einem Lerncomputer. Blinkende Strichmännchen. Mein Opa programmierte auf seinem Rechner einen Einkaufsladen für mich, später entdeckte ich dort auch einige DOS-Spielereien. Eine Rakete, die sicher auf dem Mond landen muss. Ein Ritter, der durch eine Burg stiefelt und Geistern auszuweichen hat. Alles Gelb auf schwarzem Grund, dazu piepende Midi-Musik. 

Tückisches Tetris

Der Game Boy setzte dann den Anfang. Tetris. Wie bei so vielen. Noch heute steht mir bei schwierigen Lebenssituationen das symbolische Gefühl vor Augen, wie die Klötzchen einander in späteren Levels nicht mehr umfangen wollen, sie sich auf dem Bildschirm in atemberaubend schneller Geschwindigkeit miteinander verknäulen und das Spiel mit einem Geräusch endet, das klingt, als würden einem hunderte Kinder auf einmal lautstark und schmatzend die Zunge rausstrecken. Ätsch. 

Obwohl ich vieles ausprobiert habe („Monkey Island“, „You Don't Know Jack“, „Dungeon Keeper“, „Tomb Raider“, „Microsoft Flight Simulator“ - mir fallen die meisten Titel gar nicht mehr ein, aber abgesehen von einigen Ausreißern wie „Little Big Planet“ habe ich mich dann auch viele Jahre lang nicht mehr auf etwas Neues eingelassen), halfen mir vor allem Sportspiele über die Misere hinweg, mich mit dem Controller in der Hand einfach nicht wohlzufühlen. 

Bei Pro Evolution Soccer oder NHL/NBA/Madden 97-xx) kam ich klar, aber auch hier störte mich meist, wenn die Spielmechanik den Anschein machte, als würde sie den immer gleichen Finten folgen. FIFA-Player sprechen da zynisch vom Script. Ich hatte auf dem Game Boy ein Fußballspiel, bei dem der Ball immer ins Tor ging, wenn man ihn am Sechzehner etwa zwei Meter weiterführend an der rechten Seite diagonal auf den Kasten schoss. IMMER ein Treffer. 

Ich habe nie verstanden, warum Fußballsimulationsspieler glücklich sein können, wenn sie gegen andere Kontrahenten oder den Computer 13:4 gewinnen. Ich verlor lieber eine Partie, wenn das Ergebnis denn irgendwie realistisch war. Bei Basketballspielen muss man nahezu in Echtzeit vier Viertel spielen, um authentische Scores zu erzielen. Und bei fast jedem Tennis-Game wird der Schwierigkeitsgrad proportional zu vorderen Plätzen bei einem Turnier höher. Als könnte das nicht besser programmiert werden.

Auf das Gameplay kommt es an

Das Spielgefühl ist es, das mich anzieht, das mir stets wichtiger war als eine starke Grafik und sonstiger Firlefanz. Es ließ mich irgendwie immer bei Nintendo bleiben, selbst heute noch, weil es möglich ist, mit Online-App auf der Switch ältere Spiele aus der Zeit von NES bis Nintendo 64 (nun auch Gamecube mit der Switch 2) zurück in die Gegenwart zu holen. 

Die Klempner, Yoshi, Donkey Kong, Kirby, Link und Co. sorgen für Völkerverständigung, auch wenn es Nintendo nun im Überschwang des Erfolgs übertreibt und der japanische Konzern glaubt, dass man mit den rudimentären, im buchstäblichen Sinne zweidimensionalen Charakteren so etwas wie ein Erzähluniversum etablieren könnte. Videospiele bleiben Videospiele. Es gibt sie natürlich, die klugen, gut erzählten, philosophisch gedachten Games, aber ich kenne bis auf „Metal Gear Solid“, das mich bis heute unendlich fasziniert und einer ganz eigenen, cineastischen Erfahrung gleichkommt, sowie einigen Spielen von Peter Molyneux kaum eines. Das Publikum, das die „GTA“-Reihe bei Lichte betrachtet zum größten kommerziellen Erfolg eines Kulturprodukts seit der Bibel gemacht hat, interessiert es in der Regel auch nicht. 

Selten habe ich Games wirklich bis zur letzten Kachel durchgespielt. Vor kurzem tat ich es bei „Super Mario World 2: Yoshi's Island". Eines der schönsten, zeitlosesten Spiele überhaupt. Nicht nur aufgrund des Gamedesigns in Kindermaloptik, sondern weil es sich einfach toll steuern lässt. Es ist simpel (laufen, springen, Eier schießen, bei Gegnerberührung muss Baby-Mario aus einer Luftblase gerettet werden), aber stets logisch und voller Überraschungen. Heute gibt es die Möglichkeit in der Nostalgieversion wie bei einem Videorekorder zurückzuspulen. Was für eine Erleichterung, denn bei aller Klarheit der Steuerung, leicht macht es einem auch dieses Spiel nicht (bei „Donkey Kong Country 2: Diddy Kong's Quest", einem der SNES-Highlights schlechthin, hilft manchmal nicht mal das, man gibt einfach genervt auf...). Hätte es diese Replay-Funktion nur früher auch gegeben. Manche Gamepads wären heil geblieben und aus mir wäre wohl doch ein Gamer geworden. 

