David Lynch von A-Z: Voyeurismus

Auch hier wieder: „Blue Velvet“. Jeffrey Beaumont, auf der Suche nach einem echten Abenteuer und eingestiegen in das Apartment von Dorothy Vallens, kann gerade noch in den Kleiderschrank flüchten, als die Dame seines Begehrens unerwartet früh nachhause zurückkehrt. Und nun muss der Jüngling etwas beobachten, das ihn wie auch den Zuschauer wohl gleichsam abstößt wie eigenartig erregt. Auf jeden Fall sorgt diese Variation der Ur-Szene (Kind beobachtet Mutter und Vater beim Sex) dafür, dass Jeffrey der geheimnisvollen Brünetten vollkommen verfällt. Er hat Paradies und Hölle gleichzeitig gesehen.

Die Filme von Lynch sind geprägt von einem Voyeurismus, der für die Zuschauer oft zur Tortur wird. Zu sehen ist, wovor man sonst die Augen verschließen würde. Ein allgegenwärtiges Prinzip, das sich längst nicht nur auf die spätestens seit Freund unter dem Begriff versammelten Leidenschaften bezieht. Natürlich trauern die Figuren in „Twin Peaks“ um Laura Palmer, sogar eine ganze Kleinstadt. Als Zuschauer trauert man mit, die Tränen werden in dieser Form sogar zum gleichsam sexuell aufgeladenen Fetisch erhoben. Angelo Badalamenti versucht dies mit seinem hochemotionalen Musikthema, das immer sofort erklingt, wenn es um die Ermordete geht, im Grunde zu erzwingen.

Kunst der Perversion <-> perverse Kunst


Doch recht eigentlich wartet man, von unzähligen Krimis und Horrorfilmen daran gewöhnt, dass die soziale und psychologische Fassade aufgebrochen wird und die düstere Wahrheit über das Opfer, aber auch die um sie trauernden Mitmenschen ans Licht kommt. Gerade der Kontrast zwischen Handlungserwartung und inszenierter Gefühlsaufwallung stärkt das voyeuristische Bedürfnis des Zuschauers.

Unheimlich wird es dann, wenn es plötzlich nicht mehr nur um die Aufklärung eines Gewaltverbrechens geht, sondern zwischenzeitlich um den Geschmack von Donuts und Kaffee. Auch so ein Fetisch.

Das Publikum wird gezwungen, hinzusehen - jedem Detail Beachtung zu schenken. Diktatur des Auges, Entfesslung der infantilen Lust. „Zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden, ist eine tolle Sache“ – sagte Lynch einmal in einem Interview. Kein anderer Gegenwartskünstler hat sich diesem Geheimzugang zur Welt so sehr verschrieben.


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