Eine kleine Klangphilosophie

Über die Kunst der größten Live-Platte aller Zeiten: „The Name Of This Band Is Talking Heads“


Ursprünglich waren es nur 17 Songs. Inzwischen befinden sich auf der CD-Version von „The Name Of This Band Is Talking Heads“ 33 Songs, die zum Teil keinen Platz auf der Vinyl-Version fanden oder nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren.

33 Songs, die Live-Versionen des (frühen) Werkkatalogs von 1977-1979 mit jenen des kommerziellen Durchbruchs in den Jahren 1980-1981verbinden.

Keine Frage, es ist der mit Worten schwer zu umschreibende, glasklare Klang, der diese Platte zum Ereignis macht. Die verquere Mixtur der musikalischen Einflüsse der New Yorker Band – von Postpunk über Afro-Beat bis hin zum Funk – wird hier technisch so herausragend präsentiert, dass sich nicht nur das „Live-Gefühl“ erleben, sondern auch die Produktion des Klangs mittels beeindruckend ausbalancierter Aufnahmetechnik mit den eigenen Ohren nachempfinden lässt.

Der Bass ist dort, wo er hingehört, das Schlagzeug trommelt nicht hölzern im Vordergrund, sondern rhythmisch-mechanisch im Hintergrund, und der Gesang legt sich über die Gitarrenlinien. Wie jede große Platte muss diese mit Kopfhörern genossen werden, um ihre klangdynamische Vision zu ergreifen.

Die Talking Heads sind, trotz der massiven Verehrung seitens der Pop-Kritik, eine der am meisten unterschätzten Bands in der Musikgeschichte.

Ihr Einfluss auf die Popmusik begann bereits im magischen Post-Punk Jahr 1977 mit dem geschickt gewählten Titel ihrer Debütplatte: „Talking Heads: 77“. Wer einen solchen Titel wählt, der reflektiert. In der Tat: eines der beliebtesten Klischees über die New Yorker Band heißt, ihre Musik richte sich von Intellektuellen an Intellektuelle. Diese Feststellung ist sowohl richtig als auch falsch.

Die Talking Heads produzierten – vor allem mit den ersten vier Alben, „Talking Heads: 77“, „More Songs About Buildings And Food“, „Fear Of Music“ und „Remain In Light“ – einen Sound, der auf minimalistische Klangfiguren fußt, präzise Rhythmen setzt, dabei aber zugleich vielfache Brechungen aufweist, die der Musik einen unruhigen Anstrich gibt. David Byrnes Gesang, selbst als Klanginstrument zu verstehen, unterstützt den gehetzten Vortrag durch ein erregtes Timbre, das stets einem Quengeln oder Nölen gleichkommt. Hinzu kommen Texte, deren Perspektive und Gedankenrichtung eindeutiger und uneindeutiger zugleich nicht sein könnten. Der Titel des zweiten Albums, „More Songs About Buildings And Food“ fasst dies beinahe programmatisch zusammen. Hier werden banale Alltäglichkeiten beschrieben und das einfache, vielleicht sogar naive Leben steht im Mittelpunkt („Don’t Worry About The Government“). Zugleich konterkarieren Songs wie „Psycho Killer“ dieses Bild: Hier fühlt sich der Sänger in die Rolle eines geistesgestörten Mörders ein, der – schizophren? – mitten im Song anfängt, französische Sätze zu stammeln.

So wie der Wall Of Sound der Band durchaus eklektisch unterschiedlichste Traditionslinien der weißen und schwarzen Musik miteinander verbindet (z.B. das großartige Al-Green-Cover „Take Me To The River“), gewinnen die Texte durch ihre gewollte Offenheit und ihre Betonung des stimmlichen Vortrags an Mehrdeutigkeit. Alles könnte so sein, nichts muss so sein.

Auf der einen Seite gelingt es den simplen Rhythmusfiguren, den Hörer zu binden, ihn mit jenem gewünschten Ohrwurm-Gefühl der Popmusik zu „quälen“, andererseits verlangt die Musik aufgrund ihrer Absichtlichkeit und den vielfachen kakophonischen Brechungen nach Auseinandersetzung.

