tag:blogger.com,1999:blog-64272462024-03-28T11:18:13.760+01:00Melancholy SymphonyLOOK CLOSER …Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comBlogger567125tag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-57447351809293575392024-03-28T11:17:00.000+01:002024-03-28T11:17:21.233+01:00Glücksbringerstillstand<p><br /></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiCSd2I-W66F4ZVfGiQEUbSlI4GpqgaaJkR7UzfGDigeT31HNdQkHWMeQcrRSCiDEu1Xc7jTqmNgFtkTzQTLR30QN4c0-RPPhOvaIERJL-hydkM0seuW1u4JoI1WjJ9Dg24xVOQ-yOb2aUhj2e5z6erlO4_pzda_mBSgerO0loeuGmxylUu5O8C1g/s4032/20240328_001205.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiCSd2I-W66F4ZVfGiQEUbSlI4GpqgaaJkR7UzfGDigeT31HNdQkHWMeQcrRSCiDEu1Xc7jTqmNgFtkTzQTLR30QN4c0-RPPhOvaIERJL-hydkM0seuW1u4JoI1WjJ9Dg24xVOQ-yOb2aUhj2e5z6erlO4_pzda_mBSgerO0loeuGmxylUu5O8C1g/s16000/20240328_001205.jpg" /></a></div><br /><p></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-47314531804854189142024-03-22T13:42:00.000+01:002024-03-22T13:42:00.990+01:00Feindesliste<p><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><b><i> Keine Einträge.</i></b></span></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-49384298857930320502024-03-21T13:03:00.001+01:002024-03-21T13:03:44.300+01:00Waldeinsamkeit<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEidtpLCIOonjoWxwodZHivUuIdA2LvcLidvZAQNQBXBcI0Z5jtGZ6bm1_QAIZ9zw_vRCzXKDCh-3IHMtIOZaay9k4cIGsAn6cxXa6Gi1K7CH9n6C9G8YN-9xRWZdJ3TAxMFAxtlWJDAgK9rN7kYnaR-2qjiJBpSqyg3ysc9Clh62AUytqJ3XhcDyw/s2986/20240321_125936.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2290" data-original-width="2986" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEidtpLCIOonjoWxwodZHivUuIdA2LvcLidvZAQNQBXBcI0Z5jtGZ6bm1_QAIZ9zw_vRCzXKDCh-3IHMtIOZaay9k4cIGsAn6cxXa6Gi1K7CH9n6C9G8YN-9xRWZdJ3TAxMFAxtlWJDAgK9rN7kYnaR-2qjiJBpSqyg3ysc9Clh62AUytqJ3XhcDyw/s16000/20240321_125936.jpg" /></a></div><br /> <p></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-52780995284473795172024-03-18T12:35:00.003+01:002024-03-18T12:35:57.456+01:00Dann geh' doch zu Lidl<p><br /></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg8kUPrKBpV1ae-QderdobJPL2bWMJADvsYgGL022k5l7sCwrL_42s4BwoFp5LUKHQiW9Khv-6-xOZWdvcCPOx2ONQ3Db4M04torANxHMPy7NeaxfPUc1ur7164BVCU_HN1-yFaV4ye_ncLX7tXslZgWQNsNmjqJgJY9hoZtxuESnJ-Rl94X-6r4Q/s4032/20240318_122136.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg8kUPrKBpV1ae-QderdobJPL2bWMJADvsYgGL022k5l7sCwrL_42s4BwoFp5LUKHQiW9Khv-6-xOZWdvcCPOx2ONQ3Db4M04torANxHMPy7NeaxfPUc1ur7164BVCU_HN1-yFaV4ye_ncLX7tXslZgWQNsNmjqJgJY9hoZtxuESnJ-Rl94X-6r4Q/s16000/20240318_122136.jpg" /></a></div><br /><p></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-85774176925382644292024-03-14T09:00:00.000+01:002024-03-14T15:38:21.431+01:00Writing To Reach You<div style="text-align: justify;">
Hör' dir alle Alben von Travis an, sagtest du zu mir. Sie hätten dein Leben verändert, dir einen neuen Soundtrack für den oft trübseligen Alltag geschenkt.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Ich weiß nicht mehr, ob du es mir wirklich so erzähltest, aber ich erinnere mich so daran: Travis seien eine Band für die kleinen Leute, die still träumen und anderen nichts zu Leide tun. Musik für jene, die ein Päckchen durchs Leben zu tragen haben, auch wenn sie nicht einmal wissen, von wem sie es aufgetragen bekamen und warum sie es mit sich führen müssen. Du vertrautest mir auch an, dass du vor den Menschen mit hohen Ambitionen immer schon zurückgeschreckt bist, auch wenn dir nicht klar war, warum.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Als ich „The Man Who“, „The Invisible Band“ und „12 Memories“ verfallen war (alles, was später kam, das gebe ich gerne zu, berührte mich nicht mehr sehr, auch das hemdsärmelige Debüt, „Good Feeling“, ist nichts für mich), vertraute ich dir an, wie sehr mich diese Songs bewegten, auch aus den Gründen, die du mir nanntest. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<h3 style="text-align: justify;">
Besessen von einem Song </h3>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
Ich schwärmte dir von der trostspendenden Schwerblütigkeit von „Driftwood“ und „Writing To Reach You“ vor, aber das überraschte dich. Du gabst zu, dass du eigentlich nur „Why Does It Always Rain On Me?“, den einen großen Hit dieser zurückhaltenden schottischen Band, hörtest. Und das in Dauerschleife. Wie sehr mich das enttäuschte. Denn was ist das für eine Vorstellung: Verliebt in aufrührende Musik, aber nur besessen von einem einzigen traurigen Stück…<br />
<br />
<iframe allowfullscreen="" frameborder="0" height="344" src="https://www.youtube.com/embed/PXatLOWjr-k" width="459"></iframe>
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Wir hätten dann doch fast die Möglichkeit gehabt, Travis live zu sehen. Du hast dich nicht getraut, weil am nächsten Tag eine Klausur anstand. So ist das manchmal im Leben. Ich habe dich einmal gefragt, ob du mir mit deinen geschickten Künstlerhänden auf einem Bild verewigst, wie du das mit der Melancholie hältst, wie du von ihr geführt wirst. Leider habe ich nie gesehen, was daraus geworden ist.<br />
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Ich habe mir für dieses Gemälde immer Travis-Sänger Fran Healy vorgestellt, wie er nachdenklich schauend und allein auf einer Nussschale über einen Fluss schippert.<br />
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<b><i>I can't sleep tonight
</i></b><br />
<b><i>Everybody's saying everything is alright
</i></b><br />
<b><i>Still I can't close my eyes
</i></b><br />
<b><i>I'm seeing a tunnel at the end of all of these lights
</i></b><br />
<b><i>Sunny days, where have you gone?
</i></b><br />
<b><i>I get the strangest feeling you belong
</i></b><br />
<b><i>Why does it always rain on me?
</i></b><br />
<b><i>Is it because I lied when I was seventeen?
</i></b><br />
<b><i>Why does it always rain on me?
</i></b><br />
<b><i>Even when the sun is shinning </i></b><br />
<b><i>I can't avoid the lightning
</i></b><br />
<b><i>I can't stand myself
</i></b><br />
<b><i>I'm being held up by invisible men
</i></b><br />
<b><i>Still life on a shelf when
I've got my mind on something else
</i></b><br />
<b><i>Sunny days, oh where have you gone
</i></b><br />
<b><i>I get the strangest feeling you belong
</i></b><br />
<b><i>Why does it always rain on me?
</i></b><br />
<b><i>Is it because I lied when I was seventeen?
</i></b><br />
<b><i>Why does it always rain on me?
</i></b><br />
<b><i>Even when the sun is shinning I can't avoid the lightning
</i></b><br />
<b><i>Middle eight
</i></b><br />
<b><i>Oh where…</i></b><br />
<br />
Für M. Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-21944727721836962992024-03-06T08:00:00.002+01:002024-03-06T11:24:14.173+01:00Auschwitz gesehen<h3 style="text-align: justify;">
Vor vielen Jahren habe ich als Grundschüler Auschwitz gesehen. Diese Erfahrung hat mich sehr geprägt. Erst viel später habe ich verstanden, dass es eigentlich unmöglich ist, das Lager wieder zu verlassen, wenn man es erst einmal betreten hat.</h3>
<div style="text-align: justify;">
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi_rQGleiTIKtIZGTW2jIP8dNm18nUvO70U7ZlElpG-kTVLdT8HyPkWeWDQlxfyneiugAaiykMk0Iq7FQiROwDkwacSitUiyHWFtQ9Q7yjqQoZVPv5tJPxG5K7GLQHxhtnuN4VBcg/s1600/Bildschirmfoto+2015-02-03+um+12.30.40.png" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi_rQGleiTIKtIZGTW2jIP8dNm18nUvO70U7ZlElpG-kTVLdT8HyPkWeWDQlxfyneiugAaiykMk0Iq7FQiROwDkwacSitUiyHWFtQ9Q7yjqQoZVPv5tJPxG5K7GLQHxhtnuN4VBcg/s16000/Bildschirmfoto+2015-02-03+um+12.30.40.png" /></a></div>
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<br /></div>
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Das Erschreckendste ist die Friedlichkeit, die absolute Ruhe, die sich über das Gelände wie Morgentau auf Gras gelegt hat. Die Natur hat Birkenau, hat Auschwitz zurückerobert. Natürlich war mir das Endzeitlager auch als Kind schon ein abstrakter Begriff. In Klassenzimmer hatten wir darüber gesprochen, Anne Frank behandelt und auch „Schindlers Liste“ gesehen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass die klagenden Violinenklänge, die John Williams für den Spielberg-Film komponiert hatte, sofort in meine Gedanken sprangen, als ich über die sorgsam für den Publikumsbesuch hergerichteten Pfade in Auschwitz schlich. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Auch die eine Szene, als die gefangenen Juden in einer schneeverhangenen Winternacht in der Hölle ankamen und mit dem Zug durch die von Aussichtstürmen bewachten Tore fuhren, erschien mir sofort vor Augen, als ein Guide uns in einen dieser Wachposten führte, um das weitläufige Gelände zu überblicken. Kritiker echauffierten sich damals, dass der amerikanische Popcorn-Regisseur hier ein geschmackloses und auf absurde Weise romantisch verzerrtes Auschwitz zeigte. Ja, das auch. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
<i><span><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><b>Denn gegen die Bilder, die sich festgesetzt haben, muss man ankämpfen. Manchmal zieht man auch mit der Verklärung gegen den Horror in die Schlacht, ordnet einen Albtraum, der mit Worten nicht beschrieben werden kann. </b></span></span></i></div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Die Dokumentation „Night Will Fall“, die von einem Film-Projekt erzählt, das direkt nach der Befreiung des Lagers von Großbritannien und den USA in Auftrag gegeben wurde, zeigt andere Bilder. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Das Grauen sollte nach der Befreiung der Lager, so gut es ging, mit der Kamera dokumentiert werden. Selbst Regisseur Alfred Hitchcock, der seinen Blick fürs Schreckliche bereits im Kino zu genügend unter Beweis gestellt hatte, wurde engagiert, um den Bildern des Todes eine Form zu geben. Doch der Lehrfilm für das nach dem Ende des Krieges „aufgewachte“ Deutschland wurde alsbald ins Archiv verbannt. Zu wenig versprach man sich davon, die Deutschen mit ihrer Schuld zu konfrontieren - gerade auch deswegen, weil mit der Sowjetunion längst ein neuer Feind bekämpft werden musste. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Es ist erschütternd, all die Leichen zu sehen. Wie sie fortgeschafft werden. Zu viele, um sie nicht wie Abfall zu verscharren. Doch diese Toten waren gerade nicht jene, die in den Gasjammern qualvoll ersticken mussten und dann verbrannt wurden, wie Claude Lanzmann immer wieder betonte. Mit seinem monumentalen Un-Film „Shoah“, oft als historische Dokumentation missverstanden, hatte er gerade davon Zeugnis abgelegt, dass es sich bei den in den Konzentrationslagern getöteten Juden um Opfer handelte, die mit den Mitteln des Films nicht dargestellt, ja eigentlich mit keinem Mittel der Kunst oder der Geschichtsschreibung gezeigt werden können. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
So sehr wie sie von den Nazis zu namenlosem, identitätslosem Fleisch verdammt wurden und so auch gewissenlos aus der Welt geschafft werden konnten, ist es nicht mehr möglich, sie nachträglich in ihr Recht zu setzen, sie mittels der Bilder eines gütigen Kameraauges retrospektiv vor dem Verbrechen zu bewahren. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Man begreift diese Vorstellung nicht, wenn man nicht in Auschwitz war. Man glaubt, dass es so etwas wie ein kathartisches Gedenken gibt, das die Schuld aus der Welt schafft oder doch wenigstens Versöhnung zulässt. Aber das gibt es nicht. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Noch einmal Claude Lanzmann: Zum Kinostart von „Schindlers Liste“, den der Franzose ein Leben lang mit Verachtung belegte, sagte er, der Film handle vom Überleben, wo doch vom Tod die Rede sein müsste. Spielberg entgegnete ihm seinerzeit, dass die jüdische Kultur doch Hitler überlebt hätte, dass die Juden doch weiter existieren.<br />
<br />
Wer Birkenau verwundet überstanden hat, der Stille der Ruine verwundert entkommen durfte, sieht sich im Lager Auschwitz einem Museum ausgesetzt, das von außen eine kaum zu fassende Harmlosigkeit ausstrahlt. Oft wurde der Vorwurf laut, dass die Musealisierung des Völkermords keinen Zugang gewährt zum Inneren des Schreckens. Aber das Gegenteil ist der Fall. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
