Duell

Zum dritten Mal nach 2002 und 2005 durfte der stets als politikverdrossen gebrandmarkte Wähler in diesem Jahr das so genannte TV-Duell zwischen Kanzler(-in) und Gegenkandidat erleben. Es wird hoffentlich das letzte Mal sein.

Einen öderen, langweiligeren Schlagabtausch wie an diesem Abend hätte man sich nicht wünschen können. Entsprechend übervorbereitet rekapitulierten sowohl Frau Merkel als auch Herr Steinmeier ihre in den letzten Wochen immer wieder beiläufig eingestreuten Programme. Es bedurfte nicht erst einer seriösen journalistischen Nachberichterstattung, um diese politischen Inhalte, wie sie gerne zur Abgrenzung von anscheinend bedeutsameren Faktoren wie Ausstrahlung, Ehrgeiz und Machtinstinkt genannt werden, als im Grunde deckungsgleich zu entlarven. Nicht einmal Günter Jauchs glasklare Analyse, hier bewürben sich zwei Regierungsmitglieder einer für erfolgreich befundenen Koalition um eine Fortsetzung ihrer Arbeit, wäre in der kabarettähnlichen Aufarbeitung bei Anne Will (Glanzlicht: Claus Peymann – der allen Ernstes die Grandezza von Polithalunken wie Sarkozy und Berlusconi einfordert) nötig gewesen.

Dabei waren es nicht einmal die beiden Hauptakteure dieser informationsarmen Veranstaltung, sondern das Tribunal dahinter, das enttäuschte, weil es die interessanten Fragen nicht stellte. Frank Plasberg, der Mann für die galligen Nachfragen, kam von der ARD, die souverän-lässige Zuhörerin Maybritt Illner folgte dem Ruf des ZDF, der immer noch unbekannte und auch an diesem Tag unscheinbare Peter Limbourg stellte zahm seine Fragen für Sat 1 (das mit dem TV-Duell auch quotentechnisch baden ging) und Peter Kloeppel zeigte, warum er als Archetyp des charismatischen Anchorman auf das Vertrauen der RTL-Zuschauer setzen kann. Nicht so sehr die merkwürdige Ausstrahlungsweise, die synchron das Geschehen auf vier Sendern möglich machte (und das Radio ausschloss), missfällt. Man hatte sich daran bereits mit den anderen Duellen gewöhnt. Vielmehr die Kakophonie der Fragesteller, die es nicht hinbekamen, eine Art Linie in ihrer journalistischen Suche nach politischen Mehrwerten erkennen zu lassen, überrascht. Man muss gar nicht erst von den Köchen anfangen, um zu erkennen, dass hier nicht einmal der Ansatz eines vernünftigen Gerichts zustande kommen konnte. Es blieb der rhetorische Brei zweier Politprofis, die mal mehr, mal weniger überzeugten, die hastig lächelten und gerne mal, vielleicht aus Nervosität, den Moderatoren über den Mund fuhren. Der Skandal einer verweigerten Antwort oder eines beleidigten Hüstelns war von Beginn an ausgeschlossen worden. Eher noch fiel die manchmal bemüht wirkende präsidiale Ausstrahlung von Frau Merkel auf. Ganz mütterlich antwortete sie auf manche Frage etwas patzig, nur um ihre Autorität ins rechte Licht zu rücken. Genauso fiel Herr Steinmeier durch einige gekonnte Gerhard-Schröder-Imitationen auf. Nicht selten wirkte ein joviales Lachen wie eine Parodie auf den ewigen Medienkanzler.

