Weg damit


Man versuche es einmal und betrachte das Leben unter der Perspektive des Wegwerfens. Was nicht mehr gebraucht wird, was verfault, vergeht, sich nicht mehr eignet oder zu viele Fragen stellt, wird entsorgt. Jeden Tag wird der Mülleimer voller, wehe, wenn er nicht geleert wird. 

Die Asketen und Neurotiker sortieren am meisten aus. Den einen ist alles zu viel, das nicht bereichert (und was bringt schon wirklich einen Mehrwert über den eigenen Nutzen hinaus?), und sie stopfen die Tonnen voll, schütten das für Unnötig erklärte auf die Straße und stellen den Krimskrams in blauen Plastiktüten verpackt vor die Second-Hand-Läden. Den anderen schüttelt es, wie schnell ein Stück Brot verschimmelt, wie Bakterien und Schmutzpartikel sich über alles hermachen wie Pilze über einen morschen Baumstamm. Chemisch Erzeugtes kommt vielen gar nicht erst in die Tüte, zur Not wird es gleich wieder in den Wald getragen, wo manch Wildtier es aufliest und gleich an einem anderen Platz wieder abträgt. 

Doch auch die Unvernebelten fragen sich unumwunden, wo all der Tand verstaut werden soll. Die Keller sind keine Stauräume, sie eignen sich viel mehr als Müllvorratskammern. Weihnachtsbeleuchtung, Osterschmuck, Sommergartenmöbel, Halloweengebims. Zerfledderte Bücher. Kinderkleidung kleinster Größe. Energielose Technikaltgeräte. Rostiges Fahrradzubehör. Leitz-Ordner, gefüllt mit alten Schulmaterialien. 

Wie viel mehr wiegt eigentlich das Verscharrte, das in dunklen Schubladen, unter Betten, in Schränken, Kästen und auf Dachböden verdrängt wird, im Vergleich zum glücklich für sich Gewonnenen und im Heimpalast Ausgestellten? 

Nichts hält ewig, selbst die nicht mehr zählbaren Familienschnappschüsse werden in einstmals hübsch glänzenden, nun aber vergilbten Fotoalben untergebracht oder sie lagern auf in ihrer Pappverpackung verwahrten mobilen Festplatten, bis diese nach Jahren mit keinem Kabel mehr anschließbar sind. Jedem Knirps wird gesagt, dass er nur ein neues Spielzeug bekomme, wenn es ein altes aussortiere. Mit jedem Lebensmonat verändert sich das Verhältnis von Neugewonnenem und unter Tränen entsorgten Plastikspielereien (Holzeisenbahnen landen, siehe Asketen, im Zweitverwertungskaufhaus). 4:1. 8:2. 16:4. 32:8. 64:16. 128:32. 

Reich ist nicht, wer viel hat, sondern viel wegwerfen kann, ohne dass es eine Rolle spielen muss. Wie drollig, dass die Hortenden, die nichts wegwerfen können, die keinen Abfall produzieren wollen, schlussendlich in ihrem eigenen Müll leben. Man kennt sie aus dem Trash-Fernsehen: Messies! 

Inzwischen gibt es genügend Menschen, die sich der Umweltvergiftungskatastrophe, die all das Beseitigen von Nichtmehrgewolltem auslöst (Mikroplastik: die Natur arbeitet stets mit Verwertungskreisläufen), entgegenstellen und den Container vor ihrer Wohnung nur noch unter schlechtem Gewissen füttern. Dafür schleppen sie Jutebeutel in die Mall und Bambuskannen in den Coffee-Shop. 

Hilft alles nichts, denn wer so sehr mit seinem Gewissen zu kämpfen hat, fliegt eben doch einmal im Jahr um die halbe Welt, um es sich, von all den seelischen Qualen ums Schützen des Biotops mürbe geworden, zwei Wochen gut gehen zu lassen und andere die Drecksarbeit übernehmen zu lassen, für einen in kürzester Zeit so viel Unrat zu produzieren, wie sonst nur in einem Jahr anfällt. Dieser Kehricht ist dann auch nicht kompostierbar, er ist nicht recyclingfähig und wird wahrscheinlich sogar unverfroren in die Meeresfluten geschüttet. Dort versinkt der Schutt in Tausend Meter Tiefe. 

Natürlich, sie verbrennen und zersetzen den Müll, so gut es geht. Sie etikettieren ihn um und richten ihn zu Wiederverwertbarem neu auf. Aber Abfall, ist Abfall, ist Abfall - und wird versteckt und verwahrt, bis es modert und stinkt.

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