A Man Called E
Viele Musikerinnen und Musiker singen über Seelenqualen und Schicksalsschläge, Mark Oliver Everett hat den Scheiß erlebt.
Er verlor innerhalb kürzester Zeit seine komplette Familie.
Seinen Vater, ein Physiker, der zu seiner Zeit verlacht wurde, aber die heute anerkannte Viele-Welten-Idee miterdachte, fand er mit 19 Jahren tot im Bett. Sein alter Herr hatte schwere Depressionen. Nancy, die Mutter des Sängers, war familiär ebenfalls mit psychischen Erkrankungen vorbelastet; ihre Mutter Katherine schrieb zwischen ihren Krankenhausaufenthalten Gedichte. Nancy neigte zu hysterischen Heulanfällen und kindlichem Verhalten und überließ die Kinder sich selbst. Sie verstarb an Lungenkrebs. Everetts sechs Jahre ältere Schwester Liz war lange Zeit seine Bastion gegen all den Wahnsinn. Er liebte sie abgöttisch, wie man in der wundervollen Autobiographie „Glückstage in der Hölle“ (treffender im Original: „Things The Grandchildren Should Know“) nachlesen kann. Aber sie erbte auch den Hang zur Geisteskrankheit und zum Drogenmissbrauch. Liz nahm sich das Leben.
Von schönen Außenseitern und Motherfuckern
All diese Ereignisse kommen in verschiedensten Variationen in den mal missmutigen, mal zart-traurigen und dann wieder fast verspielt Hoffnung behauptenden Songs der Eels vor. Also jener Band, die Mark Oliver Everett, der sich zunächst nur E nannte, 1995 gründete.
War das aufsehenerregende Debüt „Beautiful Freak“ noch vor allem eine Auseinandersetzung mit Variationen des Außenseiterdaseins und natürlich auch eine Liebeserklärung an all die Verschrobenen dieser Welt, sezierte „Electro-Schock Blues“ das komplette Ungemach des zerbrochenen Lebens, der unverschuldeten Wurzellosigkeit. Wem allein beim Prolog mit „Elizabeth On The Bathroom Floor“ nicht das Herz stockt, kennt wohl keine Ängste.
„Daisys Of The Galaxy“ brachte dann den ersten Schritt zurück ans Licht. Der trauernde Clown wurde zum Schrat, er spielte Kinderinstrumente und besang die Fröhlichkeiten des Lebens (Vögel!). Er sang einen Song über einen Motherfucker – und es ist einer seiner schönsten.
Wie sehr sich all das zu einer großen Erzählung über das Überleben rundet, brachte dann das einfallsreiche Doppelalbum „Blinking Lights And Other Revelations“ ans Licht. Hier ist nicht nur Everetts Hund, sein langjähriger Begleiter und Schutzpatron Bobby Jr., der sogar eine Freundschaft mit Leonard Cohen pflegte, jaulen zu hören, auch Tom Waits kläfft mit. Ein Wunder von einer Platte, nach der sich der Musiker in neue Richtungen zu bewegen begann.
Drei Studioalben, nahezu am Stück veröffentlicht, dazu die Memoiren folgten. Mit zerknirschter Melancholie, wolfshündischem Humor und jeder Menge „shitty feelings“ sind auch diese Lieder gefüllt. Everett erschien weiter als unrasierter Barde. Der Sänger gab den klagenden Bluesmann, er trauerte über das Verlassenwerden (oder doch über die Unfähigkeit zu lieben?), aber offenbarte auch, wie die Freiheit danach die Sinne schärft. Inzwischen ist Everett Vater. Die Beziehung mit der Mutter seines Sohnes hielt allerdings nicht lang. Und in den letzten Jahren merkt man seinen Platten doch gewisse Ermüdungserscheinungen an. Manches geriet in die Wiederholungsschleife.
Es sind eben doch oft die selben Themen, allerdings noch immer hübsch verziert und frei vom Zwang zur ohnmächtigen Grübelei.
Vielmehr betont der Songwriter die Wonnen eines Lebens, das eigentlich schon mit dem Auslaufen der Jugend gescheitert ist und trotzdem dazu führte, dass er als Musiker die Welt bereisen konnte, zwischenzeitlich gar als Crooner im Stil von Sinatra auftrat (fast jede Tour der Eels hat einen anderen Sound, einmal spielte die Band gar in Traininganzügen und mit ZZ-Top-Bärten), und nie die Lust verlor, weiterzumachen.
„Extreme Witchcraft“ markierte zuletzt den vorwärtsgedachten Rückweg zur härteren Gangart von John Parrish, der einst den Hundgesichtsblues von „Souljacker“ mitprägte. Und die zweite Kompilation seines Lebenswerks, „So Good: Essential Eels Vol. 2 (2007 – 2020), zeigt, dass es trotz mancher Oberflächlichkeiten immer was ins Töpfchen gab und kein Film-Soundtrack schlecht sein kann, wenn er von einem Eels-Song gerahmt wird.
Der Trost der Eels
Man muss den widerborstigen Künstler, der sich gerne mit scharfem Humor aus der Schusslinie zieht, nicht lieben. Aber es ist unmöglich, ihn nicht zu mögen, wenn er sich als blutrünstiger Vampir gibt, wenn er das Gefühl beschreibt, wie es ist, wenn die eigene Freundin einen anderen Mann mit einem völlig anderen Blick mustert als einen selbst, wenn irgendwann doch bereut wird, wie viele Fehler man in jungen Jahren aneinandergereiht hat.
Viele Musiker verstecken sich hinter ihrem Werk, und das macht sie durchaus zu großen Künstlern. Mark Oliver Everett ist sein Werk – und er schenkt es uns so offenherzig wie kaum ein anderer. Nur Weihnachtslieder sollte er vielleicht keine mehr vortragen.
Zuerst erschienen bei ROLLING STONE