<b><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><i><span><span>Ich habe es gar nicht erst bis in die dunklen Gaskammern geschafft.</span></span></i> </span></b></div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Ich mochte diese Nicht-Orte gar nicht erst betreten, denn sie existierten nur für die Menschen, die sie nicht mehr verlassen konnten. Nur für sie waren sie für einen Moment Realität. Für uns Nachgeborene, Erinnernde, sind es stumme Mahnmale. Aber es braucht nicht diese verätzten Gemäuer, um den Holocaust (kein Wort kann der gespenstischen Vernichtungsideologie einen Sinn abzutrotzen) greifbar zu machen. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Besucht man die Museumsstätte in Auschwitz, sieht man hinter Vitrinen Unmengen von Pässen, Listen, Urkunden, Brillen, Münzen, Prothesen, Gebissen, Pfeifen, Taschentüchern, Uhren, vor allem Fotografien und büschelweise Haare. Diese Menschen, deren leblose Körper wir nie sehen konnten, weil sie ausradiert und verbrannt wurden, mussten ertragen, wie all ihr Hab und Gut entnommen, peinlich genau katalogisiert, dokumentiert und eingezogen wurde. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Vielleicht ist die versuchte Vernichtung der Juden der destruktive historische Höhepunkt von Industrialisierung und Bürokratisierung. Verwaltete Tötung von Menschen, die zuvor ausgepresst und ausgebeutet, als lebende Forschungsobjekte missbraucht und als Arbeitskräfte bis zum Rand der Erschöpfung benutzt wurden, um aus ihnen den maximalen Ertrag menschlicher Produktionskraft heraus zu drücken. Weil jedes Strafrecht der Welt den Mord zurecht als schwersten Straftatbestand wertet, fallen diese Verbrechen erst einmal hinter dem Horror der geplanten und durchgeführten Vernichtung zurück, dabei haben sie Folgen (darunter auch für spätere Generationen), die kaum zu ermessen sind. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Das ist eine Lektion, die ich nicht tränenden Auges, sondern bleischweren Magens gelernt habe. Unsere Lehrer versuchten uns Kinder, die von den ungeordneten, fatalen Eindrücken überfordert waren, mit gewählten Worten entgegenzutreten. Auch mit Rollenspielen, so harmlos es klingt, damit das Unaussprechliche auf andere Art und Weise zum Ausdruck kam. Wir versammelten uns auf Stühlen und bekamen die Aufgabe, unsere Gefühle mimisch darzustellen oder wie Statuen zu posieren, denen das Entsetzen, die Trauer, auch die Hilflosigkeit in den Körper eingeschrieben ist. Für Sekunden regungslos dasitzen. Das Nichts zulassen, das uns angeblickt hatte - uns unschuldige Kinder. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Ich weinte irgendwann, weil es nicht mehr anders ging. Doch es war eine Traurigkeit, die von jenen Geigen dirigiert wurde, die in „Schindlers Liste“ das Leid illustrieren. Die Wahrheit, der ich in Auschwitz begegnete, war aber nicht zu betrauern. Diese Wahrheit hatte etwas Steinernes, etwas Regungsloses. Worte drücken Bewegung aus. Sie bringen Laute zum Schwingen, sie ergeben als aneinander gekoppelte Laute Sinn.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
<i><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><b><span>Auschwitz bedeutet Schweigen. Die größtmögliche Abwesenheit von Sprache, Sinn und Veränderlichkeit.</span> </b></span></i></div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Die Nationalsozialisten wussten, was sie taten, als sie ihre Lager noch vor der Befreiung durch die Alliierten in Schutt und Asche legten oder legen wollten. Niemand sollte erfahren, was sich hinter den Stacheldrähten und in den Baracken befand und wie sich der Tod durch die Schlote zwängte. Es gelang den Schlächtern nicht, weil sie von ihrem Protokollwahn besessen waren; einer obszönen Bürokratie, die es notwendig machte, über das Töten minutiös Bericht abzulegen. Zugleich hinterließen sie aber einen Flecken Erde, der niemals mehr vergehen und wohl auch nicht vergeben wird, der trotz jeder Veränderung, die von der Natur nun einmal vorgesehen ist, bleibt. </div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Wer einmal in Auschwitz gewesen ist, versteht diese Ewigkeit, die weder mit dem Kopf noch mit dem Herzen erfasst werden kann. Wer einmal in Auschwitz gewesen ist, verlässt es nicht mehr. </div>
Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-82624719719746392102024-03-01T23:30:00.004+01:002024-03-02T11:51:35.006+01:00Kriegsschauplatz<p><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><b><i>Die grausamsten Krieger sind nicht jene, die innerlich verroht sind oder vor den Gefechten schlottern. Es sind die Bornierten, die glauben, ein Schlachtfeld nicht betreten zu müssen. </i></b></span></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-28471613377545288022024-02-27T18:10:00.006+01:002024-03-02T11:51:13.065+01:00Vom Versuchen eines Blogs<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj_T3pDWyGBJvtQ2HfbnPD51qxUd2D-JaFxPGzT0t0WEovIZcyXDHNaDVYpm3yb2gsXWw1ZuI_VYHttoRrWzQLCOWaAZBObeFGIUkD1CZUZwOv59UumnUtL0DuxOuRvKPDrESZ3-4RZsYG8jxEsZhLWJTu3lwbw4kZd-lNxRuAR0x-_PxaLKCEO7A/s679/creativity-4912413_1280.jpeg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="418" data-original-width="679" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEj_T3pDWyGBJvtQ2HfbnPD51qxUd2D-JaFxPGzT0t0WEovIZcyXDHNaDVYpm3yb2gsXWw1ZuI_VYHttoRrWzQLCOWaAZBObeFGIUkD1CZUZwOv59UumnUtL0DuxOuRvKPDrESZ3-4RZsYG8jxEsZhLWJTu3lwbw4kZd-lNxRuAR0x-_PxaLKCEO7A/s16000/creativity-4912413_1280.jpeg" /></a></div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">In Sitcoms gab es früher einmal die Tradition, einzelne Episoden zu senden, die Rückblicke aus anderen Folgen zeigten. So saßen etwa die Golden Girls nachts vom Hunger auf Käsekuchen geweckt beieinander und sprachen am Küchentisch über Erlebnisse aus der Vergangenheit, die dann auch eingeblendet wurden. Das hatte mehrere Funktionen: Es ergab einen nostalgischen Rückblick, es versicherte den Zuschauern, welche Themen in der Serie von Belang sind, es brachte Erzählmaterial für eine emotionale Zusammenführung der Figuren und es schenkte etwas Erleichterung am Set, wenn einmal nur wenige Szenen gedreht werden mussten, die dann von älteren Sequenzen angereichert wurden. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Vielleicht funktioniert dieser Blog auch ein wenig so wie diese mal nachdenklich stimmenden, mal warmherzigen Serieneinsprengsel, die an sich wenig Eigenwert haben, aber auf eine sehr elegante Art nebenher deutlich machen, was eigentlich in einer langen Erzählung wichtig ist. Die Story dieser <i>Melancholy Symphony</i> hat vor exakt 20 Jahren damit begonnen, meine ausgehende Schulzeit bereits als Zustand des Rückblicks auf meine ebenfalls verstreichende Jugend zu verwenden, sie zu einem Stoff werden zu lassen, an dem ich mich abarbeiten kann. Ich schrieb von einem Psychologie-Test, den ich an meiner Schule verteilen wollte, der die Notwendigkeit eines Schulfachs Psychologie bezeugen sollte. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Als S und ich uns dieses in mehrfacher Hinsicht ironische Verfahren ausdachten, verbrachten wir viel Zeit damit, uns bei der Produktion der Fragen gemeinsam zu amüsieren. Ob wir das Unternehmen ernst nahmen oder einfach nur unsere Eitelkeit befriedigten, an der Schule irgendwie zu wirken, und zwar in genau dem Moment, da sie uns bald sanft ins Leben hinausschubsen würde, darf offen bleiben. Wir versicherten uns so jedenfalls gleichsam unserer kritischen Einstellung gegenüber einer Institution, die eigentlich fürs Leben ausbilden will, aber meist über den Nürnberger Trichter nicht hinaus kommt, und dem heitertraurigen Bewusstsein, dass alle Herausforderungen, die noch kommen sollten, sehr viel schwieriger zu bewältigen sein würden, als eine Physikarbeit zu bestehen oder eben mit einem Test hausieren zu gehen, der völlig ohne Verständnis für statistische Notwendigkeiten auskam. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><b><i>Aber darum geht es ja, etwas auszuprobieren, etwas zu versuchen. </i></b></span></div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Und so ist auch dieser Blog, über dessen Stil, seine methodische Ausrichtung, kitschiger vielleicht: seinen Herzschlag, ich schon vor 15 Jahren eine Philosophie geschrieben habe, für die ich mir ohne freundliche Genehmigung einen Titel von Adorno geliehen habe, nichts anderes als ein mal mehr oder mal weniger gescheiterter Versuch. Wohlwissend, dass mein Schreiben etwas völlig anderes will als der Mitbegründer der Frankfurter Denkschule. Aber auch, weil dieser Blog so nicht existieren würde, wenn ich nicht am Lernen der Philosophie in der Universität gescheitert wäre. Versuche also, so wie sie Montaigne sich erdacht hat, der ein wenig das Maskottchen für mein hingeworfenes Sinnieren ist. Wie auch Vorbilder Gelehrte wie Erich Fromm, Sigmund Freud, Franz Kafka, Gilles Deleuze, Jean Baudrillard, David Foster Wallace, Arthur Schnitzler und all die anderen Schwärmer sind, die über das Thema schrieben, von dem ich sehr schnell merkte, das es umso weiter sich vom Begreifen entfernt, wenn man ihm mit seinem Namen zu Leibe rückte. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Versuche also auch, jetzt darf das in bereits allen Varianten seit Jahrhunderten verzierte Ding genannt werden, über die Melancholie. Ohne je einen Begriff in den Raum geworfen oder ein lexikalisches Zeichen eingesetzt zu haben, ist all das hier eben auch als eine Art Enzyklopädie einer Sprache des Brütens, Verzagens, Träumens zu begreifen. Ich habe diese Leinwand vollgekleckst mit Ungeheuerlichkeiten, mit Sehnsüchten. Ich habe wesentlich mehr Fragen gestellt, als ich Antworten geben könnte (ein Verfahren, das ich beim Dozieren nicht mehr loswerde). </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Ich habe versucht, meiner offenbar nicht versiedenden Liebe zum Film einen Rahmen zu errichten und meiner spät sich offenbarten Leidenschaft für Musik Raum zur Entwicklung zu geben. Ich habe über das, was meine Generation ausmacht, nachgedacht, bevor alle sie Millenials (cleverer: Generation Y, oder noch cleverer Generation Why) nannten. Ich habe über Zeitschriften geschrieben, die kamen und gingen. Ich habe eine Zeitenwende heraufbeschworen, bevor sie den unbescholtenen Bürgern jeden Morgen in die Frühstücksschale gefüllt wurde. Ich habe geklärt, was ein väterlicher Freund ist und wie es ist, wenn man Vater wird. Ich habe David Lynch von A-Z erklärt und Fotos in allen Lebenslangen geschossen. Tiere in Nahaufnahme und Müll in der Stadt. Menschen in Sitzpositionen. Ich habe auch wenige Poeme geschrieben und bitte, dass mich nie einer darauf anspricht. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Ich habe in Augenschein genommen, was mich im Alltag bewegt. ich habe versucht, Banalitäten Würde zuzuschreiben oder große Diskurse abzukanzeln. Ich habe Robert Bresson mehrere Beiträge gewidmet und einen Essay geschrieben, warum Arjen Robben ein Fußballer war, wie es ihn kein zweites Mal gibt. Als ich zu schreiben begann, wollte ich meiner Zuneigung für R.E.M. irgendwie ein Forum geben. Noch heute bleibt ein Text darüber offen, wie besonders es ist und was es beim Zuschauen auslöst, wenn Michael Stipe tanzt. Wie sowieso so viele Notizen noch nicht ihren Weg zu einem Beitrag gefunden haben. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Ein Blog ist kein Tagebuch, auch wenn es alle darin vermuten. Das verdeutlichte ich vor vielen Jahren, und das glaube ich auch heute noch. Ein Blog ist viel mehr eine freie Form, Vorstellungen eines Schreibers so sehr zu verdichten, dass sich über viele Texte hinweg so etwas wie ein roter Faden entspinnt. Eine Welt des endlosen Gedankenwanderns. Man kann einem Autor beim Autorwerden und Autorsein zuschauen. Keine für den Moment herausgeblasenen Bonmots oder eher mots mêlés wie auf Twitter, keine Selbstvergewisserungen wie auf Facebook, schon gar keine Kartographisierungen des Ichs wie auf Instagram (die Story muss eben erst gesucht werden, oftmals ist es nicht einmal eine). </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Bloggen war mal eine Kunstform für die digitale Boheme, noch bevor man annehmen konnte, dass diese sich irgendwann aufmachen würde, von einem Leuchtturm zum nächsten zu spazieren, nur um dort erneut mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dieser Blog braucht keine Aufmerksamkeit, aber er verlangt Achtsamkeit. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><b><i>Ich wünsche mir, mit jenen, die all das hier lesen, hineinzuhorchen in die Welt. Nicht nur auf das zu achten, was belichtet ist, sondern auch die Schattenzonen zu erkunden. </i></b></span></div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Früher war es mal selbstverständlich, heute ist es altmodisch, sich einer Meinung zu enthalten. „Wer mir widerspricht, weckt meine Aufmerksamkeit, nicht meinen Zorn“, sagte Maskottchen Montaigne. Den eigenen Ansichten misstrauen als Antrieb, um zu neuen Ideen zu gelangen, heißt das übersetzt. Am besten gelingt dies mit einem Freund. Auch das wusste Montaigne. Und ein Schreiben, das sich als freundschaftlich versteht - im Prozess des vorsichtigen Hineinblickens in die Seele und des tastenden Vermittelns von Einsichten, die weitergereicht werden wollen - bringt etwas zutage, das der Einsamkeit entgegensteht. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Und so suche ich auch die nächsten Jahre weiter nach dem, was mich Zweifeln lässt und an manchen Tagen glücklich und an anderen unglücklich macht. Am besten mit Freuden, die zuhören und an meiner Seite stehen. Und manchmal mit einem Stück Käsekuchen neben der Tastatur. </div>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-86586531327962958172024-02-26T09:34:00.001+01:002024-02-27T09:37:43.735+01:00Melancholiemodul<p><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><b><i> „You can have my last peso, but you can't have my melancholiemodul.“</i></b></span></p><p><span style="font-size: medium;">(Frei nach Martin Kippenberger)</span></p><p><br /></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-38593266743516239252024-02-17T00:10:00.000+01:002024-02-17T05:39:04.382+01:00Lebensstufen<div style="text-align: justify;">
