Lob und Tadel

Die Unfähigkeit zum Lob ist auch Ausweis eines fehlenden Qualitätsbewusstseins. Nicht das Ansprechen von Mängeln macht eine kritische Haltung authentisch. Es ist vielmehr das Bewusstsein von dem, was in sich gut und produktiv ist. 

Beobachtet ein solcher nach vorne gerichteter Geist eine Leistung, die seinem über lange Zeit gewachsenen Verständnis von etwas Positivem, Gehaltvollem, Andächtigem entspricht, so ist Lob die ganz natürliche Reaktion darauf. Sie platzt geradezu lachend aus ihm heraus. Dies ist völlig unabhängig von anderen Beweggründen oder dem Charakter des oder der Gelobten. 

In diesem Prisma ist der zum Kritisieren angehaltene Mensch, ob nun in der Rolle eines Elternteils, als Oberhaupt eines Unternehmens oder als Zeit und Raum beobachtender Schreiberling, gleichsam Enthusiast und immerzu unzufrieden. Auch jede tadelnde Äußerung unterliegt diesem Impuls. Hier entspricht die Kritik nicht dem Wunsch, einer möge der eigenen Meinung folgen, sondern dem Beharren darauf, ein Anderer oder Anderes solle sich gefälligst darum bemühen, den Wert seines Tuns an dem Gegenstand auszurichten, dessen er oder sie sich mit Herz und Verstand verpflichtet hat.

Somit wird niemals ein Individuum für sein Sosein gerühmt und nicht fürs Allzumenschliche gescholten. 

Vielmehr richtet sich der Blick immer auf ein Tun, auf eine erkannte und zu fördernde oder zu begradigende innere Haltung. 

Man ehrt nicht Vater und Mutter, sondern den Weg zur Reife. Man macht nicht seinen Job gut, sondern entwickelt ein tiefes Verständnis für seine Verdienste. Man arbeitet nicht für ein Publikum, sondern für die Kunst oder Wissenschaft. 

Anerkennung dieser Gestalt führt nie zur Sättigung, Rügen diesen Maßstabs können nicht frustrieren, denn sie sind einem gemeinsamen Ziel verpflichtet und ausgerichtet auf machbare Veränderung in der Zukunft.

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