Sternschnuppenexistenz

Sie kommen und gehen ungefragt. Sie folgen ihren eigenen Regeln und wissen oft nicht einmal, welche das sind. Sie lächeln in einem Moment unsicher, um im anderen schallend loszulachen. Sie verstecken sich vor dem Lärm der Welt, vor dem grellen Licht, vor fauligen Gerüchen, vor unseligen Berührungen, vor dem rostigen Geschmack des ungefilterten Lebens. Ihnen ist sehr oft nicht wohl zumute. Sie zittern, ohne zu frieren. Sie fiebern, ohne zu schwitzen. 

Ihr Glück ist sprunghaft, selten können sie es festhalten. Andere entzünden sie, manchmal ohne es zu wollen. Sie sind ein Geschenk, weil sie ohne Hintergedanken geben (aber auch nehmen können) – doch wehe, man flüstert ihnen ins Ohr, was sie einem bedeuten. Dann flüchten sie, wie sie ohnehin nie Rast machen können. Sie bedürfen eines Schwalls von Einflüssen, aber fürchten sich vor jeder Form der Überreizung. Vertrauen fassen sie nur sehr schwer und sie bleiben selbst dann noch skeptisch, wenn ihre Finger schon in jene der anderen fließen. Sie sehnen sich nach Nähe und fordern sie auch ein, doch sobald ihnen klar wird, dass dafür auch Verantwortung getragen werden muss, fallen ihre Schultern ein, verfliegt der Augenblick. Einen Moment sind sie zärtlich, einen anderen schäumen sie vor Wut. 

Ihre Ideen sind freier als die der anderen, weil sie so sprunghaft sind. Viel zu oft verfallen sie der Vorstellung, dass es für alles eine Lösung geben könnte. Einen Satz, der alles zusammenfasst. Ein Mittel, das man nur nehmen muss, um jeglichen Schmerz zu ertränken. Sie blicken in das fahle Licht des Mondes und fühlen sich davon angezogen. Sie suchen die Nacht auf, als wäre sie eine Kathedrale, in der gebeichtet werden kann. Sie schlafen nicht, oder erst dann, wenn andere schon längst ihren Verpflichtungen nachgehen. 

Sie lieben bedingungslos, weil sie nicht verstehen, dass Liebe ohne Schmerz nicht zu haben ist. 

Sie tasten früh nach dem Tod, er wird manchmal gar für einige Zeit ihr Begleiter. Dann sind sie stumm und ziehen sich die Decke über den Kopf. Sie verlangen danach, dass man ihnen Märchen erzählt und verbreiten doch selber nur zu gerne Lügen. Sie glauben an ihre Flunkereien. Sie verdammen ihre Glaubenssätze. Sie misstrauen allen, die immer nur Fragen stellen. Sie bedürften einer liebenden Mutter und eines strengen Vaters. Aber weder Mama noch Papa sind für sie da. 

Die Experten haben genügend Begriffe, manchmal auch Methoden, wie man ihren Verrücktheiten zu Leibe rücken kann, aber das ficht sie nicht an. Sie sind Ausgeburten eines Dichters, der seine Erzählungen nicht zu einem Ende zu führen vermag. Sie flüstern oft, weil sie schlecht hören. Sie winden sich vor Albträumen, aber sie vertrauen auch den Schlafgedichten, als wäre darin das eigentliche Leben versteckt. 

Sie essen nicht, sie naschen. Sie becircen düster wie Medusen und lauschen den Gesängen der Sirenen, ohne ihnen je zu verfallen. Sie sitzen, wenn andere stehen, und rennen, wenn es angebracht ist zu schleichen. Erste Worte vergessen sie nicht, selbst wenn man sie darum bittet, letzte Gründe sind ihnen fremd. Manch einer würde sagen, sie sind leicht zu haben, aber sie gehören ja nicht einmal sich selbst. 

Was sie lockt, ist die Aussicht auf Geborgenheit. Aber sie ziehen vor allem Verderbte an, die ihnen die Seele aussaugen. Das gilt selbst für jene, die es gut mit ihnen meinen. Sie leuchten eben hell, das macht sie so anziehend, aber sie verglühen auch, bevor ihnen ein Name verpasst werden kann, der sie aus der Dunkelheit zurückholt. 

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