<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: x-large;">In jungen Jahren teilt sich die Welt, grob gesprochen, in Menschen, die schon Sex hatten, und solche, die noch keinen hatten. Später dann in Menschen, die Liebe erlebt haben, und solche, die das noch nicht haben. Noch später - jedenfalls dann, wenn wir Glück haben (oder auch nicht) - teilt sich die Welt in Menschen, die Leid erfahren haben, und solche, die das nicht haben. Diese Einteilungen sind absolut; es sind Wendekreise, die wir überschreiten. </span></span></i></div>
<b><span style="font-size: large;">Julian Barnes - "Lebensstufen"</span></b>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-51413152409710916652024-02-14T08:00:00.001+01:002024-02-14T09:07:46.348+01:00Lektionen der Liebe<div style="text-align: justify;">
Als ich jungen Jahren nicht weiter wusste, schenkte mir mein <a href="https://marcvetter.blogspot.com/2012/10/du-bist-nicht-mehr-da.html" target="_blank">Großvater</a> ein Buch von <a href="https://fromm-online.org/das-leben-erich-fromms/fromms-credo-eines-humanisten/" target="_blank">Erich Fromm</a>: <a href="https://marcvetter.blogspot.com/2016/11/lehrbucher-des-gefuhls.html" target="_blank">„Die Kunst des Liebens“</a>.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
In meinen Träumen hatte sich ein bleichzartes Mädchen um meinen Hals geschlungen und wollte sich auch nicht mehr aus den Schattenspielen der Nacht vertreiben lassen. Meine erste bittersüße Lektion der Liebe: Die Idee von Amor mit den Pfeilen ist kein schlechter Witz. Der Wundschmerz resultiert aber daraus, dass man keinen blassen Schimmer hat, warum das Herz eben genau für jene eine zu pochen beginnt. Und dann will diese Pfeilnarbe auch ein Leben lang nicht mehr heilen.</div>
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiRU0GaijFBveLxsNthPcC7KH8q61UNHbg3M1hQAd-5YTO_L8eqQ6mX55jR84bTu4PgUb4HGbHqwBsEPMPKsN1YuSdrO6A0DKa2hplLe1uTeIenGapAWP6UtrMfAn-GKfeoKq9g8w/s1600/eternal-sunshine-of-the-spotless-mind.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="438" data-original-width="780" height="356" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiRU0GaijFBveLxsNthPcC7KH8q61UNHbg3M1hQAd-5YTO_L8eqQ6mX55jR84bTu4PgUb4HGbHqwBsEPMPKsN1YuSdrO6A0DKa2hplLe1uTeIenGapAWP6UtrMfAn-GKfeoKq9g8w/s640/eternal-sunshine-of-the-spotless-mind.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Wenn das Unbewusste rebelliert: Szene aus „Vergiss mein nicht“</td></tr>
</tbody></table>
<br />
<div style="text-align: justify;">
Die nächste Lektion kam von Psychoanalytiker Fromm. Ich habe sie - genau wie die erste - nie wieder vergessen. Schon mit den ersten Zeilen seines berühmtesten Buchs, „Die Kunst des Liebens“, legte er mir einen Gedanken nahe, der mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal im Albtraum gekommen war: Menschen können unfähig zur Liebe sein, unfähig zur Liebe werden.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Eine ungeheuerliche, von jeder Romantik befreite Vorstellung und bis kurz vor dem Online-Dating-Zeitalter auch ein Tabu, wenn Menschen denn entdeckten, dass es bei ihnen tatsächlich so ist. Wer sprach denn früher je davon, nicht lieben zu können. Ein solches Bekenntnis käme der Offenbarung der Impotenz gleich.</div>
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif; font-size: large;"><i><br /></i></span>
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif; font-size: large;"><i><b>Inzwischen gibt es Menschen, die kokettieren ganz offen mit ihrer Beziehungsunfähigkeit, online wie offline. Ihnen scheint nicht bewusst zu sein, was es wirklich bedeutet, nicht lieben zu können - und dass es kein größeres Unglück geben kann.</b></i></span><br />
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
„Ich möchte den Leser davon überzeugen, daß alle seine Versuche zu lieben fehlschlagen müssen, sofern er nicht aktiv versucht, seine ganze Persönlichkeit zu entwickeln, und es ihm so gelingt, produktiv zu werden; ich möchte zeigen, daß es in der Liebe zu einem anderen Menschen überhaupt keine Erfüllung ohne die Liebe zum Nächsten, ohne wahre Demut, ohne Mut, Glaube und Disziplin geben kann“, schreibt Fromm.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Mit anderen Worten: Liebe ist Arbeit. Liebe benötigt Selbstbewusstsein. Wer von <i>Liebe</i> (Substantiv, passiv, nehmend, Mythos) spricht, meint etwas anderes als jener, der vom <i>Lieben</i> (Verb, aktiv, gebend, Realität) redet.</div>
<br />
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhgcOKIR3KRmH1EEAoTApdy1T3q5anrlJ93fWVutvoOQyOdc3D1wUMvM05vuP1QkweG5IxyTvpbMYuDlrewGnEhLbKv6PlLAK-BCz_2b9Z5iff5OOJURHrnxp2_48JgaFP-sTU2qQ/s1600/kunst-des-liebens-01.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="500" data-original-width="321" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhgcOKIR3KRmH1EEAoTApdy1T3q5anrlJ93fWVutvoOQyOdc3D1wUMvM05vuP1QkweG5IxyTvpbMYuDlrewGnEhLbKv6PlLAK-BCz_2b9Z5iff5OOJURHrnxp2_48JgaFP-sTU2qQ/s320/kunst-des-liebens-01.jpg" width="205" /></a></div>
<br />
<div style="text-align: justify;">
Fromm weiter: „Liebe ist eine Aktivität und kein passiver Affekt. Sie ist etwas, das man in sich entwickelt, nicht etwas, dem man verfällt. (...) Die Liebe ist aber nicht nur ein Geben, ihr „aktiver“ Charakter zeigt sich auch darin, daß sie in allen ihren Formen stets folgende Grundelemente enthält: Fürsorge, Verantwortungsgefühl, Achtung vor dem anderen und Erkenntnis.“</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Der auch politisch aktive Humanist Fromm verdichtete seine von Freud, Marx, Weber, Spinoza, Schweitzer und Zen-Buddhismus geprägten sozialpsychologischen Studien immer weiter, bis nur noch die mächtigen Atome „Sein“ und „Haben“ übrig blieben.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Vom ersten persönlichen wissenschaftlichen Meilenstein „Die Furcht vor der Freiheit“ (1941, über die Bedeutung der protestantischen Ethik für den modernen Kapitalismus) über „Jenseits der Illusionen“ (1962, über die Revision von Marx und Freud), „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ (1974, über den biophilen und nekrophilen Charakter, mit einer Charakteranalyse Adolf Hitlers) bis hin zu „Haben oder Sein“ (1976, die Polariät aller Gedanken Fromms radikal fokussiert auf zwei Charakterorientierungen - aber auch die Andeutung seelischer Grundlagen einer neuen Gesellschaft) kristallisierte sich für ihn die Achtung als Königskategorie einer Ethik des Liebens heraus.</div>
<br />
<table align="center" cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="margin-left: auto; margin-right: auto; text-align: center;"><tbody>
<tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEga2VZK8zsutLpymO-RkxYPoFGajYZ5iH-PCoGNdoMJYNWhGfDFWSnc3ilVHoVDlY3tJj7r_-bq_H3EEIJ4W-hF63DrsAqYcrSvlkVgq72x-_Z1yvZ7l2UjkdrMw9JsFNWdCu52JA/s1600/bin-jip.jpg" style="margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="396" data-original-width="704" height="360" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEga2VZK8zsutLpymO-RkxYPoFGajYZ5iH-PCoGNdoMJYNWhGfDFWSnc3ilVHoVDlY3tJj7r_-bq_H3EEIJ4W-hF63DrsAqYcrSvlkVgq72x-_Z1yvZ7l2UjkdrMw9JsFNWdCu52JA/s640/bin-jip.jpg" width="640" /></a></td></tr>
<tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;">Der Andere liebt immer mit: Szene aus „Bin-Jip“</td></tr>
</tbody></table>
<br />
<div style="text-align: justify;">
Fromm: „Achtung hat nichts mit Furcht und nichts mit Ehrfurcht zu tun: Sie bezeichnet die Fähigkeit, jemanden so zu sehen, wie er ist, und seine einzigartige Individualität wahrzunehmen. Achtung bezieht sich darauf, daß man ein echtes Interesse daran hat, daß der andere wachsen und sich entfalten kann. (...) Achtung gibt es nur auf der Grundlage der Freiheit: L'amour est l'enfant de la liberté (Liebe ist ein Kind der Freiheit) heißt es in einem alten französischen Lied.“</div>
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif; font-size: large;"><i><b><br /></b></i></span>
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif; font-size: large;"><i><b>Ich habe jeden einzelnen Satz, der mir von Erich Fromm untergekommen ist, verschlungen und in mir aufbewahrt wie einen Schatz. Weil diese erste große intellektuelle Erschütterung meines Lebens so viel wog wie keine andere danach. Sie animierte mich auch dazu, die wenige Zeit, die mir auf Erden bleibt, auch so oft es eben geht dazu zu nutzen, das Werk eines Autors oder Künstlers oder Denkers vollständig, bis zum Epitaph zu ergründen. </b></i></span><br />
<br />
<div style="text-align: justify;">
Natürlich habe ich im Laufe meines (Selbst-)Studiums genügend Stimmen gehört, die einiges von dem, was Erich Fromm erklärt und schlussfolgert, widerlegen. Aber abgesehen davon, dass viele Anschauungen des selbst erklärten demokratischen Sozialisten heute herzklopfenerregend aktuell sind (Gefahren des Narzissmus', Massenkonsum, Marketing- und Tauschcharakter, Sehnsucht nach Transzendenz, Verlust der Identität, symbiotische Beziehungsmodelle als selbstzerstörerische „folie á deux“, Wertigkeit der Liebe nach ökonomischen Prinzipien, Aggression als Wirkweise eines entfremdeten, nicht gelebten Lebens, Forderung nach mehr politischer Teilhabe und nach einem bedingungslosen Grundeinkommen), bleibt mir „Die Kunst des Liebens“ auf ewig eine Aufforderung, Probleme, ob sie nun meine sind oder die der anderen, niemals nur auf mich zu beziehen, sondern sie auch gesellschaftlich zu verorten. Es bedeutet auch, zu wissen, dass jedes nichtfreie Handeln Maximen folgt, die ein anderes Handeln von vornherein ausschließen.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Was Erich Fromm mit seiner empirischen Sozialpsychologie aufdecken will, ist eigentlich banal und doch schwerwiegend: Etwas komplizierteres als zu lieben kann es für Menschen nicht geben - weswegen es liebende Menschen braucht, um die Wahrheit zu erkennen. Liebesunfähige Menschen sind nämlich für die Wahrheit blind.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Wer fähig ist zu lieben, der ist wahrhaft frei, Entscheidungen zu treffen, weil er sich vor deren Konsequenzen nicht fürchten muss. </div>
Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-61186585516774014592024-02-11T10:00:00.000+01:002024-02-11T14:06:37.637+01:00Zusammen<h2>
</h2>
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">1. Schenke den Menschen ein Lächeln. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">2. Verführe die Menschen zu einem Lachen. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">3. Erzähle von den Dingen, die Dich gerade bewegen. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">4. Lass Dir von anderen Menschen erzählen, was sie gerade bewegt. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">5. Jede Zeit mit einem Menschen ist mehr wert als die doppelte Zeit mit vielen Menschen. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">6. Sei ehrlich. Sei glücklich, wenn Du es bist. Sei traurig, wenn Du es bist. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">7. Sei Deinem Gegenüber ein Geschenk. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">8. Lass Dich beschenken. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">9. Bedanke Dich stets für gemeinsam verbrachte Zeit. </span></b></i></span><br />
<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i><b><span style="font-size: large;">10. Verleihe jedem Abschied den Beigeschmack einer baldigen Fortsetzung.
