The Big One


Die große, zitternde Stadt, die sich über das Land ergießende Welle und das verlassene, zerstörte Fabrikgelände. Drei Bilder, die das Zeug dazu haben, im kollektiven Gedächtnis als Schreckensikone für immer verewigt zu bleiben. Nein, wir werden diese Bilder nicht mehr los. Sie sind ja Ausdruck eines apokalyptischen Zustands, der gerade erst aufgrund der tragischen Reihung von furchtbaren Katastrophen die Menschen in tiefe Angst gestürzt hat.

Das japanische Beben vom 11. März 2011 war „The Big One“, jenes Ereignis, das zwar möglich, aber unwahrscheinlich ist.

Es war eine Tragödie, die von Wissenschaftlern nicht vorausgedeutet werden konnte, und die, im Zuge der atomaren Katastrophe, ratlos zurück lässt, denn selbst die umfassendsten wissenschaftlichen Untersuchungen und Prüfmethoden bleiben im Angesicht des Ernstfalls hilflos. Das ist der Stoff, aus dem Albträume sich nähren.

Und denkt man an die Bilder des 11. September, dieser ebenso zur Ikone des Grauens aufgestiegenen Urkatastrophe am Anfang des 21. Jahrhunderts, dann sind die verwackelten Kameraschüsse aus Japan, die Sicherheitskameraaufnahmen aus den bebenden Städten, die Amateuraufnahmen von den gewaltigen Wellen und die Helikopteraufnahmen von der Gespensterruine Fukushima ebenso menschenleer. Hier die in sich zusammenfallenden Türme des Finanzkapitals (später dann die in sich zusammenbrechenden Finanzmärkte), dort der havarierte Atommeiler. Bollwerke einer globalisierten Welt – zerstört.

Die Worte zersetzen sich unter dem Druck, das Schreckliche immer genauer, immer deutlicher zu beschreiben.

Wie viel ernster als „sehr ernst“ kann eine Situation sein? Gleichen sich nicht die hilflosen Mienen der Politiker, wenn man an den 11. September 2001, den 15. September 2008 und den 11. März 2011 denkt? 

Tschernobyl, das war das Gesicht der Strahlenkatastrophe. (Wie oft kann man das Wort Katastrophe verwenden, bis seine Bedeutung unter der Last der Verwendung zerbröckelt?)

Dabei handelte es sich um ein Gebiet, das sich von Fukushima in Japan deutlich unterscheidet: Steppe, irgendwo im Ostblock. Das ist doch die Differenz der Albtraumvisionen: plötzlich ist alles so nah, nun löst wirklich jeder Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan an einem ganz anderen Ort aus. Die globalisierte Gesellschaft hat nach den Nullerjahren ihre zersprungene Achillesferse vor Augen gehalten bekommen.

Das Ende der Geschichte war nur ein hübscher Gedanke. Ein paar Flugzeuge haben ihn endgültig vernichtet. Die Freiheit des Marktes war eine nette Vorstellung. Ein paar Immobilienanleihen haben sie zunichte gemacht. Die angeblich umweltfreundliche Energiegewinnung. Es brauchte nur die unfreundliche, bebende Natur, um die Gefahren der Atomenergie schrecklich sichtbar zu machen.

Der Text erschien nur wenige Tage nach der Strahlenkatastrophe von Fukushima vor zehn Jahren. Fügt sich die Corona-Pandemie bruchlos ein in die Riege der „Big Ones“, die kein Mensch einkalkulieren mag, aber mit denen eigentlich jeder rechnet? Bedenkt man die Folgen, die all die anderen Ereignisse für Sicherheits-, Umwelt-, Finanz- und Wirtschaftspolitik hatten, dann bleibt nur die Erkenntnis, dass die eilig herbeigerufene Formel, nach Corona würde vieles nicht mehr so sein wie zuvor, keine Floskel ist. Darin liegt aber Hoffnung: Veränderungen auch zum Positiven müssen JETZT gedacht werden. Denn anders als die spontanen politischen Reaktionen auf die dynamische Infektionslage gehört hier langfristige Reflexion dazu. 

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