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Prolog

Manche empfangen, andere nicht

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Wenn ich aus dem Fenster schaue, blicke ich auf einen Friedhof. Dort liegen auch meine Großmutter und mein Großvater begraben. Ich besuche oft ihr Grab und mache dann noch einen Spaziergang. Es ist kein großes Feld, es liegen auch keine berühmten Zeitgenossen dort. Dennoch ist es eine Friedensstätte schon deswegen, weil hier, umgeben von mehreren Straßen, die sich um das Gelände schlängeln, manchmal paradiesische Ruhe herrscht. Das Schnaufen der Automobile, vereinzeltes Gehupe und Feuerwehrsirenen verkommen zu einem Geräuschwurm, der sich nur mit Mühe in den von vielen Eiben, Linden und Eichen umstellten Gottesacker hineinbohren kann.  Hier findet sich mit dem Krummen Pfuhl auch eine Trauerhalle im schönen Jugendstil, die unter Denkmalschutz steht, und wo zur letzten Erinnerung an meine Oma einer meiner Cousins auf der Gitarre „Tears In Heaven“ von Eric Clapton spielte.  Friedhöfe hatten für mich schon immer eine große Anziehungskraft: Hier benehmen sich die Menschen anders, a...

David Lynch von A-Z: Labyrinth

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Worin besteht das Vergnügen, sich in einem künstlich angelegten Garten zu verirren, der möglicherweise viele oder gar keine Ausgänge hat? David Lynch war der Großmeister der filmischen Labyrinthe. Seine Erzählungen sind verschachtelt („Mulholland Drive“), kennen unendlich viele Plot Points („Twin Peaks“), führen die eigenen Hauptfiguren in die Irre („Lost Highway“) und in einen undurchsichtigen Zitate-Dschungel der Popkultur („Wild At Heart“) oder des eigenen Werks („Inland Empire“).  Damit kam David Lynch die Rolle eines prophetischen Künstlers zu, der mit den Mitteln des postmodernen Kinos die Komplexität einer Welt beschrieb, die ihren eigenen Diskursen nicht mehr entkommen kann („Das ist eine Schlangenlederjacke. Sie ist ein Symbol meiner Individualität und meines Glaubens an die persönliche Freiheit“, Sailor in „Wild At Heart“).  Man kann sich in diesen kunstvollen Bildlabyrinthen, die nicht selten einer gewissen Traumlogik folgen, mit wohligem Schauer verliere...

David Lynch von A-Z: Kult

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„Eraserhead“ begründete gemeinsam mit Filmen wie „El Topo“ von Alejandro Jodorwosky, „Pink Flamingos“ von John Waters und „The Rocky Horror Picture Show“ von Jim Sharman (allesamt Filme, die einer ähnlichen, längst verblühten Geisteshaltung entsprangen) in den 1970ern das Mitternachtskino in den USA mit. Fünf Jahre hatte Lynch an dem verqueren Un-Werk gedreht, sogar am Set geschlafen, um den Film fertig zu bekommen. Danach wurde Lynch zu einem der innovativsten Bildkünstler, konnte sich Flops wie „Der Wüstenplanet“ leisten, ohne dass sein Name Schaden nahm. Er ließ ihn dann aber auch vorsichtshalber kurzzeitig durch Alan Smithee austauschen. Spätestens mit „Blue Velvet“, vor allem aber auch mit der weltweit von Fans verehrten und diskutierten Serie „Twin Peaks“, die er zusammen mit Mark Frost initiierte (Quality-TV, noch bevor der Begriff durch die „Sopranos“, „The Wire“ und „Mad Men“ zur Standardfloskel verkam, und später mit „Twin Peaks: The Return“ noch einmal wegweisend), w...

SMS für dich

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Früher, als der Speicherplatz noch beschränkt war, haben wir SMS gesammelt. Wir haben sie verteidigt gegen wortgewordenen Schund. Manchmal haben wir abgewogen, welche Liebeserklärung (oder welche Zornbotschaft) erinnerungswerter war.  Die schönsten Kurzmitteilungen haben wir sogar abgeschrieben. Nun rollen die Sätze grinsend oder flennend übereinander hinweg. Was unbeachtet in der Vergangenheit abgelegt ist, verschwindet still und heimlich. Wir sollten wieder Flaschenpost verschicken.