</span></b></i></span>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-63528461014055094102024-01-30T13:41:00.003+01:002024-01-30T13:41:58.306+01:00Zerbrochen<p><br /></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg0P8GpMQWUsqhF1hEfiRDLY5_73r-_PNQxEFrDOS3IN0ma5dYGmPL8XeLAPhP4hFuvc3nRefe_4RMI5Qvms7ibSh45niwvJ5KwOH1-c3Sw5_hfcos-s-cUBK8RAfsxLxa-0q_Ud918080xIpNRzF10_lU7egwSOUOj4WZn9cHu75F3Q5B1yQePog/s3800/20240130_110156.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2715" data-original-width="3800" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEg0P8GpMQWUsqhF1hEfiRDLY5_73r-_PNQxEFrDOS3IN0ma5dYGmPL8XeLAPhP4hFuvc3nRefe_4RMI5Qvms7ibSh45niwvJ5KwOH1-c3Sw5_hfcos-s-cUBK8RAfsxLxa-0q_Ud918080xIpNRzF10_lU7egwSOUOj4WZn9cHu75F3Q5B1yQePog/s16000/20240130_110156.jpg" /></a></div><br /><p></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-88904561506440108702024-01-28T02:30:00.000+01:002024-01-28T13:59:48.561+01:00Moral und Ästhetik<p><span style="font-family: times; font-size: x-large;"><b><i>Ein Problem unserer Zeit: Ästhetik wird nach moralischen Maßstäben bewertet und Moral nach ästhetischen Kriterien. </i></b></span></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-432317060085696172024-01-21T08:30:00.000+01:002024-01-21T19:33:09.737+01:00Kakerlaken glotzen<h3>
Eine ganze Nation wärmt sich am Fernsehlagerfeuer, wenn RTL alljährlich „Ich bin ein Star - holt mich hier raus!“ sendet. Dass es sich um einen harmlosen Spaß ohne Folgen handelt, ist allerdings ein gefährlicher Irrtum. </h3>
<i>
</i><br />
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgDW_zxFCNNmleOdsYo1-8e57S0UgAX8MzRJ7FKquujmHVZUf_UmhMt77GUHes9FWuJZFOWPvPnww-tXnkis6hEAdwBhOYMxabGgQgkykrdD-gMGsjCh-6qqp475iAVg9TMizx0Bg/s1600/Bildschirmfoto+2015-01-19+um+14.56.51.png" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" height="313" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgDW_zxFCNNmleOdsYo1-8e57S0UgAX8MzRJ7FKquujmHVZUf_UmhMt77GUHes9FWuJZFOWPvPnww-tXnkis6hEAdwBhOYMxabGgQgkykrdD-gMGsjCh-6qqp475iAVg9TMizx0Bg/s1600/Bildschirmfoto+2015-01-19+um+14.56.51.png" width="400" /></a></div>
<br />
<br />
Warum nur berichten so viele geradezu ekstatisch vom RTL-Dschungelcamp - gibt es nicht wichtigere Themen, die dieses Land bewegen? Sicher gibt es die. Aber der Erfolg dieses
eigenartigen Sendeformats ist, dass es trotz Mediantamtams massiv unterschätzt
wird. Eigentlich sollte man annehmen, dass es sich hier um einen weiteren
Tiefpunkt in der nach unten offenen Skala des Selbstentwürdigungstheaters
handelt, das die Privaten und besonders RTL seit Jahren kultivieren. Aber das
wäre zu einfach.</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Längst wärmt sich eine ganze Nation an diesem
Fernsehlagerfeuer. In der Spitze sehen bis zu 9 Millionen Menschen dem bunten
Treiben im australischen Regenwald zu. Oder ist es doch nur ein gigantischer
Container in Köln/Hürth? Jedenfalls bescheren die Zuschauer RTL vor allem in
der jungen Zielgruppe Marktanteile, die sonst nur Fußballübertragungen
erreichen. Das, was „Wetten dass…“ einmal war, nämlich <i>talk of town</i> zu sein, ist inzwischen das Dschungelcamp.
In den Kantinen und Büroräumen, in den Schulen und Arztpraxen wird über
Ekelprüfungen und den einen oder anderen Seelenstriptease diffuser
Halbprominenter intensiv, manchmal vielleicht hinter vorgehaltener Hand („Ich
weiß, es ist ja solch ein Quatsch, trotzdem gucke ich es irgendwie ganz
gerne“), aber doch mit fast absurdem Ernst palavert. Die
resolute Verweigerungshaltung einer Blondine, die mittels Kakerlakenspeise für
das Abendessen ihrer Campkollegen zu sorgen hatte, oder die rührend naiven
Ohnmachtsanfälle und Heimwehklagen eines besonders jungen ehemaligen
Castingshowkandidaten (der damit die Gunst des Publikums restlos gewinnen
konnte) werden diskutiert und voller Inbrunst psychologisch bewertet.<br />
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;">In dieser
Castingshow Deluxe ist der Fernsehzuschauer selbst die Jury und wähnt sich mit einem
diebischen Lachen im Gesicht in der Rolle des Scharfrichters. Es ist geradezu
lächerlich.</span></span></i></div>
<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;">
</span></i><br />
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Warum also Gedanken verlieren über diesen televisionären Menschenzoo,
der doch wohl mit den Mitteln des Trash-TVs niedere voyeuristische Bedürfnisse
befriedigen und die Lust an der Entwürdigung anhaltend zelebrieren will? Längst hat sich auch bei jenen herumgesprochen, die
solchen Klimbim im Fernsehen generell verdammen, dass „Ich bin ein Star – holt
mich hier raus!“ nicht erst auf den zweiten Blick ein mit viel Geschick und einigem
Geld produziertes Unterhaltungskabinettstück ist, das zwar mit grenzdebil
wirkenden Protagonisten besetzt ist, trotz allem aber von erstklassigen Autoren
geschrieben wird. Der laut ausgesprochene Konsens, der das Camp nicht nur auf
die BILD, sondern auch in die ZEIT hievt, ist, dass RTL hier ganz einfach gutes
Fernsehen mache: lustig, von allen Beteiligten gewinnbringend genutzt, im
Grunde harmlos - und dann auch noch überraschend hintersinnig. Harmlos ist hier allerdings gar nichts.</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Mit Buschtrommeln und Trompeten stellt das
Privatfernsehen noch einmal die große Frage, was eigentlich Fernsehunterhaltung sein kann, wenn doch angeblich eh schon keiner mehr die Glotze anmacht. Das Straflager für aus dem Rampenlicht ausgetretene ehemalige Teilnehmer
einer kaum mehr zu überblickenden Showkaste, die auf diversen Bühnen ihre
Credibility erprobt, will Raum bieten für einen kaum zu bändigenden Humor
der Erbärmlichkeit (der hier selbst lustvoll zitiert wird).<br />
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<i><span style="font-size: large;"><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;">Anscheinend ist
das Veralbern der offensichtlichen menschlichen Untiefen inzwischen das
mehrheitsfähigste Element der (Fernseh-)Komik geworden. Es wird nicht über die
Schwächen anderer Menschen gelacht, sondern über ihr Scheitern und ihre
generelle Deplatziertheit in einem System, das der Berühmtheit um ihrer Selbstwillen
huldigt.</span> </span></i></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
So viele Narzisse, die im Dschungeltümpel das Bild eines vielleicht
durch die Show aufgerüsteten Promistatus‘ erhaschen wollen?</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Im Dschungel müssen an jedem Baum Spiegel angebracht
sein: „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ ist, und das mag allen Beteiligten erst
nach einigen Sendestaffeln aufgegangen sein, echtes Meta-Fernsehen. Hier
spiegelt sich das Fernsehen selbst (auch weil es den Ekel natürlich nur inszeniert), hier spiegelt sich die Reality-TV-Show mit
ihrer Besetzung von definitiv durchschaubaren <i>role models</i> als Kandidaten (die
dann doch, that’s life!, lustvoll gegen ihre offensichtliche Besetzung
anspielen), hier spiegeln die Kandidaten ihren eigenen Status als
Medienkretins, hier spiegeln sich die Gastgeber lustvoll als Knallchargen eines
im Reich des Sinn- und Würdelosen angekommenen Privatfernsehsenders.<br />
<br />
Und
letztlich spiegeln sich die Zuschauer auch selbst, wenn ihnen auf schmerzhaft
symbolische Weise klar gemacht wird, dass eigentlich sie es sind, die
genüsslich in eine Kakerlake beißen, wenn sie sich diesen Bildern aussetzen.</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Das Privatfernsehen verdient sein Geld immer noch mit
Werbung. Doch welche Werbekunden wollen sich auf diese Schlammschlacht im
Urwald Australiens einlassen? Immer wieder betonen die Produzenten der Sendung,
dass sie damit kaum Geld verdienen würden, aber die süße Verlockung eines mit Werbeumsätzen kaum zu beziffernden Prestiges, ein spitzfindiges
Medium im Medium geschaffen zu haben, das sich längst vom billig produzierten
Show-Einerlei verabschiedet hat, kann sehr wohl darüber
hinwegtrösten. Etwas ähnlich aufwändig produziertes Format wie das „Dschungelcamp“ traut sich inzwischen kein anderer Sender mehr. So ist die Sendung mit all ihren offenen Schmuddel-Flanken auch ein ironischer Kommentar zur Zukunft des Fernsehens.</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Das Dschungelcamp ist darüber hinaus Reality-TV in Anführungszeichen:
Ein Kandidatenkreis (von der Sorte „einmal bekannt gewesen“, „leidlich bekannt“
und „eigentlich nur einem Kreis von Hardcorefernsehzuschauern bekannt“) wird
aus dem Alltag eines Lebens gerissen, das irgendwann aus den Fugen
geraten sein muss – jedenfalls fehlt jetzt das Geld für was auch immer, so dass
zwei Wochen im Busch als für die versprochenen Moneten locker zu nehmende Hürde
erscheinen. Die Aufgabe lautet: Ungeschminkt und wohl auch vom Wunsch besessen, sich mit allen
Mitteln beim Publikum anzubiedern, allerhand Ekelprüfungen zu bestehen, wovon
die größte wohl sein mag, mit einem Haufen von in jeder Hinsicht Gleichgesinnten (alle wollen Kohle und Ruhm) vierzehn
Tage auf engstem Raum dahinvegetieren zu müssen.<br />
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<span style="font-size: large;"><i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;">Und wie schön sehen manche
ehemals von zentimeterdicker Schminke verunstaltete Zicken aus, wenn sie von
der Regenwaldfeuchtigkeit aufgedunsen und vom Koffein- und Tabakentzug
aufgefrischt werden.</span></i></span><br />
<br />
Nachdem das Fernsehen immer
hochauflösender geworden ist, finden Menschen ohne Maske und ungetuscht darin keinen
Platz mehr. Im Dschungelcamp aber gibt es keine Maskerade. Auf jeden Fall
nicht für die unter den Witterungsbedingungen sichtbar reagierenden Körper. Angeblich auch nicht für den Seelenapparat. Ist das nicht die ursprüngliche,
lebensnahe Schönheit des Menschen<i> in natura</i>, nach der sich die Darstellungskünste
verzehren? Eigentlich eine Wellnessfarm, dieses Camp. Wenn die Kandidaten es
nicht so entsetzlich ernst nehmen würden. </div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Aber es ist nicht der zynisch
verzerrte Kampf ums tatsächliche Überleben, der hier abendfüllend erzählt wird, auch wenn die Kandidaten gerne von den Grenzen sprechen, die sie hier tatgtäglich überwinden müssen. Hier meint <i>survival of the fittest</i>, dass sich ein Glückspilz
mit Krone und Zepter schmücken darf, weil er irgendetwas anzubieten hat, das
den vielen Menschen auf ihren Fernsehsofas imponiert. Nur weiß vorher niemand, wer oder was das ist. <br />
<br />
Meistens werden die
Gewinnertypen für ihre augenscheinliche Authentizität zum Sieger erklärt. Sie zeigten Emotionen, wo andere schwiegen oder der Performance der
Kollegen nur mit giftigen Worten begegneten. Sie stellten sich gegen einen
Mitkandidaten , wenn dieser der Gruppe Schaden zufügen wollte. Oder sie stellten ihren Markenkern besonders gut heraus.<br />
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;">Aber wen interessiert schon der Gewinner in einer
Sendung, die vom Verlieren erzählt: </span></span></i><i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;">Spannend sind die Lagerfeuergeschichten der
Gescheiterten, wenn sich also die offensichtliche Feier der Gehässigkeit für
einige Momente zur rührenden Beichtstunde wandelt.</span><span style="font-size: large;"> </span></span></i></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Das ist sogar noch wesentlich
spannender als die langweiligen Dschungelprüfungen oder die zur Schau
gestellten Körper einiger Kandidatinnen, die damit einst oder immer noch ihr
Geld verdien(t)en. Vielleicht ist auch das nur eine weitere Lehre dieses
Meta-Fernsehens, das von sich selbst betrunken unsere Medienwelt aufs Korn nimmt:<br />
<br />
Es gibt
keine Schönheit, nichts Wahres und schon gar nichts Gutes, ohne dass zuvor
durch Schlamm gewatet werden muss.<br />
<br />
Erst kommen stundenlang die Ekelbilder und dann, vielleicht
für einen kurzen Augenblick, ein erhabener Moment. Im Lager werden Schicksale
verhandelt und ergriffen kommentiert. Hier begegnen wir Menschen, die unter
der Dschungelhitze gar nicht anders können, als ihre Maske abzulegen, um ihr
wahres Gesicht zu zeigen. Oder doch nicht? Werden elende Charaktere, die unterm
Blitzlichtgewitter kaum zu ertragen sind, unter Giftschlangen und Spinnengetier
zu edlen Charakteren?<br />
<br />
Das Spiel mit der Realität wird im Dschungelcamp mit
beeindruckender Konsequenz von Seiten der Kandidaten, aber auch vom
Autorenschreibtisch aus, betrieben, so dass für den Fernsehzuschauer
kaum eine andere Wahl bleibt, als sich selbst entscheiden zu müssen, ob er all
das Gezeigte nur für eine Illusion hält oder ob er dahinter doch
Momente ergreifender Ehrlichkeit vermuten darf. Ist das Performance-Kunst?
