Bauklötze staunen


Bauklötze staunen


Hinter der Glasfassade schwebt der Sternenkreuzer. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass das Modell von einem Sockel in die Lüfte gehoben wird. Ohne zu staunen ist der Zugang zum Lego-Store also unmöglich, und sei es über den stolzen Preis des Krieg-der-Sterne-Bausatzes von 400 Euro. 

Ein gewiefter Verkäufer begrüßt die Besucher mit einem kunterbunten Werbeblättchen. Seine Zielgruppe kennt er gut. Wer nicht ins Raster passt, bekommt keines. Und in die Welt von Lego finden nach Verkaufszahlen vor allem Jungs. Sie wollen mit Star-Wars-Produkten selbst den großen Lichtschwertmythos nachspielen. Oder sie wollen abtauchen in Dino- und Piratenwelten. Manchen ist die Vorfreude über das baldige Zusammenstecken der Fantasieressorts förmlich aus dem Gesicht abzulesen.  

Vor Jahrzehnten machten den dänischen Konzern rote Eimerchen mit tausenden kleinen Plastiksteinen berühmt, heute wird die Firma durch dutzende von Lizenzprodukten für Kinoserien reich gemacht. 

Aber wer braucht schon Werbefotos von Produkten, die im Laden überlebensgroß aufgestellt sind? Allein die gar nicht so große Verkaufsfläche ist Werbung genug. Und so wirkt die Werbebroschüre, die auf Nachfrage dem Verkäufer doch noch abgeluchst werden kann, etwas enttäuschend. Die neuesten Produkte sind vor allem noch mehr Star-Wars-Raumschiffe sowie eine große Zahl an eigenartigen Baumaschinen. 

Schnell fällt auf, dass es nicht mehr nur die kleinen Jungs sind, die Lego zum Bauen animieren will. Auch technikbegeisterte Teenager sollen dem Klötzchenzauber erliegen. Einen großen Teil der Verkaufsfläche im Legoshop nehmen deshalb Produkte aus der Technik-Reihe ein. Im Laden staunt dann auch die zu erwartende Klientel vor den Regalen: bebrillte, klug vor sich hin plappernde Jungs, die gerade in die Pubertät gekommen sind. Längst spielen auch Computer eine Rolle in dieser Sparte. Und so wundert es nicht, dass eine ganze Tüftlergeneration bei Jugend-forscht-Wettbewerben mit Legoprodukten auf sich aufmerksam macht. 

Aber nicht jeder ist ein Technikfreak und viele Nachwuchsbastler scheitern schon an der Konstruktion der nicht immer simpel zusammen zu steckenden Legosteine.  

200 und mehr Teile nach einer bildgewaltigen Anleitung geschickt zu arrangieren, lässt nicht selten kleine Baumeister in Tränen ausbrechen und ihre Eltern verzweifeln.

Eine Feuerwehrstation kann nicht in 10 Minuten aus dem Erdboden gehoben werden. 

Dass es aber eine große Zahl von erwachsenen Hobbymodellierern gibt, hat auch Lego erkannt. Warum sollte man diese Zielgruppe, die sonst behutsam Segelschiffe in Flaschen stopft, vernachlässigen? So lässt sich im Shop über detailgetreue Nachbildungen von berühmten Gebäuden wie dem Weißen Haus oder sogar dem Burj Kalifa staunen. Das sieht edel aus in diesem Miniatur-Legoland und macht sich auch ganz hervorragend in einer Glasvitrine. Es sind vor allem ausgewählte Produkte, die fertig modelliert ausgestellt werden und einen großen Wiedererkennungswert haben. Aber der Aufwand, die hunderten Plastikpartikel in Form zu bringen, kann nur erahnt werden.

Eigentlich müsste auf den Verpackungen ein Hinweis auf den Schwierigkeitsgrad oder wenigstens eine Zeitaufwandsangabe stehen. Stattdessen soll eine Alterseinstufung den nervösen Eltern einen entspannten Weihnachtsabend bescheren. Meistens klappt das nicht so, wie geplant – und oft suchen sich die kleinen Bastler gerade die Produkte aus, die zwar cooler und deshalb aufwändiger sind, aber eben auch schwieriger zusammen zu stecken. Über fluchende Erwachsene, die am Empire State Building verzweifeln und vor Wut den Bausatz an die Wand schmeißen, weiß der Verkäufer nichts zu berichten.  

Je komplexer und realistischer die Modellsätze die Realität und vor allem die filmisch vorgeprägten Fantasievorstellungen nachahmen, desto besser verkaufen sie sich. 

Längst ist Lego zum absoluten Marktführer für Spielzeugprodukte in Deutschland herangereift. 2011 sind mehr als 15 Prozent aller Spielzeugwaren, die über den Ladentisch gewandert sind, Legosteine gewesen. Die Hälfte der zwanzig meistverkauften Spielzeuge im letzten Jahr waren Lego-Produkte. Das bedeutet, dass fast 300 Millionen Euro in die Taschen des dänischen Spielzeugherstellers geflossen sind. Und das Taschengeld scheint gut angelegt zu sein: Die Firma verfügt über eine erstklassige Marke. Fragt man die potentiellen Kunden nach ihrer Meinung und ihrer Zufriedenheit mit den Lego-Bausätzen, dann sieht man meist ein breites Strahlen. 

Im Lego-Shop herrscht die Regel, dass Vater und Sohn hier ihre gemeinsame Leidenschaft ausleben können. An wenigen anderen Orten findet man sie so intensiv und beinahe intim im Gespräch. Da wird der Nachwuchs leidenschaftlich in die große Tüftlererfahrung eingeweiht, aber auch die Kleinen können sich brüsten mit ihren Klötzchenerfolgen. 

Wie aber ist der Erfolg eines Konzerns zu erklären, der eine ganze Zielgruppe einfach außen vorlässt: Mädchen. Längst haben die Dänen verstanden, wie sie auch die Herzen der weiblichen Kundschaft gewinnen können. Wegen eines Raumschiffs werden die Barbie-Puppen nicht weggelegt. Aber vielleicht interessieren sie sich ja für Andrea, Emma, Mia, Olivia und Steffi. Was klingt wie die Namen der Hauptfiguren aus einer beliebigen Telenovela, ist in Wahrheit der Versuch, die jungen Kundinnen mit Figuren zu gewinnen, die schlanker und detailgetreuer als die männlichen Lego-Konkurrenten sind. Lego Friends heißt diese neuartige Markenwelt, und sie soll Harmonie und sozialen Zusammenhalt in den Mittelpunkt rücken. 

An der Kasse ist es nicht anders als im Supermarkt: Dutzende Artikel wie Miniatur-Darth-Vaders warten für die Kleinsten griffbereit in großen Truhen, um den Einkauf noch mit einem letzten freudigen, aber auch teuren Strahlen abzuschließen. Wie langweilig muss es gewesen sein, als Eltern noch ganz allein zu Karstadt pilgerten, um den Geburtstagswunsch ihres Nachwuchs zu erfüllen, dort aber feststellen mussten, dass es das begehrte Modell gar nicht vorrätig gibt. Nun können Groß und Klein gemeinsam Bauklötze staunen. Und ein paar Dänen reicher machen, die von roten Eimerchen, die zum kreativen Selbstbasteln einladen, nichts mehr wissen wollen.

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