Man könnte sich durchaus den Spaß machen und die politischen Erkenntnisse des Abends diskutieren. Allein es wäre eine unnütze Müh, die den Zweck dieser vollständig überflüssigen und hoffentlich bald in die Mottenkiste der gescheiterten Fernsehexperimente aufgenommene Sendung missverstehen würde. Die 90 Minuten demonstrierten die Irrungen und Wirrungen einer vom Verhältniswahlrecht getragenen Demokratie, die sich auf amerikanisierte Popularitätsspiele einlässt, die aber nur Sinn innerhalb eines Mehrheitswahlrechts ergeben. Dass die Kandidaten hier noch nicht einmal wirkliche Gegner waren, sondern Teil eines Regierungsbündnisses, bewies eine gloriose Fehleinschätzung der Wahlstrategen, die nun mit jedem steigenden Prozent in den Beliebtheitsskalen annehmen, dass dies ihrer Partei nütze. Wenn der Wähler dieses Duell wirklich aufmerksam verfolgt hat, dann diente dieser Abend eher den kleinen Parteien, die ganz nonchalant – und mit Recht – eine gemeinsame TV-Runde mit allen Parteien verlangen. So käme es zu unerwarteten Duellen, z.B. zwischen Herrn Steinmeier und Herrn Lafontaine, denen dieser Scheinwahlkampf gerne aus dem Weg geht. Mit Blick auf die nicht gerade überragenden Fernsehquoten für diesen gähnendlangweiligen Fernsehabend (die wahrscheinlich anvisierte Jugendzielgruppe, die nur allzu gerne mit Prognosen für ihren Stimmzettel geizt, hat sich wohl eher von Prosieben und dem offensiv als Wahlgegenprogramm beworbenen Simpsons-Film vereinnahmen lassen) muss man für eine tatsächliche Duellform in der Zukunft ganz ernsthaft über einen Wechsel des Forums nachdenken. Ob Spielformen anderer Nationen wie Town Hall Meetings etc. wirklich Sinn ergeben, muss geprüft werden. Sonst bleibt am Ende nicht nur die Sehnsucht nach einem hemdsärmeligen Gigolo wie Berlusconi, sondern die unangenehme Tatsache eines 5- bzw. 6-Parteien-Parlamentes. Das wäre das Ende der Volksparteien.

Der Zwitter aus Personenwahlkampf und Parteienwahl führt eher zu einer Entduellisierung, die den Charme einer solchen Konfrontation ungeheuer mindert.

Wie ein Duell wirklich aussieht, demonstrierte Stefan Raab zum wiederholten Male in seiner spektakulären, im derzeitigen Fernsehprogramm ungewöhnlich innovativen Show Schlag den Raab. Prinzip der Sendung: Ein Kandidat tritt in mehreren Wissens- und Aktions-Spielchen gegen Stefan Raab an, um im Erfolgsfall mindestens 500.000 Euro zu gewinnen. Die Sendung profitiert vom übernatürlichen Ehrgeiz ihres Moderators, der es sich nicht nehmen lässt, das Publikum mit frechen Sprüchen und einem höhnischen Dauergrinsen gegen sich aufzubringen. Bisher bot jedes Duell, wenn der Kandidat auch Chance auf einen Sieg hatte, die Möglichkeit, Mitleid mit dem Preisanwärter zu haben – um Raab in die Schranken zu weisen. An diesem Duellwochenende kehrte sich diese Grundsituation aber um. Weil ein junger Mann, der die DNA des Spiels durch und durch verkörperte, als Gegner von Raab antreten durfte, konnte das Publikum Zeuge eines etwas anderen Wettkampfes werden. Der Kandidat polarisierte durch merkwürdige Siegesgebärden, markige Sprüche und eine Physiognomie, die seinen Ehrgeiz selbst dem größten Autisten ins Bewusstsein riefen, so sehr, dass sein tatsächlicher Name, Hans-Martin Schulze, in wüsten Twitterattacken in Hass-Martin umgewandelt wurde. Am Ende siegte der arrogante Ehrgeizling mit einem erschreckenden Siegesgebrüll und in die Höhe gestrecktem Geldkoffer unter Buhrufen des Publikums und bewies zweierlei.

