Wie ein Maschinengewehr
Gedanken zum dritten Album von Portishead
Für manche mag es sich angefühlt haben, als wäre diese Band namens Portishead aus dem Nichts gekommen. Als wäre dort etwas, von dem die Feuilletonisten schwärmen und die Musikkritiker eifrig dozieren, das wie ein leichtes Summen aus der Vergangenheit anmutet und seinen Weg unverhoffterweise in die Gegenwart gefunden hat.
Es ist spontan von einem Meisterwerk die Rede, das in der vor sich hinkriselnden Musikwelt einen heilsamen Aufschrei auslösen könnte. Oder zumindest das beruhigende Gefühl, dass es sie noch gibt, jene perfektionistischen, einsamen Klangkünstler, denen es nicht um Präsenz und Öffentlichkeit geht – nicht um Zugänglichkeit – sondern gerade um das Gegenteil: einen autarken, eigenständigen Klangkosmos, der versperrt, anstatt einzuladen; einen Musikleerraum, der zu befüllen ist mit der brüchigen Intimität einer vermeintlichen Folksängerin (Gibbons) und den kühlen Instrumentarien zweier Tonexegeten (Barrow/Utley), die ihr Handwerk so übergenau beherrschen, dass man nicht von Klangfindung, sondern von Klangerfindung sprechen muss.
Das dritte Album von Portishead, minimalistisch als Third bezeichnet, ist ein eigenständiges Wunderwerk. Düster, geheimnisvoll, bedrohlich, in sich geschlossen – auch intim und verträumt –, aber vor allem grimmig und bedrängend gewalttätig. Ein Song wie Machine Gun, in der Tat eines der radikalsten Songexperimente, das in den letzten Jahren seinen Weg ins Radio gefunden haben dürfte, bohrt sich mit ungestümer Gewalt in die Gehörgänge. Es ist beeindruckend, wie die stakkatoartigen, verfremdeten elektronischen Drum-Wellen unhaltbar in ein nicht erwartetes, an die Musik von Blade Runner oder die Soundtracks von John Carpenter erinnerndes Finale münden. Nichts auf dieser Platte gemahnt zur Ruhe; im Gegenteil: Gleich einer dröhnenden Warnsirene trommelt Third auf das Wahrnehmungssystem ein, will verstören, bewusstmachen und erschrecken. Die größte Unruhe entwickelt das ungewöhnlich aus dem Rahmen fallende Deep Water; zwischen den pulsierenden Gitarrenwänden von We Carry On und dem martialischen Machine Gun platziert. Kurz und intim. Ein akustischer Folksong inmitten all der Angstmalereien.
Doch warum erregen Portishead, nach dem sie 10 Jahre aus der Öffentlichkeit entschwunden zu sein schienen, diese Aufmerksamkeit? Warum ist diese Band, deren Musik man in den 90ern zu lockeren Partys gerne entstellt hat, heute noch relevant?
Da ist zum einen das Konzept einer Band, deren Philosophie nicht durch Präsenz und Permanenz erklärt werden kann, sondern gerade durch ihre Verkehrung: Abwesenheit.
Im Gegensatz zu Radiohead, der anderen großen Art-Rock-Band, lässt sich die Faszination von Third nicht durch die Art der Veröffentlichung erklären. Hatte Radiohead 2007 In Rainbows kurzerhand online veröffentlicht und den eigenen Fans freigestellt, selbst über den Kaufpreis zu entscheiden (und somit das Interesse von der Musik weg und hin zur Produktion und Verbreitung der solchen verlagert), so lässt sich die Überraschung Portisheads durch ihren vermeintlichen Comeback-Charakter erklären. In beiden Fällen geht es ja auch um eine Beschaffenheit der Unscheinbarkeit – hier in Form des nicht mehr nötigen Datenträgers, dort in Form einer Musik, die zwar gattungs- und epochenprägend gewesen ist, sich aber durch konsequente Reduzierung auf lediglich zwei Alben und eine Live-LP rar, vielleicht sogar unsichtbar gemacht hat.
