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Es werden Posts vom 2009 angezeigt.

Zeitenwende (1)

Das Jahr 2009 neigt sich dem Ende zu, und wenn man sich auf die merkwürdige Gepflogenheit einlässt, die der Sprung ins neue Millenium mit sich brachte – nämlich die Nuller-Jahre auch zum jeweils neuen Jahrzehnt, Jahrhundert, Jahrtausend hinzuzuaddieren –, dann endet am 31. Dezember auch das erste Jahrzehnt dieses neuen Jahrhunderts. War es ein gutes oder ein schlechtes Jahrzehnt? Kann man das im Dezember 2009 schon sagen, oder begibt man sich in die Falle der Medienauguren, die zuverlässig den Jahresverlauf schon viel zu früh verklären und den Blick auf die Zukunft möglichst rasch und symbolträchtig erklären wollen? Wenn man Geschichte nicht als Diskurskonstrukt sieht, dann muss uns das dräuende fin de millénaire etwas erzählen. Es müsste von Bewegung und Veränderung sprechen, weil wir nicht nur unserer Zeitrechnung gemäß am Anfang einer neuen (geistigen, wissenschaftlichen, ja sogar künstlerischen) Epoche stehen. Hatten einige schon vom Ende der Geschichte gesprochen – und nicht

Systemfehler

Warnung! Ihr Gehirn hat in Ihrem Körper ein Problem festgestellt (F32.0). Dieses kann Ihr Alltagsleben empfindlich belasten und Ihre Handlungsfreiheit einschränken. Es wird geraten, einen Arzt aufzusuchen, um weitere Schäden zu vermeiden. Es wurde kein systemschützendes Medikament in Ihrem Körper gefunden. Die Sicherheit Ihres Körpersystems kann nicht garantiert werden. Fehler beim Laden eines wichtigen Systembotenstoffes. 5-HTTLPR konnte nicht geöffnet werden. Bitte suchen Sie umgehend einen Arzt auf. Die Systemsuche hat 5 schwerwiegende Störungen in Ihrem Körper entdeckt: Stimmungsstörung Antriebsstörung Schlafstörung Denkstörung Ruhestörung Schützen Sie sich vor weiteren Schwierigkeiten und nehmen Sie entweder Fluoxetin, Paroxetin oder Sertralin. Suchen Sie in jedem Fall Ihren Hausarzt auf. Ihr Körper ist von einem autonomen Erreger befallen, der Sie mit der Sinnlosigkeit Ihres eigenen Lebens konfrontieren wird. Wenn Sie den Systemfehler nicht bereinigen, verdoppe

1547 Seiten

Vorneweg: Ich habe mir Unendlicher Spaß von David Foster Wallace besorgt. Es ist mit einfachen Worten gesagt das wichtigste, bedeutsamste, energischste und seltsamste literarische Werk, das in diesem Jahr in Deutschland, in einer fulminanten Übersetzung von Ulrich Blumenbach, auf den Markt kommt. Vielleicht ist es sogar das hellststrahlende Buch der letzten Jahre. Aber es ist auch ein Ziegelstein von einem Buch, dickbauchig, kiloschwer und 1547 Seiten umfassend. Tausendfünfhundertsiebenundvierzig Seiten! Es steht außer Frage, dass der Lesemarathon dieses Klumpen einer magischen Odyssee gleicht. Wer nur die ersten zehn Seiten durchforstet, bekommt einen zaghaften Eindruck von Wallaces Hyperrealismus, der in der Literatur unserer Zeit seinesgleichen sucht. Hier hat ein Autor versucht, alles, was ihm in den Blick, was ihm zu Ohren gekommen – ja, was ihm in den Geist geströmt ist – zu fassen. Wallace versucht sich als Chronist der ADHS-verseuchten Spaßgesellschaft des Westens. Er kann

Duell

Zum dritten Mal nach 2002 und 2005 durfte der stets als politikverdrossen gebrandmarkte Wähler in diesem Jahr das so genannte TV-Duell zwischen Kanzler(-in) und Gegenkandidat erleben. Es wird hoffentlich das letzte Mal sein. Einen öderen, langweiligeren Schlagabtausch wie an diesem Abend hätte man sich nicht wünschen können. Entsprechend übervorbereitet rekapitulierten sowohl Frau Merkel als auch Herr Steinmeier ihre in den letzten Wochen immer wieder beiläufig eingestreuten Programme. Es bedurfte nicht erst einer seriösen journalistischen Nachberichterstattung, um diese politischen Inhalte, wie sie gerne zur Abgrenzung von anscheinend bedeutsameren Faktoren wie Ausstrahlung, Ehrgeiz und Machtinstinkt genannt werden, als im Grunde deckungsgleich zu entlarven. Nicht einmal Günter Jauchs glasklare Analyse, hier bewürben sich zwei Regierungsmitglieder einer für erfolgreich befundenen Koalition um eine Fortsetzung ihrer Arbeit, wäre in der kabarettähnlichen Aufarbeitung bei Anne Will (G