Können Schauspieler gar nicht anders als auch unter diesen Bedingungen weiter
zu schauspielern? Was ist eigentlich Schauspielerei und wie viel ist sie wert,
wenn die Regie für die Protagonisten nicht sicht- und hörbar ist, also niemals
klar wird, ob der Shakespeare-Monolog auch mitgeschnitten wird? Die Wahrheit
wird man nie erfahren. </div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Das musste die Feuilletonisten und intellektuellen
Moralapostel doch auch ein wenig in die Irre führen.</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br />
<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;">Was ist, wenn dies also
doch nicht nur ein wirres Schauspiel ist, sondern hochreflexives, mit Intellekt
angetriebenes, absurdes Theater, das den Zuschauer auf eine Weise herausfordert,
mit der er – längst dressiert, sich am gescripteten Realismus zu
ergötzen – einfach nicht rechnen kann?</span></span></i><br />
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Vielleicht sogar unfreiwilliges, aber nichtsdestotrotz
hochwirkungsvolles <i>theatro mundi</i> für die Massenmediengeneration? Und eine
fantasievolle Meditation über Licht- und Schattenseite des Berühmtseins, also
dem Götzen unserer Zeit?<br />
<br />
RTL delektiert sich längst an der überraschend zugeschobenen
Intellektuellenpose. Eine landesweit geschaltete Werbekampagne für eine vergangene
Sendestaffel des Dschungelcamps zeigte einst allerhand ehemalige Teilnehmer der
Sendung, die noch einmal Zoten von sich gaben, längst zur allgemeinen Belustigung als Bonmots von
den Moderatoren zitiert. Passend dazu der Slogan: „Deutschland – Ein Land
von Dichtern und Campern“. Vor einiger Zeit hatte es die Sendung sogar in die
Grimme-Preis-Nominierungsliste geschafft.<br />
<br />
Hat sich RTL dieses Image mit den
gewitzten Moderatorenkommentaren – einer geschickten Variation und
Repetition von Sprachhülsen, die ihrerseits auch wieder nur die chronische Logorrhoe
des Fernsehens reflektieren – verdient oder ist es tatsächlich so, dass sich
nach zwei Wochen unterhaltsamen Ekelk(r)ampfs Wahrheiten über Individuum und
Gesellschaft heraus schälen, wie sie eben in keiner Talkshow und schon
gar nicht mehr in irgendwelchen anderen verquasten Informationsformaten in der
Glotze gewonnen werden können?</div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Passt es da nicht, dass diese Show (Reis und Spiele!) im
Urwald ausgetragen wird, dort wo, wie wir wissen, das unkontrollierbare Unbewusste
der Menschen lauert, anscheinend aber auch die von Menschenhand betriebene
Wunschmaschine Fernsehen wartet? Wäre Klaus Kinski nicht ein sicherer Kandidat,
wenn er noch leben würde? </div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Noch viel grausamer als der Schock, dass diese Sendung
möglicherweise eines Tages einen wichtigen Preis bekommen könnte, wäre es wohl,
einer anderen Tatsache ins Auge zu blicken, die sich nach mehrmaliger
vergnügter Sichtung des Dschungelcamps ergibt:<br />
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<span style="font-size: large;"><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><i>Dieses Format ist deshalb so
erfolgreich bei Jung und Alt, Dick und Dünn, Klug und Blöd, weil es einer
dionysischen Feier der Populärkultur gleichkommt, die ihren großen Sieg über
die einstmals deutungsstärkere bürgerliche Kultur zelebriert.</i></span></span></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Mit einem Grinsen
in den Augen blickt uns der Dschungel an und verrät uns, dass in den
abgekämpften Gesichtern unsicherer Prominenter, die vom allesfressenden
Medienuniversum längst geschluckt und möglicherweise sogar mehrfach verdaut worden sind und die sich nun von Bohnen ernähren,
sich erbrechen, wenn es nur zum fermentierten Ei<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>reicht, möglicherweise
eine größere Wahrhaftigkeit zu finden ist als in den großspurigsten
Inszenierungen auf den Bühnenbrettern dieser Welt.<br />
<br />
Diese Oper der
Scheußlichkeiten bedeutet den Menschen vielleicht nicht nur als
Unterhaltungseskapade etwas, sondern sie vermuten gerade hier – ganz<span style="mso-spacerun: yes;"> </span>unten, im Höllenschlund der kaputten Glitzerwelt –
Erkenntnisse, wie sie sie aus den Werken der Kunst oder der Literatur
nicht mehr erhalten.<br />
<br />
Ja, im Urwald geht es noch moralisch zu. Jeder Fehler wird
vom Kollektiv bestraft, jede Verhaltensauffälligkeit als deutliches Zeichen
einer erschummelten Persona enttarnt, jede Sünde gnadenlos in der
Gruppentherapie am Lagerfeuer besprochen. Was ist hier noch Inszenierung? Die
Fernsehzuschauer identifizieren sich mit diesen geschundenen Gestalten – und
wer weiß, vielleicht lachen sie am Ende auch noch über sich selbst, dass sie all diesen Quatsch mit großer Ernsthaftigkeit zelebrieren. </div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div class="MsoNoSpacing" style="text-align: justify;">
Wäre das nicht der Gipfelpunkt der Unterhaltungskunst?</div>
Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-80122446748789097602024-01-16T00:01:00.001+01:002024-01-16T00:01:00.128+01:00A Man Called E<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgbmIpwSR4UHuDLNKslUry4kSFmqsAe-urcEsft0zZ5onbdcaODQlC2JG8ALIEXaM5VPzoonurVzb8mFpQgMIHzOppP5A_9omVAe_R_D4UNtPPEAPTeIMNOpwK9fNdlhs1UHWD7Yc6xQR8U6drAoc6GhMPZI8eCzbOnJ_rdFqpHZyCfGYLmv25XeQ/s2322/eels-mark-oliver-everett.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1296" data-original-width="2322" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgbmIpwSR4UHuDLNKslUry4kSFmqsAe-urcEsft0zZ5onbdcaODQlC2JG8ALIEXaM5VPzoonurVzb8mFpQgMIHzOppP5A_9omVAe_R_D4UNtPPEAPTeIMNOpwK9fNdlhs1UHWD7Yc6xQR8U6drAoc6GhMPZI8eCzbOnJ_rdFqpHZyCfGYLmv25XeQ/s16000/eels-mark-oliver-everett.jpg" /></a></div><br /><div>Viele Musikerinnen und Musiker singen über Seelenqualen und Schicksalsschläge, Mark Oliver Everett hat den Scheiß erlebt. </div><div><br /></div><div>Er verlor innerhalb kürzester Zeit seine komplette Familie.
Seinen Vater, ein Physiker, der zu seiner Zeit verlacht wurde, aber die heute anerkannte Viele-Welten-Idee miterdachte, fand er mit 19 Jahren tot im Bett. Sein alter Herr hatte schwere Depressionen. Nancy, die Mutter des Sängers, war familiär ebenfalls mit psychischen Erkrankungen vorbelastet; ihre Mutter Katherine schrieb zwischen ihren Krankenhausaufenthalten Gedichte. Nancy neigte zu hysterischen Heulanfällen und kindlichem Verhalten und überließ die Kinder sich selbst. Sie verstarb an Lungenkrebs. Everetts sechs Jahre ältere Schwester Liz war lange Zeit seine Bastion gegen all den Wahnsinn. Er liebte sie abgöttisch, wie man in der wundervollen Autobiographie „Glückstage in der Hölle“ (treffender im Original: „Things The Grandchildren Should Know“) nachlesen kann. Aber sie erbte auch den Hang zur Geisteskrankheit und zum Drogenmissbrauch. Liz nahm sich das Leben. </div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Von schönen Außenseitern und Motherfuckern</h3><div><br /></div><div>All diese Ereignisse kommen in verschiedensten Variationen in den mal missmutigen, mal zart-traurigen und dann wieder fast verspielt Hoffnung behauptenden Songs der Eels vor. Also jener Band, die Mark Oliver Everett, der sich zunächst nur E nannte, 1995 gründete.
War das aufsehenerregende Debüt „Beautiful Freak“ noch vor allem eine Auseinandersetzung mit Variationen des Außenseiterdaseins und natürlich auch eine Liebeserklärung an all die Verschrobenen dieser Welt, sezierte „Electro-Schock Blues“ das komplette Ungemach des zerbrochenen Lebens, der unverschuldeten Wurzellosigkeit. Wem allein beim Prolog mit „Elizabeth On The Bathroom Floor“ nicht das Herz stockt, kennt wohl keine Ängste. </div><div><br /></div><div>„Daisys Of The Galaxy“ brachte dann den ersten Schritt zurück ans Licht. Der trauernde Clown wurde zum Schrat, er spielte Kinderinstrumente und besang die Fröhlichkeiten des Lebens (Vögel!). Er sang einen Song über einen Motherfucker – und es ist einer seiner schönsten.
Wie sehr sich all das zu einer großen Erzählung über das Überleben rundet, brachte dann das einfallsreiche Doppelalbum „Blinking Lights And Other Revelations“ ans Licht. Hier ist nicht nur Everetts Hund, sein langjähriger Begleiter und Schutzpatron Bobby Jr., der sogar eine Freundschaft mit Leonard Cohen pflegte, jaulen zu hören, auch Tom Waits kläfft mit. Ein Wunder von einer Platte, nach der sich der Musiker in neue Richtungen zu bewegen begann. </div><div><br /></div><div>Drei Studioalben, nahezu am Stück veröffentlicht, dazu die Memoiren folgten. Mit zerknirschter Melancholie, wolfshündischem Humor und jeder Menge „shitty feelings“ sind auch diese Lieder gefüllt. Everett erschien weiter als unrasierter Barde. Der Sänger gab den klagenden Bluesmann, er trauerte über das Verlassenwerden (oder doch über die Unfähigkeit zu lieben?), aber offenbarte auch, wie die Freiheit danach die Sinne schärft. Inzwischen ist Everett Vater. Die Beziehung mit der Mutter seines Sohnes hielt allerdings nicht lang. Und in den letzten Jahren merkt man seinen Platten doch gewisse Ermüdungserscheinungen an. Manches geriet in die Wiederholungsschleife. </div><div><br /></div><div>Es sind eben doch oft die selben Themen, allerdings noch immer hübsch verziert und frei vom Zwang zur ohnmächtigen Grübelei.
