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Prolog

Manche empfangen, andere nicht

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Wenn ich aus dem Fenster schaue, blicke ich auf einen Friedhof. Dort liegen auch meine Großmutter und mein Großvater begraben. Ich besuche oft ihr Grab und mache dann noch einen Spaziergang. Es ist kein großes Feld, es liegen auch keine berühmten Zeitgenossen dort. Dennoch ist es eine Friedensstätte schon deswegen, weil hier, umgeben von mehreren Straßen, die sich um das Gelände schlängeln, manchmal paradiesische Ruhe herrscht. Das Schnaufen der Automobile, vereinzeltes Gehupe und Feuerwehrsirenen verkommen zu einem Geräuschwurm, der sich nur mit Mühe in den von vielen Eiben, Linden und Eichen umstellten Gottesacker hineinbohren kann. Hier findet sich mit dem Krummen Pfuhl auch eine Trauerhalle im schönen Jugendstil, die unter Denkmalschutz steht. Friedhöfe hatten für mich schon immer eine große Anziehungskraft: Hier benehmen sich die Menschen anders, alles ist mit Symbolik aufgeladen. Ich bin in Arbeitspausen oft über diese Friedenshaine, weil ich schnell zu Kräften komme, wenn mich n...

Du bist nicht mehr da, wie kann das sein?

Eben hast du noch am Fenster gestanden und hinaus geschaut. Du hast aus dem Zuhause, deinem Reich, in die Welt geblickt. Du hast streunende Katzen beobachtet und den Nachbarn beim Rasenmähen. Du hast die Straße im Blick gehabt, die kleine vor der Haustür, die große neben dem Balkon. Nichts entging dir. Während andere lauern müssen, warst du immer schon da, wenn etwas passiert ist.  Ich habe sehr viel von dir gelernt, wie man beobachtet. Du hättest das gewiss niemals eine Kunst genannt, es war dir eine Notwendigkeit, um DABEI zu sein.  Ich glaube, du hast davon auch nicht gelassen, wenn wir im Restaurant saßen. Das taten wir oft, viele hunderte Male. Hier besprachen wir die Kleinigkeiten des Lebens, manchmal das Ungemach in der Familie, viel öfter aber, was „die Politiker in Berlin“ so trieben. Du aßt oft das selbe und ich tat es dir nach, weil es wichtig ist, dass man Dinge immer wieder tut und sich nicht dafür schämt. In den letzten Jahren trankst du immer einen Cognac danach...

Helfen statt herrschen

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  Nachdem Charlie Chaplin von den schrecklichen Gräueltaten der Nazis erfuhr, vom Holocaust, von der Verfolgung und Tötung von Minderheiten, von der Vernichtung des politischen Feindes, bat er um Entschuldigung für seinen Film „Der große Diktator“. Er sei der hässlichen Fratze des Schreckensregimes nicht angemessen gewesen.  Mehr als 80 Jahre nach dem Kinostart am 15. Oktober 1940 steht diese gloriose, bissige und dennoch zutiefst humanistische Komödie immer noch als strahlendes Beispiel für eine Kunst, die gleichsam das Tor zur Wahrheit aufreißt und sich dennoch nicht über die Menschen erhebt, die verführt worden sind. Stattdessen wird ihnen mit den Mitteln der Satire und der Offenlegung des Absurden die Hand gereicht.  Ein jüdischer Friseur wird aus Versehen zum Führer Die Geschichte von „Der große Diktator“ ist jedem bekannt, der mehr als einen Schwarz-Weiß-Film im Leben gesehen hat: Diktator Anton Hynkel ist der Anführer von Tomanien und bereitet hinter dem Rücken des...

Nimmermehr

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Früher waren die Menschen einfacher zu erschrecken.   

Gesunder Menschenverstand

Die größte Gefahr für ein paranoides Weltverständnis ist der gesunde Menschenverstand. 

Wunden

„Wunden sind, wenn sie uns nicht umbringen, der wahre Weg zum Leben.“ Oliver Sacks

Verzicht und Kontemplation

„Wenn das Herz denken könnte, würde es stillstehen. Was bleibt jemandem, der wie ich lebendig ist und doch kein Leben zu haben versteht - ebenso wie den wenigen Menschen meiner Art - anders übrig als der Verzicht als Lebensweise und die Kontemplation als Schicksal?“ Fernando Pessoa, „Das Buch der Unruhe“

Man liest nie aus

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Wer versteht mehr von Literatur: Der Mann auf der einsamen Insel mit einem einzigen Buch, das er hundertmal gelesen hat – oder der Bohemien in seiner Stadtwohnung, umgeben von einer luxuriösen Bibliothek, der jeden Tag ein neues Buch verschlingt?  Für den Inselmenschen ist sein Buch wie eine Geliebte. Er kennt jede Falte, erspäht Wiederholungen, weiß um Stärken und Schwächen. Er hat es verinnerlicht und vielleicht sogar schon vom Geschriebenen geträumt. Für ihn ist das Buch eine ganze Welt aus Echos, Widersprüchen und vertrauten Rätseln.  Für den Ästheten hingegen ist die Literatur wie eine Stadt, durch die er flaniert. Er ist ein Sammler und weiß, wie Themen wandern und Stile sich ändern. Wenn er aus ihnen zitiert, dann schon deswegen, weil auch die Autoren, die er liest, sich aufeinander berufen.  Der eine bohrt in die Tiefe (weil er es muss), der andere sucht nach dem Horizont (weil er es will). Im Pendeln zwischen dem einen Satz, den man hunderte Male liest und daher ...