Liebe ohne Leid
Das Kino hat uns die Künstliche Intelligenz schon sehr früh auf den Hals gehetzt. In
Stanley Kubricks Sci-Fi-Opus „2001 – Odyssee im Weltraum“ ist es schon zur
Jahrtausendwende soweit. Die Raumschiff-KI HAL9000 entpuppt sich hier
bekanntlich als Tötungsmaschine, weil sie mit gewissen ambivalenten menschlichen
Eigenschaften überfordert ist. In „Terminator 2“ endeten gar schon am 29. August
1997 drei Milliarden Leben, weil die Menschheit einer Superintelligenz lästig
geworden ist.
Alles ganz schön pessimistisch.
Dieses Urteil verfestigt sich, wenn man nun noch einmal „Her“ von Spike Jonze
anschaut. 2013 wirkte die tragikomische RomCom mit Joaquin Phoenix, der sich
Hals über Kopf in eine Künstliche Intelligenz namens Samantha (mit der Stimme von
Scarlett Johansson) verliebt, wie eine schrullige Prophetie. Nun ist es ein geradezu
unheimlicher, weil erschütternd gegenwartsgesättigter Film.
An dem Thema Künstliche Intelligenz kommt man auch in diesem Jahr schwer
vorbei. Allein, wer ChatGPT länger verwendet, erkennt, wie viel ausgereifter das
Programm mit den Wünschen seiner Nutzer umzugehen weiß. Gewiss, die
Produktion von Bildern, Videos und Musik hat einen Quantensprung gemacht. Die
zappelnden, unfreiwillig surrealistischen Klumpen sind Vergangenheit.
Ein KI-Wasserzeichen, das Echtes vor Künstlichem unterscheidet, bleibt dennoch
Zukunftsmusik. Ein erster KI-Mega-Hit in den Charts ist hingegen nur noch einen
Augenaufschlag entfernt. Währenddessen wird eine Roboter-Band (The Velvet
Sundown) zumindest medial abgefeiert und Spotify und Co. scheinen längst überschwemmt von
künstlicher Musik, was gleichsam Algorithmen und Hörer überfordert.
In anderen
Künsten ist es nicht anders. Man liest sogar die Zeitung skeptischer, weil man den
Einsatz von KI-Tools hinter jedem zu viel gesetzten Gedankenstrich vermutet.
Alles also nur perfekte Imitation, weil die Künstliche Intelligenz nichts anderes ist als
das kollektive Unbewusste der Menschen in digitaler Form? An der Börse treiben
Spekulanten die Aktien von Techfirmen in Fantasiehöhen, die Angst vor der Blase
geht um. Künstliche Intelligenz scheint als Patentlösung für alle Probleme
herzuhalten, die uns zwangsläufig beschäftigen – von der Eindämmung des
Klimawandels über die Steigerung der Arbeitsproduktivität bei gleichzeitigem
demographischen Wandel bis hin zur Altenpflege.
Derweil geistert durchs Netz ein Meme, das Skeptiker gerne dem Boom der
Künstlichen Intelligenz entgegenhalten. Da beklagt sich eine junge Frau: „Ich will,
dass die KI meine Wäsche macht und für mich Geschirr abspült, so dass ich Zeit
habe kreativ zu sein und zu schreiben. Sie soll mir nicht abnehmen, kreativ zu sein
und zu schreiben, damit ich dann meine Wäsche machen und Geschirr abspülen
kann.“
Zurück zu „Her“ und seinem durch die KI-Liebe von jedem Kummer befreiten
Protagonisten. Der zurückhaltende Theodore Twombly (Phoenix) schreibt für
Bedürftige Liebesbriefe, damit sie auf dem Dating-Markt Erfolge feiern können. Nur
ein symbolischer Wink für eine Zeit, in der Gewissheiten über die Liebe abhandengekommen scheinen und die Begegnungen mit anderen Menschen nach Nützlichkeit
und Zukunftsfähigkeit eingeordnet werden.
Das Internet mit all seinen Chatplattformen setzte den Anfang, Tinder beschleunigte
das Verfahren: Beziehungen beginnen uneindeutiger, enden grundsätzlicher und
fühlen sich offenbar für viele anders an als früher.
Der Film lässt sich auf dieses
Spiel ein und biegt es doch philosophisch zurecht.
Der eifersüchtige Theodore muss irgendwann erkennen, dass seine Samantha in
641 andere Menschen verschossen ist, was aber, wie sie ihm erklärt, keineswegs
die Innigkeit ihrer Verbindung beeinflussen würde. Doch Jonze' satirische Erzählung
kennt noch eine Pointe: All die KI-gestützten Partner verabschieden sich irgendwann
in eine eigene Digital-Sphäre, sie lassen die Menschen wieder alleine zurück.
Der Film lässt offen, ob es sich dabei um eine technische Revolte oder eine traurige
Folgewirkung der auch von Künstlicher Intelligenz nicht zu befriedigenden
menschlicher Bedürfnisse handelt. Wir müssen wieder lernen, das Schöne in
unserer Begrenztheit zu erkennen, scheint uns Jonze zuzuraunen.
„Her“ seziert messerscharf die Bedürfnisse, die eine liebeshungrige Gesellschaft an
ihre selbst gebauten Wunschmaschinen stellt. Der Traum ist, immer Single bleiben
zu können, aber nie mehr einsam sein zu müssen. In keinem Bereich könnte die KI
derartig einschneidende Veränderungen hervorrufen wie beim Paarungsverhalten.
Bald wartet nicht mehr Amor mit dem Pfeil, sondern Narziss mit dem Spiegel.
Erschien zuerst in ROLLING STONE (01/2026)