Mario macht den Unterschied

Ich habe einige Konsolen besessen und auch heute noch stehen welche bei mir herum. Ich habe nie aufgehört, „Mario Kart“ zu spielen - denn es ist das einzige Spiel, das ich kenne, dem (fast) jede Generation folgen kann. Ich habe einen Raspberry mit 10.000 Spielen aus der digitalen Steinzeit. Es ist wie ein Computerspielemuseum für die Hosentasche. Doch die einzige Konsole, die wirklich zusammenfällt mit echter Begeisterung und Verwunderung war die Nintendo 64. Egal welche evolutionären Technik-Fortschritte ich mir vor Augen halte, der Unterschied zwischen Super Nintendo und N64, von 16 Bit zu 64 Bit, war ein Quantensprung. 

Verbunden bleibt diese Erfahrung einer neuen Zeit des Spielens, die ja längst ganz andere Tiefendimensionen angenommen hat (wenngleich die erfolgreiche Gegenbewegung auf den Smartphones wie ein ironischer Umkehrschub aller utopischen Entwicklerfantasien daherkommt), stets mit „Super Mario 64“. 

Ich habe mir meinen Game Boy und das SNES vom eigenen Taschengeld gekauft. Die Konsolen waren damals schon älter und daher auch nicht (mehr) so teuer. Meine Eltern verstanden wenig von Videospielen. Sie verachteten sie nicht, aber sie waren ihnen egal. Und das empfand ich als richtig so, denn vor Jahrzehnten gab es keine Gaming-Kultur, es gab einfach nur Gelegenheitsspieler und Vielspieler, die auch in Spielehallen an Joysticks herumkurbelten. Der Rest drückte zuhause auf Knöpfen herum, manchmal gemeinsam mit Freunden, oft auch nicht. 

Aus irgendeinem mir bis heute nicht verständlichen Grund stimmte mein Vater zu, dass ich zum Weihnachtsfest eine N64 erhalten durfte, ohne Zuzahlung, ohne hämische Kommentare. Ich musste bis ins neue Jahr warten, denn die Konsole erschien erst im März, man konnte sie aber vorbestellen. Vielleicht belohnte er, dass ich die Befriedigung meines Wunsches so lange aufschieben konnte. So wartete ich also bis in den Frühling hinein auf den Kerl mit dem Sack, der mit seiner Rentier-Action auf den Dächern dieser Welt ja auch nichts anderes als ein Prototyp für ein Videospiel darstellt. Und ja, es gibt da auch etwas: „Daze Before Christmas“. Es ist schrullig gedacht, aber schrecklich zu spielen.

Der erste Moment bei „Super Mario 64“, das gemeinsam mit „Pilotwings 64“ und „Turok: Dinosaur Hunter“ direkt mit der Konsole  erschien, hatte dann etwas von einer geradezu heiligen Erfahrung. Wie wenn man als Kleinkind giggelnd Bugs Bunny sieht, wenn man als Jugendlicher euphorisiert die Stones/Queen/U2/Nirvana/Strokes/Arctic Monkeys hört, wenn man als junger Erwachsener zum ersten Mal in einer Kunstaustellung vor einem Gemälde zu weinen beginnt. 

Schönheit der Bewegung

Ein merkwürdiges Krötentier namens Lakitu auf einer Wolke schwebt mit einer Kamera um Mario herum, dann geht es auch schon los in einem für damalige Verhältnisse riesig anmutenden Schlossgarten. Langsam gehen, schneller gehen. Springen. Hüpfen, hüpfen, Salto. Auf einen Baum klettern. Auf dem Hintern landen. Es gibt hier noch nichts zu tun (später kann man in unterschiedlich tückischen Herausforderungen bis zu 120 Sterne sammeln und die griesgrämige Feuerspeiechse Bowser aus der Welt schaffen, in dem man ihn - wer denkt sich sowas aus? - am Schwanz packt, ihn um 360 Grad dreht und gegen eine Bombe schleudert), aber in dieser Einfachheit der Bewegungen, die alles möglich erscheinen lässt, steckt eine Freiheit, wie sie zuvor in keinem einzigen Videospiel zu finden war, das ich gespielt habe. 

Eine Stunde lang einfach nur ausprobieren, die hakelige Kamera hin und her zoomen, in den bewässerten Schlossgraben springen, gegen Wände kicken. Die infantile Lust am Ausprobieren, an der ungezwungenen Bewegung mit einem Dreigriff-Joystick, der selbst wie ein Raumschiff aussah. Heute wirkt „Super Mario 64“ klobig und wie die Witzversion einer Open World, damals eröffnete es (mir) einen neuen Horizont und für bis zu 100 Sterne - irgendwann verschwindet dann doch jede Motivation - das Gefühl, so etwas wie ein Gamer zu sein. 

Ich spiele es inzwischen wieder, um mich an diese Zeit zu erinnern, in der von einem Tag auf den anderen Polygone statt Pixel auf der Tagesordnung standen und dreidimensionales Steuern kein Wunschtraum mehr war.

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