Das Comeback ist eines der gegenwärtigsten Mythen in der Rockmusik. Man denke an Led Zeppelin, an The Who, Queen – oder die ungewöhnliche, der destruktiven und jugendvernarrten Rockmusik nicht zugetraute Langlebigkeit von Künstlern wie Bob Dylan, Neil Young und nicht zuletzt der Rolling Stones –, um diese Form des ewig ausgedehnten Pubertätszustandes zu verstehen. Es geht hier vor allem um Gefühle von Generationen, die ihre Ideale, längst vom bissigen Geist des gegenwärtigen Kapitalismus gefressen, in Form der Musik weiter aufleben lassen können.
Ähnlich, aber doch anders, ist es bei Portishead. Die Bristoler Band hat mit Dummy die Musik einer ganzen Generation geprägt und zugleich das Label des Trip-Hop elegant mit auf die Füße gestellt.
So sehr diese Etikettierung auch die wahren Intentionen Portisheads verdeckte und mithin dafür verantwortlich zu machen ist, dass aus Portishead in den 90ern keine überproportional häufig anzutreffende Band geworden ist, ist es auch Antrieb für die radikale und doch wesenstreue Neuerfindung durch Third.
Es ist schlicht eines der größten Missverständnisse der jüngeren Musikrezeption gewesen, Portishead als schleichende Bar-Musik zu verbrämen. Third wehrt sich gegen dieses Rezeptionsverhalten mit einer rigorosen Sperrigkeit und einer expressiven Strahlkraft, die das Album zu einem Ereignis werden lässt.
Zugleich entwickelt die Band ihren eigenen Mythos weiter oder dekonstruiert ihn während der wenigen Live-Auftritte in diesem Jahr. Anstatt Düsternis steht Erleuchtung: Zig Scheinwerfer prägen die sprichwörtlich harte Arbeit der Toningenieure auf der Bühne. Portishead werden durch ihre Kunst sichtbar. (Die eigentliche Leistung von Third besteht in der Reduktion auf den Prozess der Musikgenese.) Die zarte, zerbrechlich anmutende Beth Gibbons, die sich während und nach ihren dräuenden Klagegesängen immer wieder zu ihrer Band umdreht, sich also von Publikum wegdreht, und sie schweigend beim Musizieren beobachtet, wandelt zudem wie ein Geist über die Bühne und strahlt eine introvertierte Erotik aus (immer wieder gebrochen von einem ebenso gespenstisch anmutenden, lebhaften Lächeln), die einen Großteil des Geheimnisses um Portishead ausmacht. – Nicht zu vergessen bleibt natürlich die anachronistische Volte der Sängerin, kein einziges Interview geben zu wollen.
So sind es die Techniker Barrow und Utley, die Portishead erklären und vor allem selbst ratlos erscheinen, wie die skeptischen, manchmal depressiven Texte ihrer Sängerin gedeutet werden könnten.
Sowieso ist nicht mehr klar bei Portishead – das beweist Third nur umso deutlicher –, wer eigentlich wessen Instrument ist. Ist Gibbons’ Stimme nur eine weitere Klangquelle im überdeutlichen, kalten Tonuniversum der Band oder verhält es sich andersherum, nämlich so, dass gerade die unirdische, fremdartige Musik die grimmig-melancholischen Texte forciert?
Mit Third stoßen Portishead mit einem Wispern des Außen, einer Theorie der Abwesenheit, in den öffentlichen Raum und transzendieren die in Stillstand erlahmende und mit sich selbst beschäftigte Musiklandschaft durch so noch nie gehörte Klänge. Hier lässt sich die wirkliche und wahrhaftige Avantgarde verorten – mutig, radikal, dröhnend und vor allem schmerzhaft dringlich.
