Wir amüsieren uns zu Tode
Kinder lachen 300 Mal am Tag, sagt man. Ganz einfach nachzuweisen ist das nicht, die Studienlage ist brüchig. Die Großen, so heißt es, giggeln tagsüber gerade einmal 30 Mal (was bei 6-8 Stunden Schlaf nicht einmal ein Lacher in 60 Minuten ist).
Vielleicht tun sie es inzwischen sehr viel häufiger, nur blicken sie dabei nicht in andere Augen, sondern auf einen Bildschirm. Da werden Memes und Videos gefeiert, doch es ist meist keine spontane und unbefangene Erheiterung wie bei den Kleinen im Spielmodus.
Stattdessen entlädt sich höchstens ein belustigtes Mundwinkelzittern. Kein Wunder: Es ist kein Feixen mit anderen (interpersonales Lachen), es gebärdet sich als Selbstlachen (Stimuluslachen), das durch permanente Wiederholung immer gleicher Affekte erzeugt wird. Weil es nur einen schwachen Reiz auslöst, muss es unaufhörlich wiederholt werden, damit ein Befriedigungseffekt erzielt wird. Die Folge: Wir haben das Gefühl, uns ständig amüsieren zu MÜSSEN.
Passend zu den Algorithmen, die immer die selben Witze auf die Geräte spülen, ist es zudem auch lediglich ein Selbstbestätigungslachen. Man wird sozusagen zuverlässig nur auf dem eigenen Humorniveau unterhalten. Neurowissenschaftlich ist dabei entscheidend, ob der M. orbicularis oculi (also die Muskeln um die Augen) beteiligt ist. Das sogenannte „Duchenne-Lächeln“ signalisiert echtes Vergnügen, während ein bloßes Grinsen - im biologischen wie im kultursensitiven Sinne - eher oberflächlich ist und die Augen nicht aktiviert sind. Ja, es gibt nicht einmal eine Zwerchfellbewegung.
Auch biochemisch macht es einen großen Unterschied, ob man mit einem Smartphone lacht oder in Gemeinschaft. Gemeinsam spötteln setzt Endorphine und Oxytocin frei und senkt Cortisol. Anders ausgedrückt: Glück + Bindung - Stress = Frohsinn.
Fürs Digitalgelächter gibt es immerhin etwas Dopamin, in etwa auf dem Botenstoff-Niveau, wenn man von einer anderen Person für einen Social-Media-Beitrag ein Like bekommt oder an der Supermarktkasse eine Süßigkeit entdeckt und mit aufs Band legt. Ohne soziale Resonanz bleiben die Kuschelhormone fern und das Vergnügen allenfalls ein flüchtiger Kick.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum es vor allem bei Paaren zu einem bis zur Ermüdung getriebenen Spiel geworden ist, dem anderen auf dem Bildschirm etwas zu zeigen, was gerade für komisch befunden wurde. Der Angestupste kann das Selbstbestätigungslachen, das der Präsentator bereits erlebt hat, nicht teilen, weil er das vermeintlich Amüsante gar nicht selbst entdeckt hat; oft fehlt ihm auch der Kontext, der nicht selten für die Komposition des Witzes oder zumindest das Lachpotenzial von Bedeutung ist.
Irgendwann wird das, was leidenschaftlich geteilt werden will, zum Frusterlebnis, wenn der mit ins Grinseboot geholte Partner nur benommen lächeln kann oder gar nicht erst in Stimmung kommt. Wenn es dann sogar zu einem Streit kommen sollte, könnten beide ja an einen Loriot-Sketch denken und zur Abwechslung wirklich gemeinsam schmunzeln.