Vielmehr betont der Songwriter die Wonnen eines Lebens, das eigentlich schon mit dem Auslaufen der Jugend gescheitert ist und trotzdem dazu führte, dass er als Musiker die Welt bereisen konnte, zwischenzeitlich gar als Crooner im Stil von Sinatra auftrat (fast jede Tour der Eels hat einen anderen Sound, einmal spielte die Band gar in Traininganzügen und mit ZZ-Top-Bärten), und nie die Lust verlor, weiterzumachen. </div><div><br /></div><div>„Extreme Witchcraft“ markierte zuletzt den vorwärtsgedachten Rückweg zur härteren Gangart von John Parrish, der einst den Hundgesichtsblues von „Souljacker“ mitprägte. Und die zweite Kompilation seines Lebenswerks, „So Good: Essential Eels Vol. 2 (2007 – 2020), zeigt, dass es trotz mancher Oberflächlichkeiten immer was ins Töpfchen gab und kein Film-Soundtrack schlecht sein kann, wenn er von einem Eels-Song gerahmt wird. </div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Der Trost der Eels</h3><div><br /></div><div>Man muss den widerborstigen Künstler, der sich gerne mit scharfem Humor aus der Schusslinie zieht, nicht lieben. Aber es ist unmöglich, ihn nicht zu mögen, wenn er sich als blutrünstiger Vampir gibt, wenn er das Gefühl beschreibt, wie es ist, wenn die eigene Freundin einen anderen Mann mit einem völlig anderen Blick mustert als einen selbst, wenn irgendwann doch bereut wird, wie viele Fehler man in jungen Jahren aneinandergereiht hat. </div><div><br /></div><div>Viele Musiker verstecken sich hinter ihrem Werk, und das macht sie durchaus zu großen Künstlern. Mark Oliver Everett <i>ist</i> sein Werk – und er schenkt es uns so offenherzig wie kaum ein anderer. Nur Weihnachtslieder sollte er vielleicht keine mehr vortragen.</div><div><br /></div><div>Zuerst erschienen bei <a href="https://www.rollingstone.de/mark-oliver-everett-eels-best-of-2681377/" target="_blank">ROLLING STONE</a></div><div><br /></div><div><br /></div>
<iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/V2yy141q8HQ?si=SyIfp0C2w1CbjcXC" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" allowfullscreen></iframe>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-75808427900304505902024-01-15T00:30:00.000+01:002024-01-15T02:26:30.234+01:00Rabengrau <a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi6tAMmyxW-QpvbGNtaHgqKF5Be3GxJSVEVftkX22u33F1jy9-93uCksXbBA2b4dUwUg2FZbHRLRsMYWPshUm7D2paBn8WmrtFfgcui9ds1CUIivd87d3bYVjRZPOW99b-TjAWZNA/s1600/1932806_594790447271436_952468195_o.jpg"><img border="0" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEi6tAMmyxW-QpvbGNtaHgqKF5Be3GxJSVEVftkX22u33F1jy9-93uCksXbBA2b4dUwUg2FZbHRLRsMYWPshUm7D2paBn8WmrtFfgcui9ds1CUIivd87d3bYVjRZPOW99b-TjAWZNA/s16000/1932806_594790447271436_952468195_o.jpg" /></a>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-88037144579946619132024-01-10T11:50:00.000+01:002024-01-10T12:57:15.370+01:00Weißabgleich <h3>
Warum haben Wintersportler eigentlich immer so blendend weiße Zähne?</h3>
<br />
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgm8xtglJgIwzBX-mr_fzjvZ4PdJkPtZgTzWqbakmb_JhJfQNnmZS0FSZY7NCxBPUfJ_CVJDHDGhUWTuvT8glGwg3DZXkXk3I81Djj640d59ftP-OIa8aaOolsxCL2bqC6Uqn7AvA/s1600/Bildschirmfoto+2017-01-22+um+16.14.56.jpg"><img border="0" height="216" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgm8xtglJgIwzBX-mr_fzjvZ4PdJkPtZgTzWqbakmb_JhJfQNnmZS0FSZY7NCxBPUfJ_CVJDHDGhUWTuvT8glGwg3DZXkXk3I81Djj640d59ftP-OIa8aaOolsxCL2bqC6Uqn7AvA/s320/Bildschirmfoto+2017-01-22+um+16.14.56.jpg" width="320" /></a><br />
<br />
<div style="text-align: justify;">
Vielleicht sind sie das natürlich blühende Äquivalent zu dem Element, über das sie für ihre Zwecke magisch hinweg gleiten.</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Möglicherweise spiegeln sie auch das sanguinische Temperament dieser fröhlichen Schneebezwinger. Denn wie lässt es sich vorstellen, dass man traurig Abhänge hinunter schwebt?</div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
Eventuell ist es für diese Kältekämpfer aber auch die letzte erogene Zone, die sie in die Kameras halten können, sind sie doch ansonsten, es geht ja gar nicht anders, fast vollständig in wärmenden Stoff eingewickelt.</div>
Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-88444011665015088402024-01-08T13:21:00.002+01:002024-01-08T13:21:33.502+01:00Narrationshilfe<div style="text-align: left;"><b style="font-family: times; font-size: xx-large;"><i>„Das Narrative heilt durch Struktur, nicht durch direkte Lebenshilfe.“ </i></b></div><div style="text-align: left;"><br /></div><div><span style="font-size: medium;"><b>Richard Sennett</b></span></div>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-4225784178616902282024-01-05T04:14:00.001+01:002024-01-10T13:01:15.120+01:00In Honig getaucht <div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhX1I2-H6rDfddwmVSouYopvAgtb6zZSm5etEDp2f4YhKr4a4SIiRph2lRIH-W5Dux_w0oievmB2bL25RJ1u8__UXVEwUusvuZH10F9rjh6Sz5gjvQ_-DjRGcRKnxj25rOUR_GGpQ/s1600/DSC_0094.JPG" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1063" data-original-width="1600" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhX1I2-H6rDfddwmVSouYopvAgtb6zZSm5etEDp2f4YhKr4a4SIiRph2lRIH-W5Dux_w0oievmB2bL25RJ1u8__UXVEwUusvuZH10F9rjh6Sz5gjvQ_-DjRGcRKnxj25rOUR_GGpQ/s1600/DSC_0094.JPG" /></a></div>
<br />
<h2 style="text-align: justify;">
Mein lieber Sohn, </h2>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie ich einst in der gleichen Situation war wie du jetzt. Diese freudige und zugleich spannungsreiche Erwartung. Das Bangen, ob alles genau so abläuft, wie es zuvor besprochen und erhofft wurde. Es kommt eh alles anders, als man denkt. Das ist jetzt aber nicht wirklich ein Ratschlag, sondern eine fürchterliche Binsenweisheit, höre ich dich sagen. Natürlich! Aber genau das bedeutet es ja, Mutter und Vater zu werden: sich auf etwas einzulassen, das nicht planbar ist.</div>
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Du kamst auf den letzten Drücker auf die Welt, mein Sohn. Als hättest du gar keine Lust gehabt, aus deinem wonnig-warmen Nest zu schlüpfen. Warum auch? Im eisigkalten Winter fällt es doch viel schwerer, zum ersten Mal die Augen zu öffnen und nach Luft zu schnappen. Du hast es dann doch gewagt, auch wenn du deiner Mutter und mir erst einmal viel Angst eingejagt hast.</div>
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Darauf musst du dich nun auch einstellen: Die Furcht wird zu deiner alltäglichen Begleiterin. Du zuckst zusammen, wenn dein Kleines plötzlich anfängt zu schreien. Du liegst mit weit geöffneten Augen im Bett und kannst sie erst schließen, wenn du endlich ein zufrieden dahingeröcheltes Seufzen hörst. Schließlich wirst du fast wahnsinnig, wenn zum ersten Mal die Nase läuft oder die Brust sich verspannt. Jedes Tränchen macht auch dich traurig. </div>
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<b><i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;">Jeder Schmerzenslaut fügt auch dir Schmerzen zu. Und jede unerwartete Ruhe wirft den Albtraumapparat an. V</span></span></i><i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;">ielleicht ist es ja auch eine evolutionsbiologisch notwendige Lektion in Sachen Mitleid.</span></span></i></b></div>
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An Schlaf ist bald nicht mehr zu denken, das sagt dir ja jetzt jeder. Aber ich habe in eigentlich jeder Nacht, in der du vor Kummer schriest oder zahntest oder vor Sehnsucht nach Berührungen immer wieder zu deinen Eltern krochst, mehr geschlafen, als in jenen Tagen im Krankenhaus nach deiner Geburt. Lass es höchstens ein, zwei Stunden pro Nacht gewesen sein. Viele Tage lang. Ich ging wie auf Watte, benommen, hörte Stimmen und war doch eigentlich in Gedanken nur bei dir und deiner Mutter.</div>
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Als dich die Kräfte verließen, weil du mit Wucht auf die Welt geholt wurdest und zunächst kaum Stärkung erhieltest, schliefst du eine ganze Nacht lang friedlich auf meiner Brust. Noch nie im Leben fühlte ich mich so stolz und glücklich, jemanden vor allem Übel zu beschützen, einfach da zu sein. Das wird dir, lieber Sohn, nun bald auch so gehen. Für jemanden zu sorgen, war, als das Vatersein nur als Idee am Horizont schwebte, doch stets nur Haltung, viel zu oft Wunsch. Nun ist es eine Notwendigkeit. Es geht gar nicht anders. Mehr Verantwortung kann man im Leben nicht tragen, als ein nahezu blindes Lebewesen ins Licht zu tragen.</div>
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Aber wie sehr hilft das Lachen! Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie dir nach nur wenigen Tagen auf der Welt das erste Lächeln übers Gesicht huschte. Wissenschaftler sprechen euphemistisch vom Engelslachen, weil es lediglich eine spontane Muskelzuckung ist. Aber bei dir gab es fortan keine Stunde, manchmal keine Minute mehr ohne diese ansteckende Heiterkeit. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist. Du wirst sehen, mein Sohn, wenn dich dein Kleines mit einem Grienen auffordert, zurück zu juchzen, dann ist jeder finstere Gedanke vergessen. Du fühlst dich, als wärst du in Honig getaucht worden. </div>
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<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;"><b>Wer lacht, hat keine Sorgen. Sei hemmungslos albern! </b></span></span></i></div>
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Du wirst schnell merken, mein lieber Sohn, dass auch du die Welt nach der Geburt deines Kindes anders wahrnehmen wirst. Längst hast du dir die Welt erobert, siehst sie mit deinen vom Alltag schon etwas müde gewordenen Augen. Diese Routine wird nun gnadenlos aufgebrochen. Sie verändert dich, deine Frau, euer gemeinsames Band, einfach alles.</div>
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Zunächst wird deine Fähigkeit zu Konzentration und Disziplin auf eine harte Probe gestellt. Windeln wechseln magst du zunächst als ungefährliche Aufgabe abtun. Doch du wirst sehen, dass sich der Schwierigkeitsgrad sehr verändert, wenn dein Sprössling kreischend erwacht, sich auf der Wickelkommode im Dämmerlicht (es soll ja nach der Rettungsaktion nicht hellwach sein) scheinbar weidwund hin und her wälzt und dabei seine Notdurft über alle Gliedmaßen sorgfältig verteilt hat. </div>
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Stille bekommt nun eine neue Bedeutung für dich. Wenn du mit deinem kleinen Wunder im Wagen unterwegs bist und hoffst, dass es sich friedlich in Morpheus Armen bequem macht, aber Autos wie gehetzt an dir vorbei rasen, dann betest du inständig, dass sie das Kleine nicht wecken (und dann kommt doch ein Feuerwehrauto mit Sirene angerauscht…). Überhaupt nimmst du den Lärm um dich herum, selbst jedes Flüstern, viel intensiver war, wenn du weißt, dass es jemanden stören könnte, der all das noch nicht verstehen und einordnen kann. Dann bemerkst du zu deiner Verwunderung aber auch, mit welcher Engelskontenance dieser Winzling Feuerwerke, Lichtkegel und nervöses Elterngebrüll wegstecken kann, ohne auch nur einen Spalt weit die Augen zu öffnen.</div>
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Was sich dir vielleicht erst nach der Geburt erschließen wird: </div>
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<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;"><b>Familie ist nicht etwas, das einfach so existiert und wie ein wärmender Pullover übergestreift werden kann. Familie muss immer wieder neu gestrickt werden. Und Löcher gibt es genügend, gerade wenn es um den Zusammenhalt zweier verschiedener Sippen geht! </b></span></span></i></div>
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Eltern scheinen zudem, so macht es zumindest auf mich manchmal den Eindruck, in Konkurrenz zueinander zu stehen. Sie erzählen wie berauscht von ihrem Glück, sie zeigen ihre Babys vor wie Schmuckstücke. Sie diskutieren endlos über Körperfunktionen, Nahrung, Schlaf, Glücks- und Unglücksmomente. Im Netz bekommen sie hingegen - und womöglich wird es dir nicht anders ergehen - regelmäßig Panikattacken, wenn sie nach etwas suchen, das ihren Schatz bedrückt. Du kannst jedes (!) existierende Lebensmittel bei Google eingeben und das Stichwort 'Baby' dazu schreiben. Es wird schon jemand etwas dazu geschrieben haben.</div>
