Deutschland hat ein neues Magazin. So springen einem die weißen Lettern auf schwarzem Grund in die Augen. Der Preis verzückt (1 Euro), die goldene Gravur verrät Luxuriöses: Vanity Fair hat Einzug erhalten.
Vanity Fair ist nicht nur ein Projekt, es scheint eine Mission zu sein. Es rumorte schon Monate vor Veröffentlichung dieser mammutähnlichen Super-Ausgabe in den Blätterwäldern, was denn dort auf Deutschland zukommen könnte. Die Redaktion brüstete sich, etwas Intellektuelles, Besonderes, Richtungsweisendes zu schaffen, das Woche für Woche die Leser auf höchstem Niveau beeindrucken und fesseln soll. Die Aufregung ist schlicht erklärbar – sie entsteht aus der Tatsache heraus, dass sich all die großen Wochenblätter seit mehr als 10 Jahren konkurrenzlos fühlen dürfen und im Grunde inhaltlich und ideologisch an Rennomé verloren haben. So war alleine schon die großspurige Ankündigung eines neuen Magazins, das wöchentlich erscheinen wird und dann auch noch den Namen der legendären US-Zeitschrift Vanity Fair tragen soll, an und für sich eine Bedrohung – aber auch eine Herausforderung.
Die Idee hinter Vanity Fair, so sehr sie auch – das kann schon jetzt gesagt werden – an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert ist, muss begeistern. Es geht darum großen, liberalen, pointierten Journalismus mit der Verve eines Peoplemagazins und der Seriösität eines Newsmag zu kreuzen (ein schlicht unmögliches Unterfangen in einer Zeit, da jede Neuerung akribisch von Leserumfragen begleitet - und wenn nötig kastriert wird). Dass daraus kein postmoderner Bastard entsteht, sondern beeindruckender Journalismus, beweist das US-Blatt, das zu den meistzitierten Titeln der Gegenwart zählt.
Intellektualismus sollte das Blatt ausstrahlen und damit anknüpfen an jenen Leerraum, der sich in Deutschlands Zeitschriftenmarkt einfach nicht zu füllen scheint. Man sehnt sich nach einem Zeitschriftenkunstwerk wie dem New Yorker und geißelt neben all den Träumereien seine zur Legende verkommenen Großblätter mit Stillstandsthesen und verspritzt das milde Gift der Belanglosigkeit, die diese Zeitschriften (gemeint sind natürlich Stern, Spiegel, Focus, aber auch Bunte und Gala) ausstrahlen.
Vanity Fair kreischt nach Relevanz. Und Anspruch ist vonnöten, um in Deutschland eine Revolution zu starten. Aber trotzdem bleibt ein schaler Nachgeschmack nach zaghaften Goutierungsversuchen der Erstausgabe, die ganz einfach unlesbar erscheint. Zu dick. Zu sehr mit Werbung angeschwollen. Zu wenig das, was man erwarten könnte. Auf dem inoffiziellen, aber letztlich doch offiziellen Titel, der sich hinter dem biederen Schwarz des Deckblattes verbirgt, strahlt Till Schweiger. Mit einer Ziege in der Hand. Und nacktem Oberkörper. Revolution? Exklusiv sind die Tagebüchereinträge der russischen Journalistin Anna Politkovskaja. Das will/soll beeindrucken, könnte aber auch in jeder anderen Zeitschrift zu finden sein. Vanity Fair bietet Amüsantes über Prinzenfreundinnen aus Großbritannien, schenkt einen Survivalguide für die Berlinale, gibt Einblicke in die Gedankenwelt Robert De Niros und erzählt von Till Schweiger. Ja, Till Schweiger. Revolution.
Vanity Fair fehlt (noch?) die Relevanz, die sie für sich beansprucht, weil sie wie eines dieser unzähligen Frauenmagazine daherkommt, im Politikteil keine nennenswerten Stärken zu bieten hat (ist Michel Friedman wirklich ein Starreporter – reicht er aus, um Relevanz zu belegen?) und die Kultur- und Leuteressorts so dumpf-dämlich vermischt, dass selbst die interessanten Geschichten beim Durchblättern keine Farbe gewinnen können.
