Ausgeschnitten

Das Leben wiegt schwer in der Krise, egal wie sie beschaffen ist. Ein Ausweg findet sich nur im Marsch Richtung Komplexität (alles wird endlich einmal in Frage gestellt, neue Lösungen erscheinen am Horizont) - oder eben im Taubengang hin zur Banalität (Verweigerung, Einigelung, Zerstreuung, back to the roots).

Von den schwierigen Dingen spricht es sich zu manchen Zeiten einfach schlechter. Dann also das Triviale: Die Fernsehzeitschrift meiner Wahl wird zugrunde gerichtet. Ich lese sie seit 20 Jahren. Sie verspricht schon seit langer Zeit die meisten Filmbesprechungen - und oftmals waren sie auch richtig gut. Daumen hoch!

Selbstverständlich wurde - anders als bei anderen Blättern ähnlichen Zuschnitts - auch auf sperrige Kunstfilme aus Bulgarien hingewiesen. Nicht ohne natürlich zu erwähnen, dass man dafür Zeit und Muße mitbringen möge. Schund wurde als das bezeichnet, was er ist, wenngleich auch manchmal zum Glück mit schambehafteter Liebe zum Detail vor dem Vergessen bewahrt. Daumen runter. 

Die Döntjes zum Seriengewäsch und Showbetrieb waren mir immer etwas egal, und so hielt es auch diese Zeitschrift eigentlich immer. Zwei Seiten pro Tag, wenige Zeilen. Das war's. 

Früher gab es zu wirklich jedem Film, der im Fernsehen zu sehen war, eine Kritik. Natürlich manche länger und manche kürzer. Dazu ein oft cleverer, manchmal spöttischer Bewertungssatz, der mal saß, mal nicht. Das hatte seinen Reiz, denn oft verhinderte es, dass man sich zwei Stunden langweilte oder gar ärgerte mit einem Film. 

Zur besseren Orientierung gab es Klassiker-Tipps des Tages. Krimi-Tipps des Tages. Komödien-Tipps des Tages. Und an Feiertagen fand man sich im Geröll der Kurzkritiken kaum noch zurecht. Aber das war nicht schlimm. Es zelebrierte den Ausnahmezustand und demonstrierte, dass die Fernsehsender an diesen Tagen auf die wohlige Wärme des Unterhaltungskinos vertrauten. Das ist schon lange vorbei. Lieber sechs Folgen der todgenudelten Sitcom am Stück und nachts gibt es Krimis und Autopsieberichte im Akkord. 

Banalität ist das Gebot der Stunde

Weil aber das Fernsehen immer eintöniger wird, bleibt wohl auch den Fernsehzeitschriften nichts anderes übrig, als sich an diesen Trend anzupassen. Und so faltet sich das Blatt meiner Wahl einfach selbst zusammen. Statt alle Filme des Tages abzubilden, gibt es fortan nur noch eine Auswahl. Statt unterschiedlich langer Kritiken gibt es nur noch vier Formate: den Tagestipp, die mittellange Besprechung, die Kurzkritik und die Ganzkurzkritik. Es herrscht plötzlich Spaltenlogik, keine Layout-Ausbrüche mehr. Dazu sind alle Szenebilder mit einem Filter bearbeitet, der die Farben einem bleichen Ton anpasst. Das sieht manchmal aus, als wäre das Bild zum Comic verfremdet worden. Hauptsache Überschrift, Foto und Text gehen keinen Koloritkampf ein. 

Nun, manche Entwicklungen sind nicht zu verhindern. Es ist klar, dass hier Geld gespart werden soll. Auch die Redaktion meiner TV-Zeitung wurde geschröpft. Die Leser werden von Jahr zu Jahr im Schnitt älter. Es kommen keine neuen nach. Die Jungen (und das sind auch über 30-Jährige) suchen sich ihr Programm entweder im Internet zusammen oder schauen kein Fernsehen mehr. Und sie haben ja auch recht: Warum sollte man sich von einem „Programmie“, wie diese einst dickbäuchigen 14-Tage-Blätter liebevoll genannt wurden, als sie von Millionen gelesen wurden, den Seniorenmagazinen Hörzu und Auf einen Blick die Leser entrissen und mit Schauspielerinnen in einstmals noch hypersexualisierten Posen auf dem Cover vor allem männliche Leser fixierten, auch sagen lassen, was bei Netflix, Amazon und Disney+ sehenswert ist?

Im Grunde adaptieren Fernsehmagazine das Grundrauschen des Fernsehens: Man kauft sie, um sie jeden Tag für einige wenige Minuten in die Hand zu nehmen, dann wirft man sie weg. Aber so wie man mit Tageszeitungen auch Freude über den Erscheinungstag hinaus haben kann, brachte mir meine Fernsehzeitschrift immer noch einige andere unschätzbare Vergnügungen. 

