Der beschönigende Nachsatz

Nein, ungeheuerlich ist es nicht, wenn sie ihm an den Kopf wirft, dass er in den letzten Monaten einige Pfunde zu viel zugelegt hat. Zur Grausamkeit wird die lapidar hingestreute, von einem Lächeln umrissene Bemerkung erst dadurch, dass ihr ein Nachsatz folgt. „Aber du hast Glück, eine Frau an deiner Seite zu haben, die sich daran nicht stört.“ 

Der beschönigende Nachsatz ist der Versuch, sich vor den wütenden Blicken derer zu schützen, die ganz offensichtlich angegriffen werden sollten. 

Er ist eine feige Unverfrorenheit, denn er wird zum Gift gereicht wie lindernder Honig. Dabei ist seine Aufgabe nicht, die beschworenen Worte zu relativieren oder gar aus der Welt zu schaffen. Vielmehr soll der harten Kritik ein Schmierstoff folgen, der es dem Angegriffenen erlaubt, die Gemeinheit nur umso schneller zu verdauen. 

Wenn der Chef die mangelnde Kommunikation mit einem Angestellten beanstandet und gleichzeitig hinterherschickt, dass er doch viel von seinem Untergebenen halte, dann ist auch dieser Nachsatz nichts anderes als der Versuch, den Druck auf den Gescholtenen noch dadurch zu verstärken, dass er, wenn er nicht darauf achtgibt, schnell vom grünen Klee vertrieben werden kann, auf den er soeben hinterhältig gelobt wurde. 

Der beschönigende Nachsatz ist ein fauler Zauber, denn er gibt auch dem Kritisierenden das Gefühl, dass er doch eigentlich nur Ratschläge erteilt, die anzunehmen sich durchaus lohnen würden, aber wenn sie dennoch in den Wind geschlagen werden sollten, nicht zum Ärgernis werden können. Der beschönigende Nachsatz verdreht eine Drohung zum Verbesserungsvorschlag. 

Mit Vorliebe arbeitet dieses heimtückische Sprachspiel unter dem Deckmantel der beklagenswerten und vermeintlich alternativlosen Verhältnisse. 

Wenn der gute alte Freund einmal wieder anruft und dann die Kritik in den Raum geworfen wird, dass man sich doch schon längst hätte melden können, dann ist es nicht weit bis zu der scheinbar natürlichen Bemerkung, dass Zeit ein so rares Gut geworden und man eh ständig unter Stress mit Arbeit beschäftigt sei. Auch diese perfide Form des beschönigenden Nachsatzes zieht der Kritik kaum den Stachel, verleiht ihr aber durch den geschmeidigen Rekurs auf den allgemeinen Zeitmangel eine Dringlichkeit, die einerseits für das gerade geführte Telefonat entlastet, die Schuld aber nur noch mehr auf all die anderen nicht getätigten Anrufe bei Freunden in aller Welt ausdehnt. 

In einer Zeit, die alle Kraft darauf verwendet, Individualität und Selbstbewusstsein zu fördern und zu propagieren, als wäre jede Einschränkung dieser angeblichen Freiheitswerte der direkte Weg zur Hölle längst überwunden geglaubter Repressionen, tut Kritik wirklich weh. Denn sie scheint nicht mehr an Gruppen, Typen, Zustände, Gesellschaften oder Gott gerichtet zu sein, sondern sie trifft mit ganzer Härte immer den Einzelnen, der fehlerhaft ist. Kritik kann aber nur helfen, wenn ihr etwas entgegengesetzt werden kann. Und wenn jeder Mensch auf seine Fehler zurückgeworfen wird und sie sich selbst anlasten muss, dann ist sie nutzlos und ohnmächtig. 

In einer solchen Zeit also muss der beschönigende Nachsatz zur Blüte gelangen, denn er hat den sanft-tönenden Klang einer alles Unheil bereinigenden Kraft der Versöhnung. Der tragische Witz aber ist, dass der beschönigende Nachsatz genau das Gegenteil bewirkt.

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