Ode an den Menschen, den man nur zu kennen glaubt

Da steht sie dir gegenüber und du starrst ihr direkt in ihr Gesicht. Schweigen. Was soll gesagt werden, was bleibt nicht in den Windungen des brütenden Hirns? Keine Kommunikation. Oder dort steht er und du weißt, dass Verlegenheit dein Antlitz ziert, deine Hände manisch sich falten. Schweigen. Auf ein Wort…doch keines kommt. Dort neben dir liegt das prosaisch-hübsche Wesen, still atmend, zärtlich blinzelnd. Kein Ton, keine Silbe – Ruhe ohne zu verstehen. Nebst all den Menschen, die du liebst, steh er und nennt sich auch dein Freund. Kenne ich ihn? Nein, im Grunde weiß ich ja gar nichts über ihn. Jahre neben mir, bei mir, über mir, unter mir kann sie sein; kenne ich sie? Wie oft nur sage ich Hallo und meine Erzähl mir von dir. Immer seltener entspringt aus deinem Mund ein Wort, das mir signalisiert, dass du mehr bist als ein Nebenrauschen, das man nicht abstellen kann und das nur verzweifelt hypnotisch wirkt. Wäre es weg, ja wärst du weg, was wäre dann? Krumme Schmerzen? Vielleicht. Vielleicht aber auch eher nicht. Du gibst mir die Hand oder einen Kuss – was soll es, was bedeutet es, wenn schon nicht das blanke Nichts? Warum sind tausend deiner Wörter, so sie dir über die Lippen kommen, so viel weniger wert als zwei gehauchte Wörter eines echten Freundes, einer Geliebten, kurzum eines besonderen Menschen? Bist du nur schweigsam holde Maid, charmanter Unsichtbarer, oder ist in dir verzagende Leere? Ich kenne dich nicht, denke ich und sage: Wie geht es dir? Du antwortest stets gut und bedankst dich kaum, als würdest du nicht verstehen, was diese Frage eigentlich meint. In Wahrheit denkst du vielleicht an einen anderen oder einfach an ein schreckliches Nichts. Ich neige dazu, dich zu bemitleiden, dir meine Tränen zu schenken, doch liegt es mir nicht fern, dich zu verjagen, einfach fort. Wer bist du nur? Ein Fremder, der sich Freund heißt, nur weil es das Wort so lieblich meint. Bist du eine Freundin, ein liebkosendes Wesen oder nur eine kleine Fee, zu winzig um zu sprechen? Du willst mir ins Gesicht schreien, beachte mich, rette mich, nimm mich, liebe mich. Doch dein verzweifeltes Raunen es verhallt im Nebel. Sag es doch, schreie und flüstere nicht. Bitte, komm mir näher, gib dich mir, und ich schenke dir Trost. Doch am Ende schweigst du. Liebes. Lieber. Du bleibst Teilnehmer und doch gar nichts. Bist da und wieder doch nicht. Ich erinnere mich an dich, aber deine Konturen verblassen schnell. Kann ich dich retten oder bist du schon untergegangen? Gib mir doch einfach deine Hand (und damit meine ich, eröffne mir deine Seele) und sag: Ich bin ich. Das wäre Wahrheit, unendlich schön und frei. Ich fürchte nur, du bist dazu nicht in der Lage. All mein Flehen bleibt ein mickriges Flirten mit einem hohlen Etwas. Ich will dich doch verstehen, aber du scheinst es nicht zu ersehen. Glaubst du mir nicht, dass ich tief und bohrend in deine Seele stoße und weiß, warum du weinst? Du verneinst es, versteckst dich, vertust deine Chance. Gib mir deine Hand. Ich gebe dir meine. Nur tue es, sonst werde ich nicht lange warten und gehe hinfort – dir aus dem Licht. Liebste. Liebster.

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