I’m loving it

„Pommes Frites sind wie beste Freunde. Einfach immer mit dabei. Ganz selbstverständlich. Erst wenn sie mal fehlen, merken wir, dass sie Gold wert sind. Vielen Dank, dass es euch gibt!“

Off The Wall

Mit dem Tod Michael Jacksons beklagen wir nicht nur den Verlust eines überragend talentierten Künstlers, dessen musikalische Omnipotenz sicherlich nicht erst mit Invincible beinahe verschwunden war, sondern vor allem den einer Kunst- und Erlöserfigur. In der vielleicht ergreifendsten Trauerfeier, die je einem Künstler zuteil geworden ist – angeblich perfekt inszeniert, vielmehr aber perfekt gelungen, in Deutschland zunächst von den großen Sendern übertragen, dann aber kleinkarierterweise an die Spartensender abgegeben – wurde ganz deutlich, von tiefer religiöser Metaphorik erhellt, welche Bedeutung diese Ikone für die meisten Menschen hat, und wenn es sich auch nur um eine geahnte Bedeutung handelt. Man beschwor seine Einzigartigkeit, die ihn tatsächlich, noch weit über den Topseller Elvis Presley hinaus, zu einem Fremden auf Erden machte. Eine Märchenfigur. Einer, der garantiert nicht einfach vor die Tür gehen konnte, um sich ein Eis zu kaufen. Einer, der immer und überall entdeckt

The Name Of This Band Is Wilco

„Wilco sind die bedeutendste Band dieser Zeit, weil sie das Spiel aushalten, ohne sich seinen Regeln zu unterwerfen“, schrieb Arne Willander unlängst im Rolling Stone über die Chicagoer Band. Anlass war die Veröffentlichung ihrer Live-DVD, Ashes Of American Flags. Nun erscheint ihre neue LP mit dem schönen wie simplen Titel: Wilco (the Album) . Als müsste die Band ihren Bandstatus noch einmal betonen, als müsste sie die Songsammlung namens Album in Zeiten des massenhaften Downloads von Einzelsongs noch einmal als kohärente, ganzheitliche Vision erretten. Als müsste sie aber auch darauf hinweisen, dass dies das definitive, dass dies DAS Wilco-Album schlechthin ist. Das ist vielleicht nicht nur Koketterie, sondern unterliegt einem strengen, nun auch für ironische Querverweise (man betrachte das Coverartwork des Neuwerks) offenen, künstlerischen System, das sich ganz und gar bestimmten Diskursen der Pop- und Rockmusik entgegenstellt. Wilco, das ist von Beginn an – seit ihrem Debütalbu

Der Zeitschriftenleser

Lesen - Eine Odyssee (4) Yps PFF Yam Lobo Neon Stern Limit Baller Kicker Asterix Cinema Batman Die Zeit Popcorn Projekt X Pop Rocky Bravo Sport Micky Aktiv Micky Maus Musikexpress Bravo Screenfun Simpsons Comics Batman Adventures Computerbild Spiele Lustiges Taschenbuch Die Taschenuhren-Sammlung Im Reich der Urwesen Faszination Wissen Psychologie Heute Games and More Rolling Stone Computerbild TV Spielfilm Film-Dienst Vanity Fair PC Games Sportbild Matador Dummy N-Zone Maxim Galore Bravo Total Spex Time Max JLA

