Lehrbücher des Gefühls

Millionen von Liebesromanen werden Jahr für Jahr verschlungen - weil die Menschen danach dürsten, die Liebe zu verstehen. Die besseren Antworten gibt aber nicht die Belletristik.


Die Liebe ist ein Hauch: Filmszene aus „Lost in Translation“

Natürlich gibt es in der Literatur von Shakespeare über Goethe bis hin zu Murakami viele Beispiele für weise Werke über die Liebe. Wer sich darin hineingräbt, wird nicht zwangsläufig zum unverbesserlichen Romantiker, denn viele der größten Liebesgeschichten enden nicht sehr glücklich. Vielleicht liegt es daran, dass die Liebe erst einmal verstanden werden will, bevor sie gelebt wird.

Uns so gibt es ein Glück auch einige theoretische Auseinandersetzungen mit diesem wohl wichtigsten aller menschlichen Themen, die keine Sekunde trocken und für die eigene Herzensbildung und Persönlichkeitsentwicklung wohl genauso von Bedeutung sind wie „Stolz und Vorurteil“ oder die „Die Leiden des jungen Werthers“.

Wer die Liebe verstehen will, sollte diese fünf Bücher lesen!

Erich Fromm: Die Kunst des Liebens 


Psychoanalytiker Erich Fromm wollte eigentlich nur ein kleines Büchlein schreiben, in dem er die wichtigsten Thesen seines bisherigen Werks („Die Furcht vor der Freiheit“, „Wege aus einer kranken Gesellschaft“) zu verdichten suchte. Daraus wurde einer der größten Bestseller zum Thema, von mehreren Generationen verschlungen, in Universitätsseminaren abwechselnd als hellsichtig gepriesen und esoterisch abgetan.
Fromm geht davon aus, dass man die Fähigkeit zur Liebe erlernen muss, dass sie Selbstliebe zur Bedingung hat und schließlich die Entwicklung der ganzen Persönlichkeit als Voraussetzung des Gelingens dringend benötigt. Grundpfeiler für die Kunst des Liebens sind für ihn Disziplin, Geduld, Konzentration und Glaube. Außerdem glaubte der 1980 verstorbene Humanist daran, dass eine kranke, destruktive Gesellschaft voller Narzissten auch nichts anderes als Liebesunfähige erzeugen kann.

Roland Barthes: Fragmente einer Sprache der Liebe 


Noch einer dieser unwahrscheinlichen Bestseller. „Fragmente einer Sprache der Liebe“ erschien 1977 und wurde auf Anhieb nach seinen berühmten „Mythen des Alltags“ zum populärsten Buch des lebenslustigen Semiologen. Mit alphabetisch angeordneten Begriffen und fest an „Die Leiden des jungen Werther“ von Goethe und anderen hochrangigen Werken der Weltliteratur orientiert, schuf Barthes eine Art Lexikon der Liebe und des Gefühls, in dem die Absonderlichkeiten des menschlichen Zusammenlebens und Zusammenfindens scharfsinnig umrissen werden. 
 
Dabei wird natürlich, wie es sich für einen Zeichendeuter gehört, so gut wie jede sprachliche Formel auseinandergenommen, die sich die Verliebten Tag für Tag in die Ohren säuseln. Ausgangspunkt für das Buch sind „Bruchstücke verschiedensten Ursprungs“, wie der Franzose im Vorwort schreibt: persönliche Erfahrungen und Gespräche mit Freunden, philosophische und psychoanalytische Texte und eben Kunst, Musik und Literatur. Die daraus entstandene Montage ergibt ein hinreißendes, wenngleich nicht immer leicht zu lesendes theoretisches Puzzle.

Niklas Luhmann: Liebe als Passion 


Natürlich kann man Niklas Luhmann nicht einfach so lesen auf der Bahnfahrt zur Geliebten in der Ferne. Dafür sind die Sätze des Soziologen und Systemtheoretikers viel zu sperrig. Aber so wie Fromm die sozialpsychologische Dimension der Liebe erkundet und Barthes ihre Wirkweise als Diskurs, veranschaulicht er die Liebe als kommunikativen Code. Auch Luhmann geht unromantisch davon aus, dass die Liebe nicht von alleine kommt – und er stellt sich die Frage, wie man wissen kann, was Liebe ist und was sie von einem verlangt.
Entscheidend ist dabei, dass die Liebe als Code dazu beiträgt, dass der Einzelne in einem Gefüge aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Erziehung nicht verloren geht, sondern überhaupt erst eine Existenzberechtigung gewinnt. Im luftleeren Raum findet dies natürlich nicht statt; Luhmann analysiert literarische Werke aus vergangenen Jahrhunderten und interessiert sich bevorzugt für Anleitungen zum Lieben. So ist sein wissenschaftlicher Roman selbst zu einer Art Liebesanleitung geworden.

Eva Illouz: Der Konsum der Romantik 


Mit „Liebe muss weh tun“ schrieb die israelische Soziologin so etwas wie das Kultbuch der liebeshungrigen, aufgeklärten Generation Y – denn schon mit dem Titel wird das Liebeswirrwarr einer Zeit schmerzhaft auf den Punkt gebracht, in der die Theorie, was romantische Liebe sein könnte und die Praxis, wie mit den in langjährigen Beziehungen auftretenden Problemen umgegangenen werden kann, nicht weiter voneinander entfernt sein könnten.
 
Ihr Grundlagenwerk ist aber „Der Konsum der Romantik: Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus“, in dem facettenreich und mithilfe einer umfangreichen statistischen Erhebung veranschaulicht wird, wie sich die Liebe und die Ökonomie längst gegenseitig beeinflussen. Demnach gibt es keine Romantik mehr, ohne dafür etwas investieren zu müssen. Die amerikanische Praxis des (unschuldigen) Datens, bei dem zuerst in einem Café oder eine Bar etwas getrunken und später dann eine Spritztour im eigenen Wagen gemacht wird etc. steht mustergültig für diese nach Illouz längst eingefahrene und größtenteils bedenkliche Dynamik. Die Liebe ist zum bevorzugten Ort des Konsums geworden.

Wilhelm Schmid: Liebe - warum sie so schwierig ist und wie sie dennoch gelingt 


Wilhelm Schmid ist wahrscheinlich der bekannteste Vertreter einer Lebensberatungsphilosophie, die ihre praktischen Tipps für ein gelungenes Leben mit einer leidenschaftlichen Untersuchung gesellschaftlicher und psychologischer Missstände paart. Sein Ratgeber ist natürlich auch eine Art „Kunst des Liebens“, doch sie legt vor allem auch Wert darauf, die Probleme, die zwangsläufig in einer Paarbeziehung auftreten, hinreichend und vor allem ganz praktisch zu thematisieren. 
 
In der Reihe der hier aufgeführten Werke mag Schmids Büchlein wohl das zugänglichste sein, was aber auch daran liegt, dass sich der Autor mit viel Humor und Weitsicht bemüht, die großen Themen der Philosophie und Gesellschaftstheorie (Schmid hat über Michel Foucault promoviert) auf ihr manchmal gar nicht so festes Fundament zurückzuführen. Dabei kommt Schmid zur Erkenntnis, dass es vor allem die intensive, vorurteilsfreie Betrachtung des Anderen ist, welche die Liebe am Laufen hält. 

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