Der Apokalyptiker (2): Frontalangriff auf die Zerstreuung



Spätestens mit der metanarrativen Zumutung „Funny Games“, der von vielen Zuschauern zumindest skeptisch betrachteten Mediensatire, die der Regisseur mit großen Stars in Hollywood noch einmal inszenierte, hatte sich Haneke als unerbittlicher Gesellschaftskritiker etabliert. Sein subversiver Angriff galt aber immer schon weniger den sozialen Zuständen, als viel mehr den Bildern, die sich die westliche Welt zu Selbstvergewisserung auf die Kinoleinwände und inzwischen auf die Smartphones holt. Darin erkannte er die Lust am Skandal, an der Gewalt, an der Verdummung – am grenzenlosen Konsum von Narrativen, die jede moralischen Reflexion über Sinn und Unsinn des Daseins obsolet macht. 

Für Haneke ist diese Form der Unterhaltung lediglich Zerstreuung, die er mit seinen ernsthaften Meditationen über die obskuren Begierden und gewissenlosen Fehlurteile des Bürgertums in Frage stellt. Und in seinen Filmen geht es vor allem um die gut Betuchten, die ihre Schuldgefühle mit teurem Rotwein herunterkippen können. Mehrfach deutete Haneke deshalb in der Vergangenheit an, dass er natürlich kein globales Publikum im Sinn habe. Stattdessen zielten seine Werke auf das gut situierte westliche Publikum, das selbst vermeintlich subversive, zur Veränderung der Verhältnisse aufrufende Kunstwerke wie gut gezuckertes Popcorn konsumiert.

Der einstige SWR-Dramaturg, der erst spät die große Leinwand für sich entdeckte und mit einigen drastischen TV-Inszenierungen (die, wie „Lemminge“ oder „Nachruf auf einen Mörder“, heute freilich kaum noch gezeigt werden) für erstes Aufsehen sorgte, ist schon deshalb eine Ausnahmeerscheinung im europäischen Kino, weil seine gerne als Lerhrstücke verspotteten Werke noch die Kenntnis der großen Klassiker der Literatur, der Kunst und des Autorenkinos Bergmans,  Kiarostamis, Kurosawas und Pasolinis atmen und natürlich beim Publikum voraussetzen. Manche würden vielleicht sagen, dass sie den Zuschauern ins Gesicht gespuckt wird.


Widersprüchliche Welt


Einer, der mehr zu wissen vorgibt, wird in diesen Zeiten entweder verlacht oder wie ein Heiliger gefeiert. Diese kompromisslose Intellektualität hat man dem auch als Filmhochschullehrer agierenden Österreicher deshalb oft zum Vorwurf gemacht. Er sei ein Misanthrop, der seine Figuren zynisch dem Weltübel ausliefere. Erst kürzlich antwortete Haneke auf seine Kritiker in einem Interview: „Nicht ich schau grausam auf die Welt, die Welt ist halt so, wie sie ist: widersprüchlich und schwierig.“

Die Kafka-Verfilmung des Romanfragments „Das Schloss“ fand 1997 wenig Zuschauer, „Wolfzeit“ bedrückte 2003 als Endzeitvision deshalb so sehr, weil alle Ausfallschritte der inzwischen wieder grassierenden Apokalypse-Ästhetik vermieden werden. „Im Frieden kommst du nicht vorwärts, im Krieg verblutest du“, schrieb Kafka in sein Tagebuch - und vielleicht sind es derartige Widersprüche, die das Leben als nimmer mehr enden wollendes Kampfgeschehen deuten, denen sich Haneke verschrieben hat. Insofern sind „Das Schloss“ und „Wolfzeit“ vielleicht auch am entlarvendsten, wenn es um den ästhetischen Anspruch des 75-Jährigen geht: Dies ist ein Meister der apokalyptischen Erzählung, deren Figuren nicht verschont werden. Weil das Leben auch keine Kreatur verschont.

Erschienen bei ROLLING STONE online

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