Meine Eltern lasen stets die Hörzu, was wohl auch schon ihre Eltern taten. Man blieb dabei, weil es einfach war und weil Gewohnheiten nun mal stärker sind. Obwohl die Hörzu einmal durchaus ein Wegweiser war für meine nicht zu stillende Leidenschaft für die großen und kleinen Bilder - inzwischen ist sie ein Ratgebermagazin mit Tierfotos und Rätseln, worin sich zufällig noch ein belangloser Programmteil verirrt hat -, und auch immer im Haus verfügbar war, so kaufte ich mir doch meine TV-Zeitschrift deshalb, weil ich darin selbst jene Filme und Sendungen anstreichen wollte, die mich interessieren, ohne dabei den Wünschen meiner Eltern in die Quere zu kommen. Kreuz hin als Akt der Selbstbestimmung. Gerne auch mal etwas fetter. Kreuz mit Kreis, wenn es dringlicher war, den Termin wahrzunehmen. Sieben, acht kleine Kreuzchen, sozusagen als Randverzierung für den Fernsehtipp, wenn es gar nicht anders ging, als diesen Film zu sehen. 

Als angehender Kritiker, der man nun einmal wird, wenn man sich für das Kino mehr interessiert als jeder andere, der als Dialogpartner zur Verfügung steht, kritzelte ich in meinen Jungenjahren noch selber Bewertungen über die Filmkritiken im Heft. Fünf Sterne. Später auch Zehner. Ich war immer sehr krittelig, nur wenige Filme bekamen eine Zehn. Das machte ich sogar mit Einträgen in Filmlexika, die irgendwann zur Ergänzung wurden - genauso wie Jahrbücher (Lexikon des internationalen Films; Film-Jahrbuch von Lothar R. Just). Von meiner Fernsehzeitschrift gab es auch eine solche Sammlung. Ich besitze sie noch heute, auch wenn ich selten zugreife. 

Aber so wie die Sammlung an Filmen auf Videos, DVDs, nun Blu-rays und Downloads wächst, so habe ich mir immer auch mein eigenes Filmlexikon gestaltet und all jene Kritiken von Filmen aus meiner TV-Zeitung ausgeschnitten, von denen ich das Gefühl hatte, dass sie eben besonders wertvoll sind oder ich die Filme eines Tages vergessen könnte. Ich schnitt auch jene Besprechungen zu Filmen aus, die ich besaß und tat sie in die Plastikhüllen, worin die Silberlinge gezwängt sind. Als Begleitlektüre. Aber vor allem ging es mir um die kostbaren Filme, die man vielleicht nur einmal im Leben sieht. Oder um jene Filme, die es wert gewesen wären, sie zu sehen, aber die Zeit oder die Konzentration war nicht vorhanden. Das ist sehr häufig so. Ich schuf mir also immer auch eine Erinnerung an das, was ich gar nicht wahrnehmen konnte, aber wahrnehmen wollte.

Ich pflückte mir eine in Plastikfolien hinüber gerettete lose Blattsammlung von Meisterwerken und interessanten, verworrenen, blödsinnig-schönen, Erkenntnis stiftenden Filmen zusammen. 

Die Kreuze sind weniger geworden, weil die Menge der Filme im Fernsehen weniger geworden ist. Die Einschaltquoten fallen seit Jahren. Das große und noch mehr das kleine Kino verliert massiv an Marktanteilen. Klassiker senden fast nur noch 3sat und arte, kaum gezeigte Filme werden zu nie gezeigten Filmen. Ich schneide auch weniger aus, denn auch die Raritäten sind weniger geworden. 

Die Sammelleidenschaft versiegt 

Vielleicht habe ich auch inzwischen so viel gesehen, dass mich kaum noch etwas überraschen mag. Vieles kaufe ich mir als Importe auf DVD oder Blu-ray, weil es das in Deutschland nicht gibt. Und wenn es diese Filme schon nicht im Handel gibt, so sinkt auch die Wahrscheinlichkeit einer Fernsehausstrahlung. 

Da sich die Filmkritiken nun in meiner TV-Zeitschrift alle gleichen, da sie nun auch hässlicher gestaltet sind und auch kaum Platz für mehr als eine alberne Inhaltsangabe und plumpe „Fun Facts“ liefern, ist es für mich auch keine Lust mehr, sie auszuschneiden und zu sammeln. 

Ich werde meine Fernsehzeitschrift weiterlesen, so wie meine Eltern die Hörzu. Aus Gewohnheit und weil ich gerne etwas darüber lesen mag, was ich sehe. Egal, was es ist. Aber das Magazin hat sich an die Banalität eines Mediums, das es zuvor mit Sinn für Ästhetik und Cleverness begleitet hatte, angepasst. Ein Medium, das in einigen Jahren in dieser Form nicht mehr existieren wird.

Ich werde ein paar Zeitschriften im Keller lagern. Als Erinnerung. 

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