„Remain In Light“ stellt den Höhepunkt dieses Klangkonzepts dar. Wie schon die beiden Vorgängeralben wurde es zusammen mit Brain Eno produziert. Das Aufmerksamkeit heischende „Once In A Lifetime“, ein Song, in dem Byrne den sprachlichen Duktus der in Amerika beliebten Fernsehprediger imitiert, ist der einprägsamste Titel der Platte. Zahlreiche Background-Stimmen, eine für die Band zu diesem Zeitpunkt völlig unerwartete Vervielfachung der eingesetzten Instrumente und Gastmusiker – sowie ein kühler elektronischer Unterbau – heben die Bemühungen der Talking Heads um einen organischen, vollkommen in sich geschlossenen Sound auf ein beispielloses Level. Was danach kam, war (hochklassiger) Abgesang: In den Discos wummerte „Burning Down The House“, im Radio trällerte „Road To Nowhere“. Doch die Kunstfertigkeit der Band war mit “Remain In Light” sicht- und hörbar zu ihrem Höhepunkt gelangt.

Hier setzt nun „The Name Of This Band Is Talking Heads“ an. Der Titel referiert sehr deutlich auf den im Vergleich zum Einflussbereich ihrer Musik geringen Popularitätsstaus der Band. Natürlich folgt auf diese Diagnose keine Popularisierung (also: Simplifizierung) des Bandsounds, sondern, wie es für den kunstvollen Anspruch der New Yorker nachvollziehbar ist, eine Besinnung auf Klarheit, Präzision und Deutlichkeit.

So sind Ziel und Zweck des Albums nicht nur die Aufbereitung des Live-Klangs, sondern die über den Live-Augenblick noch einmal gesteigerte Ausdrucksfähigkeit des musikalischen Credos. So führt der Weg als kleine vierköpfige Band vom heimischen Wohnzimmer bis in den Konzertsaal mit Gast-Musiker und Gastsängern. Das beigefügte Booklet des Albums dokumentiert diesen Weg sehr augenscheinlich.

Der erste Teil des Live-Albums, der die Jahre 1977-1979 umfasst, präzisiert den Katalog der ersten Platten mit ungeheurer Genauigkeit. Da wirken die treibenden Rhythmuselemente noch organischer, da erscheint der plärrende Gesang von David Byrne noch Nerven aufreibender und dringlicher. Überhaupt das Organische: Diese Musik scheint darauf hin entwickelt worden zu sein, eine atemberaubende Körperlichkeit unter Kopfhörern zu erreichen.
Die rohe instrumentelle Entwicklung des ganzen Psycho-Dramas von „Psycho Killer“ arbeitet die Idee hinter dem Song noch einmal intensiver in den Vordergrund. Generell gewinnen die Songs durch die Betonung auf ihre – oftmals auch wenig perfekte – Produktion auf der Bühne an Präsenz und Durchschlagskraft. Das manifestiert den Eindruck, dass diese Band live besser funktioniert als auf Album.

Oder anders: Die Talking Heads benötigten diese Live-Platte, um den eigenen künstlerischen Ansprüchen gerecht zu werden.

„The Name Of This Band“ erzählt die Entwicklung dieser Band über die Konzertfassungen ihrer Songs, konkretisiert dann den Höhepunkt des musikalischen Schaffens mit einem vollwertig wiedergegebenen (allerdings nicht an einem Ort aufgenommenem) Konzert und kommentiert damit gleichzeitig das eigene musikalische Schaffen. Entwicklung heißt hier nicht Entwicklung zur Hörbarkeit (also Entwicklung zur Popularität), sondern Erweiterung und Perfektionierung einer Klangphilosophie. Der geniale Talking-Heads-Konzertfilm „Stop Making Sense“ von Jonathan Demme verfestigt diesen Eindruck und leistet für den Konzertfilm das, was „The Name Of This Band Is Talking Heads“ für das Live-Album erbrachte.

„The Name Of This Band Is Talking Heads“ ist eine Platte, die zugleich den Nerv einer Zeit trifft und klug die musikalischen Ansprüche einer Band mit der richtigen Aufnahme- und Abmischtechnik verbindet. Der künstlerische Höhepunkt der Talking Heads - aber auch ihre Vorstellung eines eigenständigen Talking-Heads-Sounds - sind so für alle Zeiten punktgenau verewigt worden.

Mehr kann eine Live-Platte nicht erreichen.

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