David Lynch von A-Z: Unheimlich

Ein blauer Samtvorhang, die dramatischen Klänge von Angelo Badalamenti. Dann plötzlich ein blauer Himmel, rote Rosen, „Blue Velvet“ von Bobby Vinton, ein Feuerwehrwagen, winkende Feuerwehrmänner, sich im Wind wiegende gelbe Blumen, Kinder überqueren eine Hauptverkehrsstraße, von einem Lotsen sicher geleitet. Dann eines dieser typischen amerikanischen Vorstadthäuser, ein Mann sprengt den Rasen, eine Frau sitzt auf dem Sofa, sieht fern, trinkt einen Kaffee dazu, auf dem Bildschirm sieht man eine Pistole, vielleicht sieht die Frau einen Krimi. 




Im Garten: Plötzlich verfängt sich der Wasserschlauch in einem Gewächs, gleich könnte die Wasserzufuhr durchbrochen werden. Doch stattdessen fasst sich der Mann an den Hals, gestikuliert wild vor sich hin. Er hat wohl einen Schlaganfall. Er fällt auf den Boden. Das Wasser spritzt unkontrolliert aus dem Schlauch, ein Hund labt sich daran, ein Kleinkind tappst herbei. Noch immer „Blue Velvet“ von Bobby Vinton, aber das Geräusch des zähnefletschenden Hundes übertönt den Schlager. Dann geht es ins Gras, immer tiefer, bis unzählige schwarze Käfer zu sehen sind, die laut und immer lauter schmatzend etwas verschlingen. 

So beginnt „Blue Velvet“ – und damit gelingt David Lynch geradezu exemplarisch, in einer perfekten Sequenz, das Unheimliche zu visualisieren, jenes ästhetische wie psychologische Konzept, das Freud in seinem berühmten Essay zu greifen versuchte und bei den deutschen Romantikern in direktem Anschluss an die Gothic Novel wohl zum ersten Mal deutlich beschrieben wurde. 

Verstörende Irritationen, die den Alltag durchbrechen und etwas von Alters her Vertrautes und längst Verdrängtes auf erschreckende Weise wieder ans Licht holen (Freud) gibt es bei Lynch zuhauf. 

Dazu beunruhigende Gestalten wie den Mystery Man in „Lost Highway“, der zugleich an zwei verschiedenen Orten sein kann und mit seinen Worten Einfluss auf das Leben der Hauptperson (und auch auf die Handlung des Films) nehmen kann. 

Schließlich all die Teufelskerle, plötzlich wie aus dem Nichts auftauchende Waldmänner, Hexen und Spiegelfiguren. Doppelgänger, Paradesymbol des Unheimlichen: Fred Madison/Pete Dayton; Renée Madison/Alice Wakefield; Mr. Eddy/Dick Laurent in „Lost Highway“, Betty Elms/Diane Selwyn und Rita/Camilla Rhodes in „Mulholland Drive“ (zwei Filme, die selbst wie Doppelgänger funktionieren, aufeinander verweisen, sich gegenseitig erhellen). 




Dazu gelingt es dem Regisseur mit seinen Filmen auf manchmal bedrückende Art und Weise Kritik an unserem Realitätsverständnis zu üben. Das funktioniert auch, in dem zwei wesentliche ästhetische Operationen der Populärkultur gegeneinander ausgespielt werden, die eigentlich nie aufeinander prallen: Gewalt und Kitsch. 

Das Publikum wird so dazu gedrängt, die Emotionen in Frage zu stellen, die es aus unzähligen Kinofilmen und Fernsehserien verinnerlicht hat und wohl auch für das eigene Leben anzuwenden weiß. Ereignet sich im wahren Leben eine Situation, die in einer bestimmten Form unheimlich, ja bedrohlich und geheimnisvoll ist, so wäre es nicht unwahrscheinlich, dass sie in dem Fall „lynchesk“ genannt werden könnte. Kafka hat einen würdigen Nachfolger gefunden.

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