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Schnell wirst du auch sehen, dass du nicht mehr als Individuum wahrgenommen wirst, wenn du unterwegs bist. Du bist nur noch Vater, deine Frau ist nur noch Mutter - und im öffentlichen Nahverkehr regiert tatsächlich das Augenrollen, wenn der Kinderwagen in den Waggon geschoben wird. Eher jedenfalls, als dass irgendjemand zur Hilfe eilen würde, wenn sich zu früh die Türen schließen. Aber all das ist auch praktisch. Was interessiert dich schon noch die Alltagshetze? Du bist nun ein wenig aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Vielleicht sogar ein bisschen mehr. Das ist ein Zustand, den du beklagen oder genießen kannst.</div>
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Vieles, was um dich herum passiert, wird in diesen ersten Monaten ziemlich egal. Als wäre das Elternsein zunächst ein Sedativ, das jeglichen Schmerz der Außenwelt dämpft. Dafür gewinnt der Kokon, in dem du dich sorgsam eingerichtet hast, eine Bedeutung, die dir schnell über den Kopf wachsen könnte. Nichts und niemand bereitet dich darauf vor, dass ein wenige Pfund schwerer Wurm scheinbar grundlos Stunden lang blökt, aus heiterem Himmel Brust und Flasche verweigert, deinen Rücken beim Tragen und Wiegen und Schunkeln und Heben morsch werden lässt, bricht und pinkelt und vor Schluckauf bedrohlich bebt, vor Oma oder Opa und selbst vor dir (wenn du zum Beispiel deine Frisur verändert hast oder es kurz nach dem Erwachen etwas zu fordernd anschaust) vor Schreck grässlich zu greinen beginnt, auch deine Frau vor Verzweiflung weint und du es ihr, vielleicht auch nur heimlich, auf Toilette im Büro, gleichtust. </div>
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<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;"><br /></span></span></i></div>
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<i><span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif;"><span style="font-size: large;"><b>Ja, das klingt bedrohlich. Aber es hat auch niemand behauptet, dass es einfach ist. Von Glück zu sprechen führt in den meisten Fällen sowieso zu weit, weil es nun einmal so flüchtig ist und zu sehr an Erwartungen geknüpft, die sich im Grunde mit Baby stündlich ändern können. Aber Euphorie ist das richtige Wort. </b></span></span></i></div>
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Alles wird groß und größer, kein Tag vergeht ohne Erschöpfung und tiefe Erfüllung, das Nötige getan zu haben. Nirgendwo wird das deutlicher als beim Gang ins Bett. Mit einem Knopf auf dem Arm der nötigen Ruhe entgegen zu schaukeln, ist, bei aller Anstrengung, eine geradezu spirituelle, inneren Frieden spendende Aufgabe. So ein Pech, dass das Ablegen ins Bett dann doch eher einem Marsch über verdammt viele Nagelbretter gleicht. </div>
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Man sagt es so, und es stimmt wirklich: All diese Strapazen sind es nicht nur wert, sie verlieren sich auch im Dickicht des Vergessens im Vergleich zu den vielen Momenten des gemeinsamen Lachens. Gerade sensiblen Menschen, die es in anderen Bereichen des Lebens nicht immer einfach haben, wird hier das einzigartige Geschenk gemacht, die Welt, obwohl sie doch schon einmal erforscht wurde, mit einem kleinen neugierigen Geschöpf noch einmal völlig neu zu entdecken. Ich sage dir, mein lieber Sohn, das ist unbezahlbar. </div>
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Alles Liebe! Dein Papa</h2>
Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-52606893148231265082024-01-02T14:05:00.000+01:002024-01-02T14:51:30.838+01:00Wer lacht, hat keine Angst!<iframe allowfullscreen="" class="giphy-embed" frameborder="0" height="323" src="https://giphy.com/embed/12RChogjV4KAJq" width="480"></iframe>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-32980933560167894332023-12-18T21:57:00.003+01:002023-12-18T23:37:15.408+01:00Like A Rolling Stone<div style="text-align: justify;">Irgendwo zwischen Wilhelm Tell, „Uhrwerk Orange“, John Williams, den „Simpsons“ und „Akte X“ glomm der erste Funke. Meine Eltern spielten und hörten klassische Musik. Rossinis Ouvertüre in seiner Oper zum Schiller-Schauspiel wurde mir zum Herzensöffner für die Musik, weil es so rasant und entschlossen war. Es hatte Action, es erinnerte mich an vieles aus Zeichentrickserien, vielleicht wurde es in einem Looney-Tunes-Cartoon eingesetzt. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Derart begeistert, bekam ich von meinen Eltern den Soundtrack von „Uhrwerk Orange“ zu hören, weil dort nicht nur die „Diebische Elster“ zu hören ist, sondern auch die von Wendy (damals noch Walter) Carlos verfremdete Synthesizer-Version der Wilhelm-Tell-Ouvertüre enthalten ist. Wer glaubt schon, dass man auch für Töne zu jung sein könnte? Von Rossini war es wohl nur ein kleiner Schritt zu John Williams und einer Kompilation mit Stücken, die er mit dem Boston Pops Orchestra aufgeführt hatte. Meine erste CD. Film und Filmmusik, zwei Leidenschaften, die sich ganz und gar gleichzeitig für mich öffneten. Die „Simpsons“ brachten all das zusammen: Danny Elfman, Alf Clausen, America in a comic nutshell, Filmzitate am laufenden Meter. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><h3 style="text-align: justify;">Begin The Begin</h3><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Ich weiß nicht, ob ich zuerst die „Simpsons“-Parodie auf „Akte X“ sah oder gleich mit Mulder und Scully einstieg, aber die Mystery-Serie weckte mein Interesse für unheimliche Phänomene und Verschwörungstheorien. War jemals jemand auf dem Mond? Hatte Stanley Kubrick die Landung auf dem Erdtrabanten inszeniert? Dokumentationen versuchten sich an den groben Details abzuarbeiten. Die seltsame Lichtsetzung bei den Fotografien – der eigentlich unmögliche Flug durch den Van-Allen-Strahlungsgürte. Dazu „Man On The Moon“ von R.E.M. als begleitender Soundtrack im Hintergrund. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Was für eine gleichsam sehnsuchtsgetränkte und zartbittere Melodie! Ich hatte schon einiges gehört, damals sicher auch schon Nick Cave und Leonard Cohen, aber als ich derart R.E.M. entdeckte, stand die Band kurz davor ihr 13. Studioalbum zu veröffentlichen und ich legte noch fast täglich Queen auf. Freddie Mercury hatte mir mein Leben ein wenig mitgerettet vor der jugendlichen Tristesse. Klar: „Keep Yourself Alive“. Man glaubt nach einer ersten großen Liebe nicht, dass es mal eine zweite geben würde. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Ich kann es nicht erklären, aber ich war dann von einem Moment auf den anderen Michael Stipe, Mike Mills, Peter Buck und Bill Berry verfallen. Damals ahnte ich es nur in Ansätzen: Sie schenkten mir buchstäblich ein Leben. „Live And How To Live It“. Ich hörte alles, was ich kriegen konnte, sah jedes Musikvideo, jeden Konzertfilm. Ich verschlang alle Texte über die Band aus Athens, die für Geld zu bekommen waren. Das hatte ich vorher noch nie mit irgendetwas gemacht, das mir musikalisch am Herzen lag. Ich war wohl nicht nur das, was man einen Anhänger nennt. Ich war ein Stück weit besessen. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Und dann entdeckte ich in einem Kiosk, den ich nur frequentierte, weil es dort den „Film-Dienst“ zu kaufen gab (die einzige Filmzeitschrift, die einen ähnlichen Anspruch hatte wie „Cahiers du Cinéma“ und wirklich jeden angelaufenen Film bewertete, inzwischen aber leider nur noch online existiert), eine Ausgabe des ROLLING STONE. Michael Stipe auf einem blauen Cover. Ein großes Interview. Dazu eine Sonderbeilage, weil es ein Heft zum zehnjährigen Jubiläum war: Die 500 besten Alben aller Zeiten. Dieses kleine Heftchen wurde mir zu so etwas wie einem Reiseführer in die Welt der Rockmusik. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: justify;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgmeRI9GfVVkW9OilBELGzV0YeXl5Fu2Ih-Jy26Tdccgx650FSsJmqvHOO4hHxN7zrM63gp9w5rSWbTfFLu7zvKJYJwBqxyCBdloDBrqJr5Q7NQnTeIk3lLAhxobvtERsDDNtXlrb8Nym8UJiayphDyRYmdXNgKmxM6vL2Ab-nf4I424WrU0vq_LQ/s2456/Bildschirmfoto%202023-12-18%20um%2021.25.08.png" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2456" data-original-width="1942" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgmeRI9GfVVkW9OilBELGzV0YeXl5Fu2Ih-Jy26Tdccgx650FSsJmqvHOO4hHxN7zrM63gp9w5rSWbTfFLu7zvKJYJwBqxyCBdloDBrqJr5Q7NQnTeIk3lLAhxobvtERsDDNtXlrb8Nym8UJiayphDyRYmdXNgKmxM6vL2Ab-nf4I424WrU0vq_LQ/s16000/Bildschirmfoto%202023-12-18%20um%2021.25.08.png" /></a></div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Ich verstand zunächst nur jedes zweite Wort. Ich kannte nur einen Bruchteil der Musiker und Bands. Warum das einzige Album einer Gruppe aus Cardiff mit nahezu keinen Melodien und noch weniger Aufnahmeaufwand unter die fünfzig besten Platten kam, das wollte sich mir damals kaum erschließen. Doch ich fing einfach an, mir alles zu besorgen, was ich hier vorgestellt bekam. Ich hatte von vielen Größen vorher nur Compilations, jetzt besorgte ich mir „The Velvet Underground & Nico“, „Blonde On Blonde“, „Exile On Main St“, „Blue“, „Tapestry“, „Astral Weeks“. Und ich lernte etwas kennen, das den meisten wohl sehr viel früher vertraut wurde als mir. Das dachte ich damals zumindest. Ich lernte aber auch, dass es keinen richtigen Zeitpunkt geben kann, sich in etwas zu vertiefen, dass es aber auch nur sehr wenige Felder gibt, die sich einem ganz und gar öffnen. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: times; font-size: large;"><b><i>Der ROLLING STONE wurde zu einem Teil meines Lebens, weil ich durch das, was darin zu lesen war, einen Zugang zur Musik fand, der wohl auch meinen zuvor gelegten Verbindungen zum Film, zur Kunst und zur Literatur glich. </i></b></span></div><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: times; font-size: large;"><b><i><br /></i></b></span></div><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: inherit;">Fast zehn Jahre später schrieb ich das erste Mal selbst etwas für den ROLLING STONE. Nun, 20 Jahre nachdem ich das erste Mal ein Heft in der Hand hielt, schreibe ich immer noch für ihn. </span></div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Im kommenden Jahr erscheint die deutsche Ausgabe dieses einstigen Hippie-Blatts aus den USA, das mithalf Dylan, die Beatles und die Stones zu Weltkulturerben zu machen, das Annie Leibovitz eine Fotografiekarriere ermöglichte, die zuvor keiner anderen Frau gelungen war (und das Erscheinungsbild des Magazins maßgeblich prägte), das immer politisch engagiert blieb und stets leidenschaftlich für seine Hausgötter einstand, seit drei Jahrzehnten. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Der ROLLING STONE hat hierzulande eine eigene Geschichte, einen eigenen Stil. Er hat Redakteure, die von Anfang an dabei sind (Arne Willander). Er hat eine Sprache, die leidenschaftlich ist, aber nie die profane Nähe zu jenen sucht, die man heute mal schwärmerisch, mal despektierlich Fans nennt. Er sagt, was wichtig ist in der Popkultur und beschreibt sie, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Er ist nicht akademisch, wie es die SPEX einst war, aber seine Leidenschaft für den Eros der Rockmusik, für die Überbleibsel der Gegenkultur muss man aushalten wollen. Er hält in Nibelungentreue zu alten Recken, selbst wenn sie längst der Langeweile erlegen sind. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Es gibt Musiker und Bands, die hört man anders, wenn man sie mit den Augen des ROLLING STONE vernimmt – etwa Bruce Springsteen, Rufus Wainwright, Bright Eyes, die Libertines, Travis, die Tindersticks, The Go-Betweens, Wilco, sowieso Bob Dylan, die Beatles und die Rolling Stones. Aber eindrücklich auch R.E.M. Für die war und ist immer die Redakteurin Birgit Fuß zuständig gewesen. R.E.M. sind ihr Leben, sie schreibt über sie, als würde sie eine Freundschaft beschreiben. Sie kann ihnen nicht böse sein, aber es gibt ja auch keinen Grund dafür. Es ist eine Band, die (fast) alles richtig machte, sagt sie. Es ist ein Slogan, den sie einem Buch über R.E.M. beigab. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><h3 style="text-align: justify;">Über Musik schreiben, als würde man über einen Freud schreiben</h3><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Mich beeindruckte diese Hingabe wohl vor allem, weil sie eben auch meine Hingabe ist. Weil ich Musik und all den anderen Künsten auch immer freundschaftlich verbunden sein wollte. Vielleicht überrascht es so auch nicht, dass ich beim ROLLING STONE auf der Stelle Freunde gefunden habe. Erst viel später fand ich heraus, dass man Musik auch anders hören kann als ich, dass es vielleicht einen Grund gibt, warum es für mich dann irgendwann selbstverständlich wurde, darüber zu schreiben. