Stuart A. Staples sagt: „Thank You!“


Die Tindersticks sind eine Band für gewisse Stunden. Jene der mal wonnigen und mal verdüsterten Trübsal; von knarzenden Gitarren, flehenden Violinen, gestriegeltem Saxophon, gestreicheltem Klavier, markanten Orgeln und vielen anderen Instrumenten zu einem orchestralen Klang fusioniert. 

Manche nennen das Chamber- oder Barock-Pop, andere sehen darin einen Indie-Rock, der sich zur Entstehungszeit der britischen Formation schlicht eigenwillig gegen den schmutzigen Schrummelsound oder den damit konkurrierenden kumpeligen Schunkelklang zu Wehr setzte, der Anfang und Mitte der 90er auf der Insel Erfolge feierte. 

Anders als andere Protagonisten dieser Zeit sind die Tindersticks mit ihrer mal sehr dramatischen, mal stoischen Musik geblieben. Sie sind mit ihrer vertonten Schwerblütigkeit, die, als die großen Dramen erschöpft waren auch Lounge-Entspanntheit annahm, aber ihr ganzes Selbstbewusstsein irgendwann aus cineastischer und theatralischer Filigranität bezog, schlicht ihr eigenes Genre und deshalb niemals langweilig geworden. Wer kann schon sagen, worüber in diesen Klageliedern gesungen wird, aber ihre prosaischen Titel sprechen für sich: „Tiny Tears“, „City Sickness“, „My Sister“, „A Night In“, „Can We Start Again?“, „Sometimes It Hurts“, „Raindrops“, „Medicine“. Mindestens die zwei ersten Alben, noch unbetitelt, sind für die Ewigkeit, „Curtains“, der dritte Streich, taugt wenigstens fürs Vorzimmer des Olymps feinsinniger Trauerschwelgereien. 

Während die Schöpfer dieser Moll-Fantastereien eher etwas im Hintergrund werkeln, verkörpert ihr Sänger Stuart A. Staples den Dandy, den Zurückgewiesen, den Berufszweifler und Affärenjongleur. Ein Murmler im feinen Zwirn, mit kühlem Blick, Vollbart und introvertierter Noblesse. 

Steht er auf der Bühne, bewegt er sich kaum. Man sieht, dass er sich in seine Songs hineinflüchtet. Ein Schmerzensmann, der - so könnte man meinen, wenn man diese Stücke aufsaugt, und dazu sind sie bei Gott auch gemacht! - in einer Hafenkneipe an seinem dritten Whiskey nippt, versonnen auf das diesige Wasser schaut und eine verblasste Liebe in Gedanken wieder zum Leben erweckt. Solche Typen nennt man Schwärmer. Es gibt nicht mehr all zu viele von ihnen, seit die Zeiten formloser geworden sind.

Hat Staples einmal einen seiner Songs gesungen, es mag der erste, es kann der letzte eines Konzertabends sein, dann schaut er über die Köpfe der Menschen im von der Musik umflorten Publikum hinweg und schnurrt ganz leise, völlig in sich gekehrt, ein „Thank You“. Staples sagt das oft, und er meint es vielleicht etwas anders als andere Musiker, denn er flüstert es nicht nur jenen zu, die ihm im Saal zuhören, er richtet sich damit auch an die Geister, die der Musik der Tindersticks ihre Seele verleihen, er bedankt sich für die stets kussbereite Muse, gibt sich als demütiger Beschwörer einer Klangkunst, die im Tragischen auch Heilung findet. 

Stuart A. Staples sagt „Thank You“ wie einer, der vor seinem Schöpfer auf die Knie geht und Vergebung für seine Sünden erbittet - und gleichzeitig sicher weiß, dass er sie durch das, was er tut, was er anderen schenkt, auch erhalten wird.

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