Musik zur Zeit.
Für manche mag es sich angefühlt haben, als wäre diese Band namens Portishead aus dem Nichts gekommen. Als wäre dort etwas, von dem die Feuilletonisten schwärmen und die Musikkritiker eifrig dozieren, das wie ein leichtes Summen aus der Vergangenheit anmutet und seinen Weg unverhoffterweise in die Gegenwart gefunden hat.
Es ist spontan von einem Meisterwerk die Rede, das in der vor sich hinkriselnden Musikwelt einen heilsamen Aufschrei auslösen könnte. Oder zumindest das beruhigende Gefühl, dass es sie noch gibt, jene perfektionistischen, einsamen Klangkünstler, denen es nicht um Präsenz und Öffentlichkeit geht – nicht um Zugänglichkeit – sondern gerade um das Gegenteil: einen autarken, eigenständigen Klangkosmos, der versperrt, anstatt einzuladen; einen Musikleerraum, der zu befüllen ist mit der brüchigen Intimität einer vermeintlichen Folksängerin (Gibbons) und den kühlen Instrumentarien zweier Tonexegeten (Barrow/Utley), die ihr Handwerk so übergenau beherrschen, dass man nicht von Klangfindung, sondern von Klangerfindung sprechen muss.
Das dritte Album von Portishead, minimalistisch als Third bezeichnet, ist ein eigenständiges Wunderwerk. Düster, geheimnisvoll, bedrohlich, in sich geschlossen – auch intim und verträumt –, aber vor allem grimmig und bedrängend gewalttätig. Ein Song wie Machine Gun, in der Tat eines der radikalsten Songexperimente, das in den letzten Jahren seinen Weg ins Radio gefunden haben dürfte, bohrt sich mit ungestümer Gewalt in die Gehörgänge. Es ist beeindruckend, wie die stakkatoartigen, verfremdeten elektronischen Drum-Wellen unhaltbar in ein nicht erwartetes, an die Musik von Blade Runner oder die Soundtracks von John Carpenter erinnerndes Finale münden. Nichts auf dieser Platte gemahnt zur Ruhe; im Gegenteil: Gleich einer dröhnenden Warnsirene trommelt Third auf das Wahrnehmungssystem ein, will verstören, bewusstmachen und erschrecken. Die größte Unruhe entwickelt das ungewöhnlich aus dem Rahmen fallende Deep Water; zwischen den pulsierenden Gitarrenwänden von We Carry On und dem martialischen Machine Gun platziert. Kurz und intim. Ein akustischer Folksong inmitten all der Angstmalereien.
Doch warum erregen Portishead, nach dem sie 10 Jahre aus der Öffentlichkeit entschwunden zu sein schienen, diese Aufmerksamkeit? Warum ist diese Band, deren Musik man in den 90ern zu lockeren Partys gerne entstellt hat, heute noch relevant?
Da ist zum einen das Konzept einer Band, deren Philosophie nicht durch Präsenz und Permanenz erklärt werden kann, sondern gerade durch ihre Verkehrung: Abwesenheit.
Im Gegensatz zu Radiohead, der anderen großen Art-Rock-Band, lässt sich die Faszination von Third nicht durch die Art der Veröffentlichung erklären. Hatte Radiohead 2007 In Rainbows kurzerhand online veröffentlicht und den eigenen Fans freigestellt, selbst über den Kaufpreis zu entscheiden (und somit das Interesse von der Musik weg und hin zur Produktion und Verbreitung der solchen verlagert), so lässt sich die Überraschung Portisheads durch ihren vermeintlichen Comeback-Charakter erklären. In beiden Fällen geht es ja auch um eine Beschaffenheit der Unscheinbarkeit – hier in Form des nicht mehr nötigen Datenträgers, dort in Form einer Musik, die zwar gattungs- und epochenprägend gewesen ist, sich aber durch konsequente Reduzierung auf lediglich zwei Alben und eine Live-LP rar, vielleicht sogar unsichtbar gemacht hat.