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Und so erzählte ich irgendwann auch von R.E.M., von Verschwörungstheorien, von „Akte X“, den „Simpsons“, John Williams, „Uhrwerk Orange“ und sehr vielen anderen. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Einen Text über Wilhelm Tell werde ich wohl nie schreiben. Aber vielleicht ist die Geschichte mit dem Apfel, wenn man sie einmal nicht so sehr als Symbol für den Kampf gegen Tyrannei versteht, ein ganz gutes Bild für das, wie Musik- oder gar generell Kulturkritik funktioniert. Es ist Mut vonnöten, etwas (be-)schreibend zu attackieren, das zu einem gehört, und sei es nur aus dem Grund, etwas verstehen zu wollen. Geschlossenen Auges (mit allen Wassern gewaschen, die Kulturgeschichte vor Augen, ohne Angst, ein Urteil fällen zu müssen) zielend und den Apfel der Erkenntnis treffen, das ist der Weg. </div>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-81671371361262268102023-12-08T17:07:00.000+01:002023-12-08T17:07:13.471+01:00#vanitas<p> </p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjCwogvXudarfK-dAoBkyZnh8FWDOLe7Cz8rFOKfumwJPRhDESF03V2ttzIuYmJFNvX6uScEJwTvhbXnpAfw15A0oSM2xeY77DGJHWwA9VXxWmIY87EleyBPYDQldq6a6-gd5Q4syo2mshl3PQe1Ue9w7rG0vvriYReRwB_-AWfdmfijGMP1XbH6g/s4032/20231208_170402.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="4032" data-original-width="3024" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjCwogvXudarfK-dAoBkyZnh8FWDOLe7Cz8rFOKfumwJPRhDESF03V2ttzIuYmJFNvX6uScEJwTvhbXnpAfw15A0oSM2xeY77DGJHWwA9VXxWmIY87EleyBPYDQldq6a6-gd5Q4syo2mshl3PQe1Ue9w7rG0vvriYReRwB_-AWfdmfijGMP1XbH6g/s16000/20231208_170402.jpg" /></a></div><br /><p></p>Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-50107450762252230672023-12-07T14:28:00.000+01:002023-12-07T21:05:01.826+01:00Auf der Jagd nach dem weißen Kaninchen <div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgPZ3oOpMngrwwzYpfKjzr4lyxG9bo-9nAx4PIfx2mQVSn17IPUmhKdPzpGjgegrGxJkus7aMnsSW-IwjEXTqN5fIoEnpv5X0qqeyqPBrIIX_5KYkLepGqKUaOKXc3qElXt6m7Ba_TABnOgFnoTcygUwhB47YLSlq6vkFnyH3t_oh3uqzHcl4r9rA/s1280/rabbit-435862_1280.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="853" data-original-width="1280" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgPZ3oOpMngrwwzYpfKjzr4lyxG9bo-9nAx4PIfx2mQVSn17IPUmhKdPzpGjgegrGxJkus7aMnsSW-IwjEXTqN5fIoEnpv5X0qqeyqPBrIIX_5KYkLepGqKUaOKXc3qElXt6m7Ba_TABnOgFnoTcygUwhB47YLSlq6vkFnyH3t_oh3uqzHcl4r9rA/s16000/rabbit-435862_1280.jpg" /></a></div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">
Individualität ist der Götze unserer Zeit. Kaum etwas wird weniger hinterfragt, als der Wunsch, sich selbst zu verwirklichen. Dabei unterliegt die Bedeutung des Ichs im Vergleich zur Gruppe in der beschriebenen Geschichte der Menschheit seit jeher starken Schwankungen. </div><div style="text-align: justify;"><br /></div><div style="text-align: justify;">Noch immer sorgten Naturgewalten oder die natürliche Gewalt der Wissenschaften dafür, dass das eigentlich auf gesichertem Fundament errichtete Selbst- oder Kollektivbewusstsein wieder zurechtgefaltet wurde. Auch wenn der Zersetzungsprozess in verschiedenen Teilen der Welt mit unterschiedlicher Härte und Geschwindigkeit stattfindet. </div>
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<br /></div>
<div style="text-align: justify;">
<iframe allowfullscreen="" class="giphy-embed" frameborder="0" height="429" src="https://giphy.com/embed/l4KhPbIIDgO3sMw0w" width="480"></iframe><br /></div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
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Eine Konstante darf aber als gesichert gelten: Technische oder mediale Wandel gingen stets mit einem Auftrieb des Ich-Bewusstseins einher.</div>
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<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif; font-size: large;"><i><br /></i></span>
<span style="font-family: times; font-size: large;"><i><b>Das Internet sorgt mit seiner Vernetzung der Weltbevölkerung für den wohl tiefgreifendsten Antrieb eines neuen, schrankenlosen Individualismus'. Jeder kann sich, zumindest theoretisch, präsentieren, wie er möchte. Fast alles, auch Verbotenes, ist verfügbar, oftmals zu geringen Preisen und häufig ohne großen Beschaffungsaufwand.</b></i></span></div>
<div style="text-align: justify;">
<br /></div>
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Mit dabei sind seit einiger Zeit auch personalisierte Produkte. Harmlose Glücksbringer für den Alltag, möchte man meinen. Das T-Shirt, auf dem graphisch wie orthographisch verunglückt das Jubiläum des Tennisvereins gefeiert wird. Kaffeetassen mit strahlend grimassierenden Kindern. Schmuckstücke mit von Kunstbernstein eingefassten Erinnerungsstücken. Dem Personalisierungskult sind scheinbar keine Grenzen gesetzt.</div>
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Der neuste Trend erfasst inzwischen auch literarische Werke. Schriftsteller schreiben Geschichten nur für einen Auftraggeber. Was aber zu anderen Zeiten eine Art bezahlte Schmeichelei für den Mäzen war, ist heute billiges Handwerk: Eine bereits abgeschlossene Erzählung wird mit einer Handvoll selbst gewählter Attribute des zahlungswilligen Lesers aufgehübscht und der Held erhält stets einen neuen Namen, je nach Auftrag.</div>
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Arme Kinderseele in Not </h3>
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<br /></div>
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Vor allem Kinder werden mit diesen vermeintlich persönlichen Abenteuerfibeln beschenkt, in denen sie selbst die (unverletzbaren, unverzagten) Helden sind – anstatt Robinson Crusoe, Alice, Pippi Langstrumpf und Momo. Was zunächst wie eine Stärkung des kindlichen Selbstbewusstseins erscheint, ist aber genau das Gegenteil. Die Kleinen werden ihrer Chance beraubt, sich in andere Figuren hineinzuversetzen, deren Glück und Leid nachzuspüren. Stattdessen gelten nur die eigenen Gefühle als Maßstab, mit literarischen Mitteln zum Teil grotesk verzerrt. Ein Drama, das nicht nur begabte Kinder hart trifft. Denn die Leseerfahrung ist neben der elterlichen Erziehung die intensivste Möglichkeit, mitzuleiden und Gefühle anderer in ihrer Komplexität verstehen zu lernen.</div>
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Trotz der interaktiven Möglichkeiten, an der Kunsterfahrung teilzuhaben (Aufstieg und Fall des Ich-Bewusstseins spiegeln sich vortrefflich im Selbstbewusstseins des Publikums, wie es mit dem Kunstwerk umgeht - ob es dieses zum Beispiel als Angebot, als Geschenk oder als nicht selten leidige, aber zur Erweiterung des eigenen geistigen Horizonts notwendige Pflicht erlebt), blieb zwischen Zuschauer/Zuhörer/Leser immer eine mal mehr und mal weniger sichtbare Wand.</div>
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Diese bereits poröse Mauer wird sehr bald abgetragen werden.</div>
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Grund dafür ist aber nicht das plumpe Kunsthandwerk-Merchandising, sondern die sehr bald fortschreitende Virtual-Reality-Erfahrung. Noch ist die Technik zwar lange nicht ausgereift, doch sobald es möglich ist, Erzählwelten akustisch und visuell überzeugend in ein dreidimensionales „Kostüm“ zu übertragen, das sich der Nutzer nur überstreifen muss, etwa mit einer VR-Brille, vielleicht aber auch ohne Hilfsmittel in Westworld-Freizeitparks und Projektionssälen, wird dieser selbst zum Actionheld.</div>
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<span style="font-family: inherit;">Die Distanz zwischen dem Kunstprodukt der Entwickler und ihren Rezipienten wird maximal verringert. Der Adressat wird zum aufgeregten Kind, das dem weißen Kaninchen in den Bau folgt. </span></div>
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Vielleicht wird es möglich sein, als User gottähnlich in die Handlung eingreifen zu können, sie nach den eigenen moralischen Kriterien so zu verändern, dass sie schlussendlich den eigenen Vorstellungen gemäß passt. Verschiedene vorgeschriebene und inszenierte Szenarien wären dafür nötig. Die Handlung solcher VR-Adventures würde so an den individuellen Nutzer angeschlossen werden. Jeder erlebte eine solche Story anders.</div>
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<iframe allowfullscreen="" class="giphy-embed" frameborder="0" height="480" src="https://giphy.com/embed/3oEhmGgRW9AMzkqbnO" width="480"></iframe><br /></div>
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Oder es bliebe die allerdings zunächst wehmütiganmutende Erfahrung, als gespensterhafter, stiller Beobachter ins Wunderland oder 20.000 Meilen unter dem Meer einzutauchen. Wer wäre nicht gerne dabei, wenn große Entscheidungen der Geschichte vor den eigenen Augen ablaufen? Oder geliebte Kinofilme wieder erlebt werden können, in dem man sie wie belebte Kulissen betritt. Noch nennt man das plüschig immersive Erfahrung.</div>
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<div style="text-align: justify;"><span style="font-family: times; font-size: large;"><b><i>Rauschähnliche VR-Zustände sind aber noch Zukunftsmusik. Auf jeden Fall wird das Eintauchen in eine andere digitale Dimension zu einer der tiefgreifendsten Veränderungen in der Beziehung zwischen Kunstwerk und Beobachter führen. Das Einfühlen in Figuren und (realistische) Geschichten wäre zunächst eine Interpretation der eigenen Gefühle während des Erlebens. Perzeption ersetzte dann Reflexion.</i></b></span></div>
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<span style="font-family: "times" , "times new roman" , serif; font-size: large;"><i><br /></i></span>
<span style="font-family: inherit;">Die technische Umsetzung, die den Erlebniswert durch Authentizität und Tiefe vergrößert, würde alle anderen ästhetischen Kriterien für ein gelungenes Kunstwerk ausstechen.</span></div><div style="text-align: justify;"><span style="font-family: inherit;"><br /></span></div><h3 style="text-align: justify;"><span style="font-family: inherit;">Kunst wird zum Erlebnis</span></h3>
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Noch sind Kunsterfahrungen immer auch Kollektiverfahrungen. Selbst der einsamste Leser möchte seine Rührung anderen Lesern mitteilen, und sei es dadurch, dass er den geliebten Figuren neue Geschichten zukommen lässt, die dann bei Amazon als Fan-Fiction verkauft werden.</div>
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Doch Virtual Reality würde, wenn sie technisch irgendwann ihre bisher nur theoretischen Möglichkeiten ausreizt, wenn sie vielleicht auch zur Grundlage für ein neues begehbares Internet würde (eine Vorstellung, die Entwickler schon vor Jahrzehnten in der Schublade hatten) und als Amalgam zwischen Kino und Computerspiel aufginge, die individuelle Erfahrung endgültig in den Mittelpunkt rücken.</div>
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In einer solchen Parallelwelt, die sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz an die Bedürfnisse der Nutzer anpasst, könnte jeder selbst zu Peter Pan oder zu Hook werden. VR-Storytelling würde genau diesen moralischen Spagat, zwischen Gut und Böse immer wieder zu entscheiden und dann den jeweiligen Part möglicherweise auch in einer dreidimensionalen Fantasiewelt zu „spielen“, so gut es eben geht bedienen. Dafür muss man kein Prophet sein. Schlussendlich würden Held und Schurke über die Planke gehen. Ersetzt vom wankelmütigen Erlebniskonsumenten.</div>
<br />Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-6427246.post-46575778570161247872023-12-04T00:30:00.000+01:002023-12-04T07:43:14.278+01:00Dies irae<div class="separator" style="clear: both; text-align: center;">
<a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEidHZQHIXgODFL6UEMHIpNQvjuJ6PguIhMCOBSzDD6P1mcQNxEm6mbUlopErv2YPvSjUBeDqoKAriGflyE6Hlb-2JVSr-TgtWbC-H2WM7lbIzudD3Cj-Wt74XbwGwPTKqD6eAsxIA/s1600/IMG_0775.JPG" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1067" data-original-width="1600" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEidHZQHIXgODFL6UEMHIpNQvjuJ6PguIhMCOBSzDD6P1mcQNxEm6mbUlopErv2YPvSjUBeDqoKAriGflyE6Hlb-2JVSr-TgtWbC-H2WM7lbIzudD3Cj-Wt74XbwGwPTKqD6eAsxIA/s1600/IMG_0775.JPG" /></a></div>
<br />Marc Vetterhttp://www.blogger.com/profile/15794325578970564018noreply@blogger.com