Erstens. Wahre TV-Duelle entspringen dem Zufall. Sie sind nicht planbar. So wie keiner Gerhard Schröders Macho-Gebärden in der Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005 erahnen konnte, so war auch dieser Raab-Kandidat in der Vorstellungsrunde eher unauffällig, bisweilen sogar charmant. Vor Publikum und von Adrenalin durchspült zeigte sich der angehende Apotheker aber als pöbelnder, von Ehrgeiz zerfressener Fiesling, der gerne auch die schlechtere Konstitution seines Gegners mit Gesten und Worten auszudrücken vermochte. Wer schlägt den Raab könnte auch heißen Wer hat mehr Ehrgeiz als Stefan Raab, denn gerade diese Eigenschaft steht noch viel mehr als Leistungsbereitschaft und Leistungsvermögen im Vordergrund. So witzelte der spätere Gewinner bei einem Diskusduell nach einer besonderen Wurfleistung, dass er eigentlich gar keine weiteren Würfe benötige, um den Moderator in die Schranken zu weisen, nur um dann eines besseren belehrt zu werden. Es sind solche Momente, die, aus dem Sportkosmos ins kleine Fernsehstudio übertragen, den Reiz eines solchen Duells ausmachen. Momente, die nicht planbar sind. In Zukunft wird sich noch jeder an Gerhard Schröders Worte (innerhalb einer Runde mit allen Parteichefs!) erinnern, niemand aber an die fahrigen TV-Duelle.

Zweitens. In einer persönlichkeitsfixierten Welt müssen Gegensätze erzeugt werden. Das TV-Duell zwischen Frau Merkel und Herrn Steinmeier krankte vor allem an dem Unvermögen ihrer Teilnehmer, Konfrontationen eingehen zu können. Jeder verbaler Angriff wirkte einstudiert, letztlich sogar unfreiwillig komisch. Es trafen einfach zwei moderierende, von der bürokratischen Enge ihres Arbeitseinsatzes dominierte Profis aufeinander. Keine Jahrmarktsschreier oder Halbtagsdemagogen. Nicht einmal political animals. Die Sehnsucht nach Konfrontation war also von Anfang an eine verlogene.
Bei Raab versinnbildlichte ein einzelner Kandidat die Schwierigkeiten eines endgültig verschmelzenden Arbeits- und Privatleben. Der perfekte Arbeiter muss strebsam sein, darf aber nicht vorlaut werden. Er sollte geistig, aber vor allem körperlich topfit wirken. Er muss sich den Regeln beugen, es ist aber von Nachteil, wenn er sich in entsprechenden Situationen duckt. Hans-Martin Schulze spielte in Raabs metaphorischer Spielshow nichts anderes als die Rolle einer perfekten Maschine, die nach Erfolg und Sieg nur so giert. Das könnte subversiv sein, weil es die tatsächlichen Erfordernisse einer knallharten Wettbewerbsgesellschaft offenlegt. Es ist aber empörend, weil es durch seine Fremdschämqualitäten auf die Fragilität dieses Systems aufmerksam macht. In dem Moment, da ein Kandidat im TV-Duell (nichts anderes als ein Sinnbild für das gesamtgesellschaftliche rat race) die Regeln von unterwürfigem Kandidaten und beherrschendem Moderator infrage stellt, wird der erschreckende Unsinn einer solchen Konfrontation deutlich. Raab gewehrt seinen Zuschauern diese Möglichkeit, denn er ist in seinem Spiel weniger Moderator als selbst Kandidat. Das ist die durchaus revolutionäre Pointe seiner Show. Sie offenbart im besten Fall ein Riss im System.

Gleichwohl ist das ein Riss, der im aalglatten Gewand des Kanzlergefechts nicht einmal auffallen würde. Die Perfektion der Inszenierung eines solchen Duells pulverisiert jede öffentliche Wirkung. Deshalb fragen die Medien am Montag neugierig, ob der Raab-Kandidat heimlich gekokst habe. Und darum konnte die Antwort auf die Frage, wer von den beiden Politrednern, Merkel oder Steinmeier, denn besser abgeschnitten habe, nur eine sein: Unentschieden.

Duelle haben Sieger. Glückliche, geliebte, unverhoffte und verhasste Sieger. Wen interessieren schon Unentschieden?


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