Gegen Gezwitscher

Es wäre ein Leichtes, diesen Text mit einer kurzen Nachricht beginnen zu lassen, die nicht mehr als 140 Zeichen hat. Es wäre aber schwer, mit diesen 140 Zeichen etwas Sinnvolles auszudrücken. Die neuste Sau, die durchs digitale Dorf getrieben wird, heißt Twitter. Man kann dem Dienst bescheinigen, dass seine Originalität darin besteht, keinerlei Originalität zu besitzen. In kurzen Sätzen kann man dort der erstaunten Welt kundtun, was man gerade denkt, isst, spielt, hofft, glaubt – was man an Erkenntnissen gewonnen und an Zeit im Leben verloren hat. Eine Anmeldung reicht, dann rauschen die Kurzmeldungen über den Bildschirm. Mehr bietet Twitter nicht, weniger aber anscheinend auch nicht, um als Randerscheinung im Evolutionswettbewerb der (vermeintlich) sozialen Massenmedien unterzugehen. Kein historisches Ereignis der nächsten Zeit wird mehr ohne Twitter auskommen. Es wird in Zeitungen stehen oder auf Websites der Zeitungen oder in Blogs der Autoren der Website dieser Zeitungen: sch

Ich packe meine Bibliothek aus

Ich packe meine Bibliothek aus. Noch sind sie, jeder Ordnung enthoben, in Kisten eingemummt. Wenn ich umziehe, dann schleppe ich vor allem Bücher. Liebgewonnenes, Unverzichtbares, Oftgelesenes, Ungelesenes, Schund und vieles mehr, das ich in all den Jahren angesammelt habe. Es ist viel mehr als ich je lesen könnte, und wenn ich das Sammelsurium an gedruckten Worten in seiner unpersönlichen, fein säuberlich in Kartons verpackten Staffelei betrachte, dann kann ich mir kaum vorstellen, überhaupt so viele Erinnerungen und Bilder daraus entnommen zu haben. Angefangen hat es mit Comic-Heften. Meine Mutter brachte mir stets die Micky Maus mit, deren Inhalt ich regelrecht verschlang. Wenn ich mich so recht zurückerinnere, musste man mir schon ein Buch schenken, damit ich es in die Hand nahm. Kalle Blomquist war dann mein erster Begleiter; zuvor hatte mich aber schon Micky Maus, der nebenberuflich, wie man weiß, Detektiv ist, in das Sujet eingeführt. So bündelte ich also die Disneycomics, sa

Reflexionen aus dem beschädigten Leben

Eine Philosophie des Bloggens Am 19. Februar 2004 – vor genau 5 Jahren – habe ich diesen Blog mit den Worten begonnen: Das habe ich noch vor Tagen von der Idee geredet, da nimmt sie schon mehr und mehr Gestalt an. Erste Worte sind immer etwas Schreckliches; egal was sie auch immer behauptet haben, sie wirken in der Rückschau immer irgendwie vorausschauend. Nicht nur der Schreibfehler im ersten Wort dieses Blogs weist auf die endgültige Fehlerhaftigkeit des Unternehmens hin. Auch der vermessene Ton des darauf folgenden Artikels: Einen Psychologie-Test wollte ich entwerfen, um für ein Schulfach Psychologie zu werben. Irgendwie erscheint mir die Dialektik des Unterfangens (eine seltsame Ungeheuerlichkeit) heute als Ironie. Mit Trompeten angekündigt, was nicht zu halten sein kann. Hätte es mir nur jemand vorher gesagt. Aber: Ich habe immer an diese großen, wenn auch wirkungslosen Ideen geglaubt – und wie wertvoll sind die vielen Stunden Unterhaltung, um der so brüchigen Idee eine Rea

Die WELT ganz kompakt

Hey, du! Ja, du!! Komm’ mal her! Hast du Lust auf ein paar News? Nee, schon klar, nicht so was Langweiliges zum Lesen, wo du ewig brauchst! Sieh mal, mit Paris Hilton auf der Titelseite und Grand Theft Auto im Innenteil. Nicht nur Merkel, Barack und Islamabad. Ja, auch, keine Sorge: wenn du dich schnell mal informieren willst, also ganz schnell, so dass du mitreden kannst (gib’s zu: ist besser!), dann bist du hier richtig! Ich bin die kleine sexy Schwester von der Großen. Ja, sie ist ein bisschen muffig, spießig, konservativ und vom Springer. Aber vergiss den alten Sack, der ist eh nicht mehr mein Chef und wir haben sogar ein Youth House – einen eigenen Verlag für dich. Vergiss das aber, du bekommst alles, was du willst bei mir: Politik, Wirtschaft, sogar einen Kulturteil kann ich dir bieten (Keine Angst vor Berichten über Bayreuth oder Rezensionen zur Biennale: Kino, Pop und Feuchtgebiete kann ich dir auch bieten!). Wenn dir das nicht reicht, dann stürze dich aufs Sudoku oder fotogra