Dennoch bleibt die Hoffnung, dass sich hinter der Idee und dem hohen, als beeindruckend zu nennenden Anspruch letztlich doch mehr verbirgt. Das würde dem deutschen Zeitschriftenmarkt gut tun. Es wäre schade, wenn die neuartige Hervorhebung einer ernsten Programmatik, die Vanity Fair für sich in Beschlag nimmt – vom Neuen Deutschland ist die Rede – mit der Zeitschrift stirbt, denn gerade das braucht dieses Land: Menschen mit Ideen und hoffnungsvollen Maximen für eine ungewisse Zukunft. Ob die Idee eines neo-biedermeierlichen Deutschlands, das sein geschickt geknüpftes Zentrum im schicken Berlin hat, zu überzeugen vermag oder gar in die falsche Richtung denkt, das ist abzuwarten.
Was bleibt, ist erst einmal der mutige Versuch, großem, stilvollem Journalismus zum Comeback zu verhelfen. Keine schlechte Idee!
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Update
Seit mehreren Monaten liegt Vanity Fair an den Kiosken dieser Republik. Bei aller Mäkelei über eine Erstausgabe, die eben nicht mehr als eine Erstausgabe sein konnte, kann man zu dem simplen Urteil kommen, dass Chefredakteur Poschardt Woche für Woche den Versuch unternimmt, ein manchmal faszinierendes, seltener ein anregendes, meistens einfach nur ein unterhaltsames Überraschungspaket auf den Markt zu werfen. Die einzelnen Ressorts ergänzten sich in den ersten Monaten recht gut und boten immer mal wieder Ungewohntes. Artikel im Kulturteil verwunderten, weil man sie zuletzt in einer Zeitschrift vermutet hätte, deren Affinität zum schieren Überstilisieren jeder noch so geduldigen Kleinigkeit in den ersten Ausgaben deutlich zu vermuten war.
Doch hie und da gab es in jeder Ausgabe etwas Ungewohntes zu entdecken, wurde gepunktet im Adelsmilieu, wo gepunktet werden musste, konnte begeistert werden, wenn plumpe Schwachsinnige wie Oliver Pocher Leibovitz-Fotos imitierten oder wenn in der selben Ausgabe, in dem der Papst zur Stil-Ikone er- und verklärt worden ist ein Artikel über moderne Madonnenverehrung erschien. Ja, es standen oftmals gehaltvolle Reportagen über das Elend im heutigen Serbien neben Modestrecken von Fußballballerinas.
Doch dann ließ sich der Bruch nicht mehr vermeiden - oder zumindest nicht mehr kaschieren. Wo zu Jahresbeginn noch pfundige Artikel im Kultur-Teil die zumeist bräsigen Artikel im Agenda-Teil wett machten, grassiert in jenen Ressorts nun Ideenlosigkeit. Das Stil Ressort wurde in ungehörigem Maße aufgeplustert und bietet nichts, was nicht woanders - weil nicht dem Zwang der Aktualität ausgeliefert - besser stünde. Kolumnen wurden eingedampft (außer dem vorzüglichen "Jahrmarkt der Eitelkeit") und andere Belanglosigkeiten wie Kurzfilmkritiken hinzugefügt. Der Leute-Bereich bleibt stets der gleiche, mal mit besseren, mal mit schlechteren Artikeln bepflanzt. Die Einleitung ins Heft ist nach anfänglichen Ungenauigkeiten verschlimmbessert worden, das Layout wurde klarer gemacht, aber dafür umso scheußlicher gestaltet. Skandale wurden provoziert (das inzwischen legendäre Neo-Nazi-Interview mit Michel Friedmann und Horst Mahler) und lesergewinnende Extras inflationär dem Heft beigeklebt (Sommerhits, Ein Herz und eine Krone auf DVD). Vanity Fair hat sich zum Schlechten entwickelt und ist nicht die Alternative geworden, die sie hätte sein können. Brillante Artikel wie jene um den großen Botho Strauss verschwinden hinter den kreischenden Themen des Boulevards. So ist Vanity Fair nur eine bessere Bunte und ein (viel) schlechterer Stern.
Zu wenig, um relevant zu sein!