Das Comeback ist eines der gegenwärtigsten Mythen in der Rockmusik. Man denke an Led Zeppelin, an The Who, Queen – oder die ungewöhnliche, der destruktiven und jugendvernarrten Rockmusik nicht zugetraute Langlebigkeit von Künstlern wie Bob Dylan, Neil Young und nicht zuletzt der Rolling Stones –, um diese Form des ewig ausgedehnten Pubertätszustandes zu verstehen. Es geht hier vor allem um Gefühle von Generationen, die ihre Ideale, längst vom bissigen Geist des gegenwärtigen Kapitalismus gefressen, in Form der Musik weiter aufleben lassen können.
Ähnlich, aber doch anders, ist es bei Portishead. Die Bristoler Band hat mit Dummy die Musik einer ganzen Generation geprägt und zugleich das Label des Trip-Hop elegant mit auf die Füße gestellt.
So sehr diese Etikettierung auch die wahren Intentionen Portisheads verdeckte und mithin dafür verantwortlich zu machen ist, dass aus Portishead in den 90ern keine überproportional häufig anzutreffende Band geworden ist, ist es auch Antrieb für die radikale und doch wesenstreue Neuerfindung durch Third.
Es ist schlicht eines der größten Missverständnisse der jüngeren Musikrezeption gewesen, Portishead als schleichende Bar-Musik zu verbrämen. Third wehrt sich gegen dieses Rezeptionsverhalten mit einer rigorosen Sperrigkeit und einer expressiven Strahlkraft, die das Album zu einem Ereignis werden lässt.
Zugleich entwickelt die Band ihren eigenen Mythos weiter oder dekonstruiert ihn während der wenigen Live-Auftritte in diesem Jahr. Anstatt Düsternis steht Erleuchtung: Zig Scheinwerfer prägen die sprichwörtlich harte Arbeit der Toningenieure auf der Bühne. Portishead werden durch ihre Kunst sichtbar. (Die eigentliche Leistung von Third besteht in der Reduktion auf den Prozess der Musikgenese.) Die zarte, zerbrechlich anmutende Beth Gibbons, die sich während und nach ihren dräuenden Klagegesängen immer wieder zu ihrer Band umdreht, sich also von Publikum wegdreht, und sie schweigend beim Musizieren beobachtet, wandelt zudem wie ein Geist über die Bühne und strahlt eine introvertierte Erotik aus (immer wieder gebrochen von einem ebenso gespenstisch anmutenden, lebhaften Lächeln), die einen Großteil des Geheimnisses um Portishead ausmacht. – Nicht zu vergessen bleibt natürlich die anachronistische Volte der Sängerin, kein einziges Interview geben zu wollen.
So sind es die Techniker Barrow und Utley, die Portishead erklären und vor allem selbst ratlos erscheinen, wie die skeptischen, manchmal depressiven Texte ihrer Sängerin gedeutet werden könnten.
Sowieso ist nicht mehr klar bei Portishead – das beweist Third nur umso deutlicher –, wer eigentlich wessen Instrument ist. Ist Gibbons’ Stimme nur eine weitere Klangquelle im überdeutlichen, kalten Tonuniversum der Band oder verhält es sich andersherum, nämlich so, dass gerade die unirdische, fremdartige Musik die grimmig-melancholischen Texte forciert?
Mit Third stoßen Portishead mit einem Wispern des Außen, einer Theorie der Abwesenheit, in den öffentlichen Raum und transzendieren die in Stillstand erlahmende und mit sich selbst beschäftigte Musiklandschaft durch so noch nie gehörte Klänge. Hier lässt sich die wirkliche und wahrhaftige Avantgarde verorten – mutig, radikal, dröhnend und vor allem schmerzhaft dringlich.
Musik zur Zeit.