David Lynch von A-Z: Joyride

David Lynchs Filme sind Trips in eine andere Welt, die von Gesetzen gesteuert werden, die eben nur dort – in „Lynchland“ – gelten.  Jünglinge wie Jeffrey Beaumont in „Blue Velvet“ oder Paul Atreides in „Der Wüstenplanet“ (ironischerweise beide von Kyle Maclachlan als eine Art alter ego des Regisseurs angelegt) legen ihre Scheu ab und bahnen sich den Weg zu einem Geheimnis, das ihr Leben für immer verändert. Ein Pärchen flüchtet quer durch die halbe USA vor einer wildgewordenen Mutter-Hexe, die eine Handvoll Killer auf sie angesetzt hat. Ein Mann verliert seinen Verstand und erlebt sich plötzlich in einer völlig  anderen Realität.  Das Bild bleibt die Straße im Dunkeln, die sich ewig dehnt.  Lynchs Filme sind Joyrides, für seine Figuren, die wie Henry Spencer permanent im Urlaub oder irgendwie nicht beschäftigt sind, stetig vor neuen Initiationen stehen und mit (ihren) Dämonen zu kämpfen haben.  – Aber es sind auch Joyrides für den Zuschauer, der in ...

Kakerlaken glotzen

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Eine ganze Nation wärmt sich am Fernsehlagerfeuer, wenn RTL alljährlich „Ich bin ein Star - holt mich hier raus!“ sendet. Dass es sich um einen harmlosen Spaß ohne Folgen handelt, ist allerdings ein gefährlicher Irrtum. Warum nur berichten so viele geradezu ekstatisch vom RTL-Dschungelcamp - gibt es nicht wichtigere Themen, die dieses Land bewegen? Sicher gibt es die. Aber der Erfolg dieses eigenartigen Sendeformats ist, dass es trotz Medientamtams massiv unterschätzt wird. Eigentlich sollte man annehmen, dass es sich hier um einen weiteren Tiefpunkt in der nach unten offenen Skala des Selbstentwürdigungstheaters handelt, das die Privaten und besonders RTL seit Jahren kultivieren. Aber das wäre zu einfach. Längst wärmt sich eine ganze Nation an diesem Fernsehlagerfeuer. In der Spitze sehen bis zu 9 Millionen Menschen dem bunten Treiben im australischen Regenwald zu. Oder ist es doch nur ein gigantischer Container in Köln/Hürth? Jedenfalls bescheren die Zuschauer RTL vor a...

David Lynch von A-Z: Inspiration

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Lynchs filmische Methode könnte man noch am ehesten mit der écriture automatique der Surrealisten beschreiben. In unzähligen Interviews hat der Filmemacher erklärt, dass er kaum eine nachvollziehbare Methode habe, zu seinen Erzählungen vorzudringen. Sie seien einfach da, wie Bilder vor den Augen, wenn man sich in einen Sessel setzt und seinen Tagträumen hinterher schaut. Lynchesk   So hinterlassen seine Filme bei den Zuschauern auch den Eindruck, sie seien einzigartig, könnten in der Form nur von Lynch und von sonst niemandem stammen. In diesem Zusammenhang spricht man deshalb auch von 'lynchesk' oder 'lynchig' (die Verwandtschaft mit dem Begriff des Kafkaesken ist durchaus kein Zufall, Lynch fühlt sich nach eigenen Angaben dem Prager Schriftsteller seelenverwandt) – als würde es ein spezielles Gefühl geben, das Lynchs Kinofilme, seine Musik, seine Bilder sofort auslösten.    Dabei ist der Universalkünstler kein Solipsist, sondern ein aufmerksamer Beobach...

David Lynch von A-Z: Hölle

Nimmt man das melancholisch-stille Road-Movie „Straight Story“ einmal aus, so lässt Lynch seine Figuren in eigentlich allen Filmen unaufhaltbar in die Hölle fahren. Wobei die Bewegung, die Fahrt, der Prozess des (vor sich hin) Treibens eine große Rolle spielt. Auch wenn Henry Spencer von einer unheimlich deformierten Tänzerin, die in seiner Heizung wohnt, vorgesungen bekommt, dass im Himmel alles großartig sei, bleibt ihm schließlich, nach einem wahrlich surrealistischen Inferno, nur die Verwandlung in einen Radiergummi. Hölle, das ist bei Lynch auch ein Ort, an dem die Menschen mit ihren verdrängten Schattenseiten konfrontiert werden, ihren sexuellen Gelüste und aggressiven, sinnlosen Trieben. Gewalt und Gegengewalt wird hier mit großer visueller Kraft von ihrer ansonsten infantilen Verkleinerung im Kino befreit. Selbst Hollywood, die Traumfabrik, kann wie in „Mulholland Drive“ zum Moloch werden, in dem finstere Gestalten und mysteriöse Hintermänner heimlich die Strippe...