David Lynch von A-Z: Nicht zu Ende geboren
Eine der vielen (vielleicht hilflosen, aber nötigen) Interpretationskrücken, mit der man David Lynch beizukommen versuchte, ist die des „nicht zu Ende geborenen Mannes“. Laut Filmkritiker Georg Seeßlen implementierte der Regisseur in fast all seinen Filmen eine oder mehrere symbolische Figuren, die über einen Urzustand des Seins (noch) nicht hinaus gekommen sind. Ihr Schicksal pendelt zwischen Tragik und Komik.
Angst vor dem Erwachsenwerden
Natürlich scheint hier „Eraserhead“ am Hintergrund auf, das symbolische Ur-Ei in „Lynchville“. Hier hat der Protagonist mit einem schockierenden, kreischenden, röchelnden, wurmähnlichen Wesen zu kämpfen, dessen Vater er angeblich sein soll. Aber auch der „Elefantenmensch“, der als menschliche Ungestalt auf die Welt kommt, folgt diesem theoretischen Konzept geradezu schauderhaft konsequent.
Doch der psychoanalytische Ansatz, der auch schon für Lynchs erste bedrückende Kurzfilme wie „The Grandmother“ fruchtbar gemacht werden kann, reicht noch wesentlich weiter, denn im Grunde geht es bei Lynch fast immer um junge Männer, die nach einer Erklärung für ihre Schmerzen, ihre eigenartige Verstocktheit und ihre Fremdheit fahnden – und dann meist in einen düsteren Trip verwickelt werden, der ihnen meist unheimliche Erfahrungen bringt.
Dabei steht die Angst vor der eigenen Sexualität (das größte Geheimnis im Lynch-Kosmos) stets auch wie die Enttäuschung durch Mütter und Frauen, die den einsamen Mann verlassen oder hintergehen, im Zentrum.
Lynchs Filme spielen mit dem psychoanalytischen Zugang (so wie es einst auch Hitchcock tat), in dem wesentliche Versatzstücke z.B. der Traumdeutung, aber auch Stereotypen der filmischen Psychologisierung (die kühle Blonde, der unsichere Jüngling, die Femme Fatale, der Doppelgänger) potenziert und zum Teil sogar mit parodistischen Mitteln inszeniert werden.
Interpretationsfalle Psychoanalyse
Damit machen sie es dem Zuschauer eigentlich leicht, Sinn hinter den scheinbar sinnlosen Bildern zu finden. Doch der psychoanalytische Querbezug könnte – genauso wie es in den Erzählungen Kafkas der Fall ist und wie es sich bei den großen Surrealisten von Breton über Bunuel bis Dali präsentiert – eine geschickte Interpretations-Falle sein.